Newsletter April 2021
Wie nah saß ich mit Freunden und Fremden zusammen, damals, als wir noch nichts von den neuartigen Viren wussten? Bei welchen Unbekannten machte es mir nichts aus, wenn wir Mantel an Mantel, Ellenbogen an Ellenbogen in der Straßenbahn saßen? Wie nah kam ich anderen Demonstrierenden, wie fühlte es sich an, als Kollektiv zu gehen? Beim Zusammensitzen aus dem Nichts Ideen zu verwirklichen? Was heißt es, einem unbekannten Kind die Hand hinzuhalten, wenn es auf dem Klettergerüst ins Taumeln kommt?
Diese millimeterkleinen Abstände will ich mit dem Zollstock vermessen, um sie zu gegebener Zeit einer Choreografie gleich einzustudieren – wie ein Mensch, der nach langer Krankheit das Gehen lernt.
Die Erosion persönlicher sozialer Interaktionen beschrieb der Soziologe Robert Putnam für die USA schon lange vor der Pandemie. In seinem Buch „Bowling alone“ warnte er im Jahr 2000 vor dem damit einhergehenden Verfall zivilgesellschaftlichen Engagements, welches die Grundlage für eine lebendige Demokratie sei. Auch heute kann politisches und soziales Engagement oft nur noch erschwert stattfinden.
Wo „Amigos“ Geld und Macht als Hebel gegen das Gemeinwohl nutzen (siehe Bericht zum Klimalobbyismus in der Pandemie), sind die Grundlagen des von Freundschaften getragenen Engagements Vertrauen, Mitgefühl und Ermutigung. Auch die Theologin Dorothee Sölle erachtete Freundschaft und Gemeinschaft neben der Spiritualität als essenziell für politisches Engagement.
Unsere Akademie war über Jahrzehnte hinweg ein Raum der Freundschaft unter Fremden, häufig Initialzündung für die gemeinsame Realisierung scheinbar unmöglicher Visionen. Wir sind dabei, all dies, soweit es geht, in den digitalen Raum zu übertragen und – sobald vertretbar – auch wieder in Präsenz zu ermöglichen.
Ich wünsche Ihnen einen Frühling des „Dranbleibens“ unter widrigen Umständen: des Weiterführens allen sozialen und politischen Engagements und der Stärkung von Freundschaften.
Ihre
Katharina Hirschbrunn
Studienleiterin für Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung