DIE MÄNNERGRIPPE GIBT ES WIRKLICH!
In der Gesundheit stehen unsere Klischees Kopf: Männer gelten als wehleidig und das vermeintlich schwache Geschlecht ist „hart im Nehmen“. Doch Männer haben in der Tat von der Evolution ein schwächeres Immunsystem mitbekommen als Frauen. Die oft belächelte Männergrippe gibt es wirklich! Die Kehrseite der Medaille ist, dass Frauen öfter an Autoimmunerkrankungen leiden.
Männer und Frauen sind unterschiedlich krank. Sie müssen daher auch anders diagnostiziert und behandelt werden. Ein Herzinfarkt äußert sich bei Frauen anders als Mann es kennt. Eine Medizin, in der der Mann das Maß der Dinge ist, ist ein Problem: Denn Frauen werden nach „männlichen Maßstäben“ diagnostiziert, behandelt, medikamentiert und rehabilitiert. Kein Wunder, dass Frauen bei gleicher Diagnose eine deutlich schlechtere Lebensqualität angeben – wenn ihr Leiden überhaupt richtig erkannt und behandelt wird. Bei gleicher Erkrankung, etwa bei einem Herzinfarkt, ist ihr Sterberisiko höher.
Umgekehrt gehen Frauen mit ihrer Gesundheit bewusster um. Sie ernähren sich gesünder, nutzen Vorsorgeangebote deutlich häufiger, begeben sich eher in Behandlung und schildern ihre Symptome ausführlicher. Depressionen werden wiederum bei Männern nur halb so oft diagnostiziert – aber ihre Selbstmordrate ist doppelt so hoch. Bleiben psychische Erkrankungen bei Männern häufiger unerkannt?
Die geschlechtersensible Medizin und Pflege hebt die Unterschiede der Geschlechter hervor und versucht Bewusstsein zu schaffen: Ungleiches muss ungleich behandelt werden! Der Weg zu mehr gesellschaftlicher Gleichberechtigung von Männern und Frauen liegt hier gerade in der Betonung ihrer biologischen Unterschiede und der Bewusstmachung der immer noch bestehenden sozialen Unterschiede.
Auch in der Medizin wird das Bewusstsein für die Vielfalt der Geschlechter größer. Wie gehen wir in unserem Gesundheitssystem mit Körpern um, die nicht der binären Logik Mann / Frau entsprechen? Wie absolut ist unsere historisch gewachsen und sozial tiefverankerte binäre Geschlechterordnung eigentlich, nicht zuletzt im Blick auf Körper? Wie behandeln wir in der Gesundheitsversorgung nicht-binäre Personen und Trans*Personen, deren biologisches bzw. das ihnen zugeschriebene Geschlecht nicht mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt?
Geschlecht – eine Grundkategorie unseres biologischen und sozialen Lebens, das dennoch in der Medizin noch nicht ausreichend differenziert betrachtet wird.
Wir laden Sie ein, sich dem Thema anzunähern, es aus verschiedenen Perspektiven in den Blick zu nehmen und in die Diskussion zu kommen.
Dr. Hendrik Meyer-Magister, Pfarrer, Stellvertretender Direktor und Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care an der Evangelischen Akademie Tutzing
Prof. Dr. med. Robert Ritzel, Chefarzt der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie der München Klinik Schwabing und Bogenhausen, München
Dr. biol. hum. Hildegard Seidl, Humanbiologin und Gesundheitsökonomin; Fachreferentin für Gendermedizin und -pflege der München Klinik