Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geteilt, gut vierzig Jahre später vereinigte sich das Land wieder, nun ziehen sich Risse durch die Bundesrepublik. Wie tief sind sie? Was sind die Gründe? Wie geht esweiter in West, in Ost, mit der Demokratie und der politischen Kultur? Und: Was ist zu tun? Diese Fragen beschäftigen uns.
Nach der Bundestagswahl, aber über die Tagespolitik hinaus zeichnet die Tagung den langen Weg Deutschlands nach 1945 nach: im Dialog zwischen Ost und West, Alt und Jung, Politik und Gesellschaft.
Was ist das Gemeinsame, wo sind Unterschiede: Wie lässt sich Einheit in der Vielfalt gestalten? Es geht um den historischen Blick, die Entwicklung der demokratischen Institutionen, aber auch um die Voraussetzungen bundesrepublikanischer Demokratie. Frei nach dem Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde lassen sich dabei nennen: eine gemeinsame Debattenkultur, die Fähigkeit einander zuzuhören, den Respekt und die Sachlichkeit des Diskurses zwischen Ost und West, die beidseitige Lernbereitschaft, das Zuhören jenseits aller Überheblichkeit oder Minderwertigkeitskomplexe sowie einen Gemeinsinn über alle Bruchlinien hinweg. In der Tagung wird es außerdem um unterschiedliche außenpolitische Wahrnehmungen gehen.
Fehlt es am gegenseitigen Interesse – in West wie in Ost? Für die deutsch-französische Verständigung wurden nach dem Weltkrieg Organisationen und Initiativen lanciert. Die deutsch-deutsche Verständigung nach Jahrzehnten der Trennung wurde nach der Anfangseuphorie ziemlich sich selbst überlassen. Was können wir heute tun? Wie überwindet der Osten das Gefühl des benign neglect (gutartige Vernachlässigung) und der Westen seinen Paternalismus? Und welche Rolle spielt hier die europäische Frage, die anstelle der deutschen Frage getreten ist?
Wir möchten auch über die verschiedenen Sozialisierungen innerhalb Deutschlands sprechen. Mit den Exzessen, dem Scheitern, der Nervosität und Aufregung, die zu einer „Open Society" gehören, hatte man im Westen umzugehen gelernt. Dem gegenüber schreibt die aus Leipzig stammende Autorin Jackie Thomae in ihrem Roman „Brüder": „Im Osten gab es (…) weniger Reklame und Kommerz, keine Penner, keine Junkies und keine Hinweise auf Sex im Stadtbild. Im Osten gab es keine nennenswerte Einwanderercommunity, die sich niederließ und Geschäfte und Restaurants eröffnete." Woran macht sich das heute noch bemerkbar?
Wir laden Sie ein zu einem deutsch-deutschen Dialog als Rückblick nach vorn.
Pfr. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Dr. h.c. mult. Roger de Weck, Leiter des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing