Das Grundgesetz stellt die Familie unter besonderen Schutz. Bei den Bürgern – vor allem auch bei jungen Menschen – genießt die Familie hohe Wertschätzung, wie Umfragen immer wieder belegen. Aber was bedeutet Familie heute in der Wirklichkeit? Innerhalb weniger Jahrzehnte haben sich die Familienverhältnisse in Deutschland und auch der Begriff Familie tiefgreifend verändert. Neben die klassische Ehe und Kleinfamilie ist eine Vielfalt an Lebensmodellen getreten: Mehr als ein Drittel der Kinder in Deutschland werden außerhalb der Ehe geboren, in fast jeder fünften Familie erzieht ein Elternteil alleine und geschätzt jede zehnte Familie ist eine Patchworkfamilie. Nichteheliche Lebensgemeinschaften ebenso wie eingetragene Lebenspartnerschaft en und gleichgeschlechtliche Ehen erfahren – auch im kirchlichen Kontext – zunehmend Gleichstellung. Immer mehr Frauen in Deutschland entscheiden sich gegen Kinder. Ihr Anteil gehört zu den höchsten in Europa.
Was Ökonomen mit steigenden „Opportunitätskosten“, dem Ergebnis einer persönlichen Kosten-Nutzen-Analyse, zu erklären versuchen, bedeutet vor allem, dass für viele Menschen Institutionen und Infrastrukturen heute off enbar nicht mehr zu den veränderten Lebens- und Familienverhältnissen passen. Die Familienverhältnisse sind in ethnischer, kultureller und religiös-weltanschaulicher Sicht pluralistischer geworden – wie die Gesellschaft insgesamt.
Was bedeutet das für die Familienpolitik? Wie kann sie in Zeiten heftiger kultureller, sozialer und kommunikativer Veränderungen noch ihrem Verfassungsauftrag nachkommen? Einzelne Ziele der Familienpolitik sind sowohl in der gesellschaft lichen und politischen Debatte als auch in der
Wissenschaft durchaus umstritten. Familienpolitik ist zugleich Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Finanz- und Wirtschaft spolitik. Umso wichtiger ist die Verständigung über gemeinsame, tragfähige Perspektiven.
Darum soll es gehen: Um Begriff , Verständnis und Praxis von Familie heute; um die Frage, was moderne Familienpolitik leisten kann und muss – angesichts der vielfältigen Realität von Familie, angesichts von sozialen und kulturellen Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten, angesichts eines veränderten Selbstverständnisses und Anspruchs auf berufliche Selbstverwirklichung sowie der bleibenden gesellschaftlichen Aufgabe, Kindern Geborgenheit und Zuwendung zu ermöglichen. Es geht um nicht weniger als die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Diskutieren Sie mit uns bei der Frühjahrstagung des Politischen Clubs – wir freuen uns über die Teilnahme aller Generationen!
Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Dr. Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident a.D., Leiter des Politischen Clubs der Evangelischen Akademie Tutzing