Newsletter November 2019
Anlass der Umfrage war und ist das bestimmende Thema im November: der 30. Jahrestag des Mauerfalls. Auch der Politische Club wird sich in seiner Herbsttagung damit auseinandersetzen. Wolfgang Thierse, Leiter des Clubs, schreibt in der Kolumne dieser Newsletter-Ausgabe, es sei der „Mut der Verzweiflung“ gewesen, der im Herbst 1989 gesiegt habe. Die Menschen hätten sich „zwischen Angst und Mut“ befunden.
Das kann ich bestätigen. Ich war damals zwölf Jahre alt, lebte im Sperrgebiet, an der Grenze zu Hessen, und wartete mit meiner Familie auf die Bewilligung unseres Ausreiseantrags aus der DDR. Ohne Zweifel – eine Perspektive, die zu der Zeit nur die wenigsten in meinem Umfeld teilen konnten. Heute, 30 Jahre später, sind es oft Geschichten wie diese, von Nicht-Systemkonformen, die die Erzählungen bestimmen. Doch was ist mit all den anderen? Mit denen, die sich arrangiert hatten mit dem Staat, die die Ideologie verinnerlicht hatten und ein „ganz normales Leben“ führten? Ich bin davon überzeugt: An einem Ort zur selben Zeit gewesen zu sein, bedeutet längst nicht, gemeinsame Erinnerungen zu teilen. Hinzu kommt die prägende Nachwende-Zeit, die für viele mit der Erfahrung einherging, keine Rolle zu spielen.
Gleichwohl geben die aufrüttelnden Ergebnisse der „Zeit“-Umfrage der Forderung Wolfgang Thierses Recht: In der Stunde der Populisten sollten wir es als unsere Aufgabe wahrnehmen, die Demokratie zu stärken. „Wir sind das Volk!“ sollte nicht als Schlachtruf von denen gekidnappt werden, die ihn heute für Hetze missbrauchen. Wer damals auf den Straßen in diesen Ruf einstimmte, riskierte seine Freiheit, teilweise sein Leben. Dass das heute nicht mehr so ist, zeigt, in welcher Freiheit wir leben – und dass es nötig ist, weiter dafür einzustehen.
Ich freue mich auf Begegnungen und Gespräche mit Ihnen im Monat November und grüße Sie herzlich, auch im Namen des gesamten Teams.
Ihre
Dorothea Grass
Studienleiterin / Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit