Ich hab‘ geträumt der Winter wär vorbei…
Rio Reiser
„... du warst hier und wir war‘n frei… und die Morgensonne schien. Alle Tür‘n war‘n offen, die Gefängnisse leer, es gab keine Waffen und keine Kriege mehr. Das war das Paradies. Der Traum ist aus!“, sang Rio Reiser 1972.
Heute stehen wir einmal mehr im Angesicht von Kriegen weltweit. Kriege, die Menschen töten. Jeder Mensch war mal ein Kind. „Auch auf der anderen Seite der Grenze gibt es Mütter“, schreibt die israelische Dramaturgin Maya Arad Yasur. Krieg verwundet auch die Seelen, bis hin zu „Kriegskindern“ und „Kriegsenkeln“. „Nie wieder Krieg“, sagte meine Großmutter vor jeder Bundestagswahl. „Wandel durch Annäherung“, sagte der SPD-Politiker Egon Bahr 1963 in Tutzing. Aus der Generation der beiden leben heute nicht mehr viele.
Einer der Verbliebenen ist Jürgen Habermas. Auch der Westen habe, so der Philosoph, eine moralische Mitverantwortung für die täglichen Opfer des Krieges und daher die Pflicht, hartnäckig alle Chancen für friedliche Lösungen auszuloten. Andere Akteur:innen, die heute für Pazifismus eintreten, werden oft belächelt oder gar angefeindet. Doch die Ursachen für Kriege entstehen schon lange vorher, und genauso muss pazifistische Politik schon lange vor einem eventuellen Krieg praktiziert werden.
Bei den Debatten um Krieg und Frieden wurde eine Dimension in ihrer Vielfalt bislang noch zu wenig analysiert: die Ökonomie. Ökonomische Zusammenhänge wirken strukturell, auf allen Seiten, an allen Fronten.
Daher fragen wir im ersten Teil der Tagung: Wie hängt Krieg mit pervertierten Formen von Politik und Ökonomie zusammen? Begünstigt Ungleichheit totalitäre Systeme? Kann Handel Frieden schaffen oder bedingt kapitalistische Rivalität Zerstörung? Wie beeinflussen sich Krisenkapitalismus, neokonservatives Hegemoniedenken, Schockstrategien und oligarchische Tendenzen gegenseitig? Krieg den Hütten, Frieden den Palästen? Welche Rolle spielen der militärisch-industrielle Komplex und geostrategische Begehrlichkeiten?
Im zweiten Teil diskutieren wir, wie Gesellschaften aussehen können, die Frieden vorbereiten und nähren. Was sind – auch psychologische – Wege hin zu Kulturen des Friedens? Was ist die Perspektive von Menschen im Globalen Süden? Könnten ressourcenhungrige Ökonomien zu Friedensprojekten werden, wenn statt auf materielles Wachstum auf Verteilungsgerechtigkeit, demokratische Teilhabe und Zeitwohlstand gesetzt würde?
„Der Traum ist aus!“, singt Rio Reiser weiter. „Der Traum ist… aus. Aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird. / Wir haben nichts zu verlieren außer unserer Angst, es ist unsere Zukunft, unser Land. / Gib mir deine Liebe, gib mir deine Hand.“
Wer sehnt sich nicht nach Frieden? Wir laden Sie und Euch herzlich ein, zusammen am See zu diskutieren – in gemeinsamer Trauer um erlittenes Leid auf allen Seiten und in Dankbarkeit für jedes Gramm erkämpfter Menschlichkeit. Und dabei zu erinnern, dass die Menschheit schon oft einen Weg gefunden hat.
Katharina Hirschbrunn, Studienleitung, Evangelische Akademie Tutzing
Prof. Dr. Richard Sturn, Graz Schumpeter Centre, Universität Graz