Newsletter Oktober 2018
„Wir haben einen Schauplatz aufgesucht. Einen Platz in einer Millionen-Metropole, leicht an einen Hügel gelehnt. Maydan. Würde man aus großer Ferne herankommen, wären oben der Hügel und das Parlament, die Regierung, von dort, von einer Nietenbrücke und den hohen Häusern herab, wurde geschossen. Wir würden die Kälte ergänzen, die Feuer und Barrikaden- und später, etwas verzagt, die heavenly hundred, Opfer, zwei Fronten, divergierende Berichterstattung, ein you-tube livechannel, wir hätten Hunderttausende, aber wer von ihnen ist unser Held? Ist es die Bewegung an sich, sind es die Opfer, sind es die Schlaflosen und Sehnsüchtigen an den Monitoren zuhaus? Oder sind es diejenigen, die viel später versuchen, etwas von dieser Energie zu bewahren, sich in den erstarkenden Strukturen Freiräume zu schaffen, ohne jeden Schutz? Sind es junge Abgeordnete mit geringelten Socken oder energische junge Frauen, die mit juristischen Mitteln gegen den alten Filz der Macht- und Geldeliten kämpfen? Sind es Journalisten, Berichterstatter, sind es Beobachter, die versuchen unparteiisch zu sein?“ – so fragt die Autorin Anja Kampmann, Nominierte für den Deutschen Buchpreis 2018, in einem Text, den sie im letzten Jahr nach einer Kyiv-Reise der Evangelischen Akademie Tutzing geschrieben hat.
Am 21. November wird es fünf Jahre her sein, dass erste Bilder vom Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz im Herzen der Stadt Kyiv (= Kiew), um die Welt gingen. Man sah friedlich protestierende Menschen und ein Meer aus ukrainischen und europäischen Fahnen. Wochen später hatten sich die Bilder verändert: umherfliegende Pflastersteine, bewaffnete Polizisten, schließlich Verletzte und Tote. Seitdem ist in der Ukraine viel passiert. Und gleichzeitig ist klar: das Land befindet sich nach wie vor in einer fragilen Lage und sucht zwischen Transformation und Krieg seinen eigenen Weg.
In einer internationalen, prominent besetzten Tagung versuchen wir vom 12.-14. Oktober die Auswirkungen der Maidan-Proteste für das gesellschaftliche Zusammenleben in der Ukraine zu kartieren. Welche Dynamiken hat die Bewegung hervorgebracht? Welche Interpretationen des Maidan haben Bestand im Kontext des Krieges? Wie werden der Maidan und seine Ästhetiken reflektiert? Dabei wollen wir Menschen zu Wort kommen lassen, die den Maidan erlebt und gestaltet haben, die sich für die stärker werdende Zivilgesellschaft engagieren und im ukrainischen wie europäischen Diskurs ihre Stimmen erheben.
Mitzureden und bisherige Entwicklungen konstruktiv in die Zukunft zu denken, darum geht es auch in den anderen Tagungen, die wir Ihnen im Oktober ans Herz legen wollen. Zum 200. Geburtstag von Karl Marx fragen wir in einer Tagung, welches Potenzial auch heute noch in seinen Theorien steckt. Und zwei Wochen vor der Landtagswahl geht es bei „Junge Stimmen im politischen Kosmos“ darum, wie junge Menschen sich politisch einmischen können.
Wir freuen uns auf die Begegnungen und das Gespräch mit Ihnen!
Judith Stumptner
Stellvertretende Akademiedirektorin und Studienleiterin für Kunst, Kultur, Bildung und Digitales