“Wir wollen vorankommen”
In der Online-Debatte “Ampel auf ‘grün’ für Klimaschutz und Wohlstand” konnten Bürgerinnen und Bürger in direkten Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der Parteien der Regierungskoalition treten. SPD, Grüne und FDP sind mit einem großen Versprechen in die Legislaturperiode gestartet: Nichts Geringeres als die Neuorientierung der deutschen Volkswirtschaft, hin zur sozial-ökologischen Marktwirtschaft haben sie sich zum Ziel gesetzt. Wie die “Ampel” diesem Anspruch gerecht werden will, wie einschneidend die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ausfallen könnten und wie genau soziale, ökonomische und ökologische Interessen “zusammengedacht” werden können, dazu nahmen MdB Dieter Janecek (Bündnis90/Die Grünen), MdL Annette Karl (SPD) und MdB Lukas Köhler (FDP) Stellung – und ließen sich auch zu den Details ihrer Pläne befragen.
Schon während der ersten Sondierungsgespräche im Herbst nach der Bundestagswahl 2021 zeigten sich die Parteien des späteren “Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit” sehr darauf bedacht, zumindest nach außen einen Wandel im Politikstil in Deutschland zu vollziehen. “Mehr Fortschritt wagen” wählten die angehenden Koalitionäre als Motto: Verschwiegenheit anstatt Ausplaudern sollte die Verhandlungen prägen. Für Annette Karl, die als SPD-Landespolitikerin in Bayern die Koalitionsverhandlungen aus der beobachtenden Perspektive, aber in enger Abstimmung mit zwei Kollegen aus einer Verhandlungsgruppe, wahrnahm, war das die wichtigste Voraussetzung, um die inhaltlichen Differenzen überbrücken und gemeinsame Ziele ausloten zu können. Auch Dieter Janecek, Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und seit 2013 Mitglied im Bundestag, betonte, sehr zufrieden über die Zusammenarbeit in seinem Arbeitskreis Innovation, Forschung und Wissenschaft zu sein, auch wenn es während der Verhandlungen ab und an “geknirscht” habe. Letztendlich sei in einer “hochkonzentrierten Atmosphäre” ein gemeinsamer “Ampelgeist” entwickelt worden. Diese Zufriedenheit teilte auch Dr. Lukas Köhler, Generalsekretär der FDP in Bayern und stellvertretender Fraktionsvorsitzender in Bundestag. Er fügte an, dass ein gut ausgehandelter Koalitionsvertrag alleine keine Garantie für gute Zusammenarbeit sei. Am Ende, so Köhler, sei “guter Umgang und Vertrauen” in einer Koalition essenziell, um mit unvorhergesehenen Situationen, wie zuletzt der Corona-Pandemie, umgehen zu können und handlungsfähig zu bleiben.
Verschiedene Partner auf Zeit trotz “Ampelgeist”
Dass die drei Koalitionsparteien trotz aktuell gutem Umgang und Vertrauen recht unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte vertreten, ist schwer von der Hand zu weisen. Dennoch bemühten sich am Online-Gesprächsabend der Evangelischen Akademie Tutzing am 17. Januar ihre Vertreterinnen und Vertreter darum, Einigkeit zu demonstrieren. Gefragt nach dem für sie jeweils persönlich bedeutsamsten Projekt der Ampel-Regierung nannte die Sozialdemokratin Annette Karl eine “Änderung im Mindset”: Klimaschutz dürfe nicht mehr gegen soziale oder wirtschaftliche Belange ausgespielt werden, die Chancen, die die Dekarbonisierung der Wirtschaft mit sich bringe, müssten genutzt und ärmere Bevölkerungsschichten dürften nicht zu “Opfern der Klimapolitik” gemacht werden. Im späteren Diskurs in der Kleingruppe verteidigte sie konsequenterweise auch die in der nördlichen Oberpfalz umstrittene Stromtrasse “Süd-Ost”-Link. Dieter Janecek lobte die Vorhaben der neuen Regierung im Bereich Klimaschutz. Die vorgesehenen Maßnahmen und Ziele seien “sensationell”, so Janecek. Es gelte nun, alle Bereiche der Politik und der Gesellschaft in den überlebensnotwendigen Kampf gegen den Klimawandel zu integrieren. Für Lukas Köhler ist der Klimawandel “die größte Herausforderung unserer Zeit”. Sie erfordere es, Projekte nicht isoliert, sondern im gesamtpolitischen Kontext zu betrachten. Für ihn ist daher das wichtigste Projekt der “Ampel” der “Abbau von Hürden”, was Innovation und besonders deren Umsetzung angeht. Hier müsse eine ernsthafte Diskussion über die Gewichtung verschiedener Interessen geführt werden, beispielsweise beim Bau neuer Windkraftanlagen. Alle Seiten müssten aber anerkennen, dass “ökologische Grenzen den Handlungsspielraum festlegen” – und deswegen Tempo geboten sei bei der Umsetzung emissionsreduzierender Maßnahmen. Im Ziel ihres gemeinsamen politischen Handelns in den nächste vier Jahren zeigten sich die drei Diskutanten einig. Gerade bei der Frage nach nachhaltiger Energiegewinnung ist Deutschland allerdings, darin waren sich alle Gesprächspartner ebenso einig, auf internationalen Konsens in Europa und der Welt angewiesen.
Einhellige Kritik an der geplanten EU-Taxonomie
Über die Rolle der Gas- und Kernkraft in dieser schwierigen Gemengelage wurde zuletzt in ganz Europa recht hitzig diskutiert, nachdem die EU-Kommission am Silvesterabend einen Entwurf vorlegte, demzufolge Energiegewinnung aus Kern- und Gaskraftwerken zukünftig als “nachhaltig” deklariert werden dürfte. Lukas Köhler kritisierte an diesem Vorhaben, dass der Begriff Nachhaltigkeit ausschließlich auf die Klima-Dimension reduziert werde. Solange aber die Endlagerung der entstehenden radioaktiven Abfälle (und deren Kosten) nicht geklärt seien, könne niemand Kernenergie ernsthaft als nachhaltig bezeichnen. Realpolitisch, so betonte auch Dieter Janecek, sei die Umsetzung der neuen EU- Taxonomieordnung aber kaum noch zu stoppen. Deutschland müsse sich in diesem Fall dem europäischen Entscheidungsprozess beugen, gestand er ein, schließlich sei man “nicht nur für Europa, wenn einem die Mehrheitsverhältnisse passen”. Außerdem sei Stromerzeugung mittels Gaskraftwerken für die Übergangszeit ein notwendiges Übel in der deutschen Energiepolitik, auf das man nun mal angewiesen sei. Das rechtfertige, stellte er klar, jedoch nicht die Klassifizierung der Verbrennung von fossilem Erdgas als “nachhaltig”, die Kraftwerke würden auch so gebaut werden, so Janecek weiter. Annette Karl setzt Hoffnung auf gesellschaftliche Entwicklungen in Frankreich, wo die Kernenergie traditionell ausgiebig genutzt werde. Sie sieht dort ein schwindendes Vertrauen in die Meiler, warum im EU-Parlament unter Umständen eine Mehrheit gegen die Klassifizierung sowohl von Gas- als auch Atomstrom als “nachhaltig” gefunden werden könnte. Sie selbst und ihre Partei seien strikt gegen Kernenergie als Mittel zur Stromerzeugung.
In Kleingruppen – so genannten Breakout-Sessions –, die eine Art digitales World-Café darstellten, mit der Möglichkeit zwischen den Konferenzräumen der Abgeordneten zu wechseln, konnten die Teilnehmenden der Abendveranstaltung direkt mit der Politikerin Annette Karl und ihren Kollegen Lukas Köhler und Dieter Janecek ins Gespräch kommen.
Annette Karl betonte besonders die Notwendigkeit von Bürgerforen und einer besseren Gesprächskultur zwischen Gegnern und Befürwortern von Windparks. Bei jeder genossenschaftlichen Planung sollte es vorgeschriebene Gesprächs- und Diskussionsforen geben. Auch warb sie für ein “Klimageld” zur sozialen Abfederung der manchmal ungerechten Auswirkungen eines höheren CO2-Preises. Staatlich geförderte Vereinsbusse seien ferner eine mögliche Lösung für eine bessere Mobilität in peripheren Räumen. Einen Seitenhieb verteilte Karl an die CSU-geführte Landesregierung: Im Entwurf der Teilfortschreibung des Landesentwicklungsplans finde sich keinerlei Verbesserung beim Ausbau der Windkraft. In der Gruppe mit Dieter Janecek ging es u.a. um internationale Fragen, wie die EU-Taxonomie und multilaterale klimapolitische Verhandlungen über nationale Themen wie den Ausbau erneuerbarer Energien bis hin zu individuellen Themen, wie etwa die Umstellung auf eine pflanzenbasierte Ernährung. Eine Kontroverse, die deutlich wurde, waren “Ausbau von erneuerbaren Energien” im Gegensatz zur alternativ möglichen “Reduzierung unseres Energieverbrauchs”.
Die Gruppe mit Lukas Köhler bearbeitete viele Detailfragen, die auch noch in der Schlussrunde anklangen. Verkehrsinfrastrukturen, Emissionshandel, Energie und Heizkraft aus Biomasse, Photovoltaikanlagen, der Sekundärmarkt für E-Autos, sozial-ökologische Marktwirtschaft, erneuerbare Energien, Außen- und Handelspolitik, und immer wieder der Bezug zum das 1,5-Grad-Ziel – die Themen waren vielfältig und spiegelten nicht nur das tiefe Interesse der Teilnehmerschaft wider, sondern auch ihre Komplexität – sowie die enormen Herausforderungen, vor denen die Ampel-Koalitionäre stehen. Dieter Janecek zeigte sich in seinem Schlusswort beflügelt: “Wir leben in einer tollen Zeit”, sagte er und meinte damit die Gestaltungsmöglichkeiten der Grünen als Regierungspartei hinsichtlich ihrer Kernthemen Klima und Umwelt. Die gewaltige Transformation, in der sich unsere Gesellschaft befände, zeuge auch von gewaltigen Chancen.
Man wolle vorankommen, ergänzte Lukas Köhler. Er verwies auf baldige Umweltpakete der neuen Bundesregierung: Das “Osterpaket” werde unter anderem auf den Ausbau der Photovoltaikanlagen eingehen – ein weiteres Paket sei für den Herbst vorgesehen. Die neue Regierung wird sich daran messen lassen müssen.
Beat Ostermeier / Dorothea Grass / Martin Waßink
Bild: Von links oben im Uhrzeigersinn: Studienleiter Martin Waßink, Annette Karl MdL, Dr. Lukas Köhler MdB und Dieter Janecek MdB während der Online-Diskussion “Ampel auf Grün für Klimaschutz und Wohlstand?”. (Screenshot: eat-archiv)