Zum Tod von Bundesaußenminister a.D. Hans-Dietrich Genscher
Der langjährige Bundesaußenminister und FDP-Chef Dr. h.c. Hans-Dietrich Genscher ist tot. Er starb am 31. März 2016 im Alter von 89 Jahren im Kreise seiner Familie in seinem Haus in Wachtberg-Pech an Herz-Kreislauf-Versagen.
Genscher war – von 1974 bis 1992 – 18 Jahre lang Außenminister und in dieser Funktion maßgeblich an den Verhandlungen zur Wiedervereinigung beteiligt. Sein unvollendeter Satz in der Prager Botschaft ging in die Geschichte ein. Am 30. September 1989 sagte er vor 4500 DDR-Bürgern, die in die Botschaft geflohen waren: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“ Der Rest ging im Jubel unter.
Wenige Monate später, im Frühjahr1990, organisierte die Evangelische Akademie Tutzing eine zweitägige Konsultation, bei der hochrangige Vertreter aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Kirche der beiden deutschen Staaten sich Zeit nahmen, um hinter den Schlossmauern neue Antworten auf die anstehenden politischen Fragen zu suchen. In der Abgeschiedenheit der Akademie am Starnberger See waren das Tage der Nachdenklichkeit, wie es sie – fernab aller Bonner und Berliner Betriebsamkeit – vielleicht öfters geben sollte.
Es galt, ein Konzept für die Deutsche Einheit zu entwickeln. Der von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher erörterte Entwurf ging unter der Bezeichnung „Tutzinger Genscher-Plan“ in die Akademiegeschichte ein. Er sah u.a. vor, dass die DDR in die Europäische Gemeinschaft über die Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland eintreten sollte. Ferner müssten Handels-, Kooperations- und Assoziierungsabkommen und politische Konsultationen mit der EPZ (Europäische Politische Zusammenarbeit) erfolgen. Darüber hinaus müsse die Mitarbeit bei der Weltbank, GATT und OECD ermöglicht werden. Schlussendlich sah der „Genscher-Plan“ auch die Mitgliedschaft im Europarat sowie die Mitgliedschaft in der gegründeten Europäischen Entwicklungsbank vor.
An der Konsultation wirkten u.a. mit: Bundespräsident Richard von Weizsäcker, Günter Grass, Kurt Masur, SPD-Ehrenvorsitzender Willy Brandt, Ibrahim Böhme (Vorsitzender der SPD-Ost), Wjatscheslaw Kurnikow (Sowjetischer Botschafter), Antje Vollmer (Fraktionssprecherin der Grünen), Jens Reich, Neues Forum, Ludwig Mehlhorn, Demokratie Jetzt, Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Bischof Gottfried Forck, Berlin/DDR, Jürgen Schmude, Präses der EKD-Synode, sowie weiterer hochrangiger Vertreter aus Industrie und Wirtschaft, Handel und Banken, der Kirchen und der Medien.
Die Evangelische Akademie Tutzing wird Bundesaußenminister a.D. Dr. h.c. Hans-Dietrich Genscher stets ein ehrendes Andenken bewahren.
(Axel Schwanebeck)