Zwei Glieder sind noch keine Kette
Wie kann der Welthandel fair gestaltet werden? Und was kann das neue Lieferkettengesetz dazu beitragen? Darum ging es in der Ausgabe der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” vom 22. Juni. Im Online-Gespräch setzten Politikwissenschaftler Dietrich Krauß und Brot für die Welt-Referent Francisco Marí ihre Hoffnungen jetzt auf die Europäische Union.
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Besser ein schlechtes Gesetz als gar kein Gesetz. Francisco Marí, Referent Welternährung, Agrarhandel und Meerespolitik bei Brot für die Welt im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung, und Dr. Dietrich Krauß, einer der Autoren der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt”, sind sich einig. Was im Bundestag und im Bundesrat als großer Wurf präsentiert wurde, bleibt bei näherem Hinsehen deutlich hinter den Erwartungen zurück. “Die Anstalt” thematisierte in ihrer Sendung vom 22. Juni das sogenannte Lieferkettengesetz, das unternehmerische Sorgfaltspflichten regelt. Demnach müssen große Firmen in Deutschland ab 2023 bei Menschenrechtsverletzungen durch ihre ausländischen Zulieferer mit hohen Bußgeldern rechnen. Wer Ausbeutung von Menschen in Afrika oder Asien ebenso wie umweltschädliche Praktiken billigend in Kauf nimmt, kann außerdem bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
“Das Gesetz suggeriert, das jetzt alles gut ist”, so Francisco Marí. Doch die Teepflückerin bekomme deshalb nicht automatisch mehr Geld, ergänzt Dietrich Krauß. Bestenfalls handelt es sich um den Einstieg in eine gesetzliche Verpflichtung, die schon geregelt ist. Denn zum Beispiel ausbeuterische Kinderarbeit ist laut einem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verboten. 187 Staaten haben sich dazu verpflichtet.
Das deutsche Lieferkettengesetz ist die Antwort auf 2011 von den Vereinten Nationen verabschiedete Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie sind rechtlich nicht bindend, sondern eine lediglich eine Richtschnur für einen besseren Schutz von Menschenrechten im Arbeitsumfeld. Ihr Ziel ist es, dass Staaten und Unternehmen angemessene Vorkehrungen treffen, damit Menschenrechte nicht verletzt werden. 2016 hat die Deutsche Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan beschlossen, um die UN-Leitprinzipien umzusetzen
Der Begriff Lieferkette führt aus der Sicht von Krauß und Marí in die Irre. Das Gesetz bezieht sich vor allem auf die unmittelbaren Zulieferer. Nur: Zwei Glieder sind aber keine Kette. Bei den mittelbaren Zulieferern, die eine Firma nicht direkt beliefern, gilt das Lieferkettengesetz nur dann, wenn dem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte über Menschenrechtsverletzungen vorliegen. Es handelt sich also lediglich um eine “Bemühenspflicht”. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen mit Sitz in Deutschland können bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor deutschen Gerichten klagen, wenn die Opfer dem zustimmen. Aber eine zivilrechtliche Unternehmenshaftung oder die Entschädigung der Opfer von Umweltverschmutzung oder Ausbeutung gibt es nicht.
Der Lobbydruck der Wirtschaft hat dies nach Einschätzung von Krauß und Marí verhindert. Hilfsorganisationen und Kirchen hatten hingegen gehofft, dass ausgebeutete Textilarbeiterinnen in Bangladesch oder vertriebene Bauern in Ghana vor deutschen Gerichten klagen könnten. Dies ist zwar nicht ausgeschlossen, aber in der Praxis kaum wahrscheinlich.
Im Online-Gespräch der Evangelischen Akademie Tutzing vom 28. Juni setzten beide Experten ihre Hoffnung jetzt auf die Europäische Union (EU). Noch in diesem Jahr wird ein Vorschlag der EU-Kommission für ein europäisches Lieferkettengesetz erwartet. Die EU sei ambitionierter, meint Krauß. Ihr Vorstoß könnte zu Anpassungen der deutschen Regelung führen. Ihre Wirksamkeit liegt laut Marí bei höchstens zehn bis 15 Prozent.
Für viel wirkungsvoller hält Francisco Marí Maßnahmen, die etwa die Rolle der Gewerkschaften in den betroffenen Ländern stärken, ebenso die Selbstvertretung von Frauen. Dies sei schon immer der Ansatz gewesen, den Hilfsorganisationen wir Brot für die Welt vertreten haben. Auch Marí erwartet, dass eine EU-weite Regelung Verschärfungen bringen dürfte. In der Praxis sei kaum zu prüfen, was tatsächliche Unkenntnis sei und wo werde einfach nur weggeschaut. “Das Gesetz tut nicht weh”, so sein Fazit.
Am Ende des Gesprächs ging es noch einmal um Grundsätzliches: Für Dietrich Krauß bleibt es unverständlich, dass Cent-Beträge ein Problem sind und ein auskömmliches Leben in den Herkunftsländern von Produkten wie etwa Kakao verhindern. Seiner Meinung nach stehe der Freihandel als System auf dem Prüfstand. Für Brot für die Welt, so Francisco Marí, gehe es auch um das Thema Welternährung. Noch immer prägten koloniale Strukturen die Entwicklung in vielen Ländern und schafften falsche Anreize. An der Elfenbeinküste sei es einträglicher, Kakao anzubauen. Dafür bekäme man mehr als für andere Lebensmittel die für die Versorgung auf den eigenen Märkten aber wichtiger wären.
Christian Bergmann
Bild: Lieferkettengesetz, Menschenrechte, Schokolade und Bauxit – Screenshot der Online-Debatte zur ZDF-“Anstalt” vom 22.6.2021 mit Dietrich Krauß, Francisco Marí und Udo Hahn. (Quelle: eat archiv)