Zivilcourage ist „probates Mittel gegen Antisemitismus“

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, möchte den Kampf gegen Judenfeindlichkeit auch in die privaten Lebenswelten der Menschen holen. Er diskutierte gestern in München mit Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Antisemitismus-Beauftragtem Ludwig Spaenle.

Woher kommt der neue Antisemitismus – und was ist dagegen zu tun? Das waren die Fragen, die gestern im Zentrum der Podiumsdiskussion „Antisemitismus – ein resistenter Virus?“ stand, zu der die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Tutzing in den Orangeriesaal in Schloss Nymphenburg eingeladen hatte.

Ein „probates Mittel gegen Antisemitismus“ ist dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zufolge die Zivilcourage. „Im Freundeskreis, am Stammtisch – überall, wo Judenwitze gemacht oder auch fremdenfeindlich geredet wird“, müsse deutlich widersprochen werden, sagte Schuster im Münchner Schloss Nymphenburg. Es gehöre nicht sehr viel Mut dazu, bei solchen Äußerungen anderen Menschen „mal den Spiegel vor die Nase zu halten“, sagte er bei dem Podiumsgespräch: „Ich glaube, dass man damit schon ein ganzes Stück weiterkommt.“

Bei der Aufgabe zu verhindern, dass „Unsagbares gesagt wird“, sieht Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm „alle, die öffentlich reden, in einer besonderen Verantwortung“. Dies gelte „gerade auch in Wahlkämpfen, auch in Bierzelten“. Bürger, die sich über ein vermeintliches Diktat der politischen Korrektheit beschwerten, müssten verstehen: „Bestimmte Dinge sind auch nicht politisch korrekt. Die darf man auch nicht sagen. Und dieser Grundkonsens darf sich auch nicht ändern“, betonte Bedford-Strohm, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

EKD-Untersuchung zu christlichem Antisemitismus

In seiner Begrüßung fand Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, klare Worte: „Wer Juden angreift, greift auch Christen an.“ Dieser Auffassung ist auch Heinrich Bedford-Strohm. „Antisemitismus ist Gotteslästerung“, sagte er und verwies auf den im Christentum verwurzelten starken Antijudaismus, der über Jahrhunderte tradiert worden sei. „Das macht mich heute noch fassungslos“, so Bedford-Strohm. Der christliche Glaube dürfe nicht für Menschenfeindlichkeit missbraucht werden, Christen sollten Gottes Liebe ausstrahlen. Auf Schusters Entgegnung, die Kirche habe aber jahrhundertelang Judenfeindlichkeit propagiert, antwortete der Landesbischof: „Wir Christen können nur Teil der Lösung werden, wenn wir sehen, dass wir Teil des Problems sind.“ Er verwies auf die Untersuchung, die die EKD zur Auseinandersetzung mit Antisemitismus in den eigenen Reihen gestartet hat.

Dass Bayern als erstes Bundesland im Mai die international anerkannte Definition von Antisemitismus angenommen hat, habe „Orientierungswirkung“, sagte der Antisemitismus-Beauftragte der Staatsregierung, Ludwig Spaenle (CSU). Entscheidend sei, dadurch mit gesellschaftlichen Akteuren ins Gespräch über die Gefahr des Antisemitismus zu kommen. Bedford-Strohm zufolge ist in der Kommunikation eine Gratwanderung zu bewältigen: einerseits klar zu sein in den Positionen, andererseits „ins Gespräch zu kommen mit den Menschen“.

Soziale Medien als „Brandbeschleuniger“

Mit dem Landesbischof war sich Spaenle darin einig, dass die sozialen Medien im Internet wie „Brandbeschleuniger“ für Judenhass wirken können. Hier seien „Toleranzgrenzen verschoben“ worden, sagte Spaenle. Der Landesbischof plädierte dafür, die kommerziell basierten Algorithmen besser in den Blick zu nehmen und die Einrichtung einer europäischen Plattform für Qualitätsinhalte zu erwägen, wie sie ARD-Intendant Ulrich Wilhelm jüngst vorgeschlagen hatte.

Schuster forderte, dass in den Schulbüchern jüdisches Leben nicht nur in der NS-Zeit von 1933 bis 1945 thematisiert werden dürfe, sondern anschaulicher und über die Jahrhunderte dargestellt werden müsse. Das Jahr 2021, in dem das 1.700-jährige Jubiläum der ersten urkundlichen Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland gefeiert werden soll, werde hier gewiss zu einem neuen Bewusstsein beitragen. Mut mache auch, dass die große Mehrheit der Menschen den Rechtspopulismus ablehne. Nach dem Anschlag in Halle habe es „viel Solidarität gegeben – das habe ich so noch nicht erlebt“. Sein Traum sei der Tag, „an dem ich vor keiner Synagoge mehr eine Polizeistreife“ sehe.

Dieser Artikel basiert auf einem Bericht von Christine Ulrich / EPD.

Bild: Im Gespräch: Heinrich Bedford-Strohm, Ludwig Spaenle, Josef Schuster und BR-Moderator Werner Reuß (v.l.n.r.)

Quelle für alle Fotos: Haist / eat archiv

Weiterlesen und -hören:
Die Begrüßungs- und Einführungsworte zur Podiumsdebatte von Akademiedirektor Udo Hahn können Sie hier nachlesen.

Die Redaktion „Religion und Orientierung“ des Bayerischen Rundfunks hat in ihrem Wochenrückblick am 27.10. einen Bericht zur Podiumsdiskussion im Nymphenburger Schloss gesendet. Sie können den Bericht hier nachhören.

Hinweis:
Der Bayerische Rundfunk strahlt die Podiumsdebatte im Fernsehen aus.
Sendetermin: 3. November 2019, 21 Uhr auf ARD-alpha.
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