Wie die politische Mitte gestärkt werden kann
Das Parteiensystem in Europa ist seit geraumer Zeit massiv im Umbruch. Längst ist diese Entwicklung auch in Deutschland angekommen. Ein Umbruch, dessen Ursache tief greifende Veränderungen in der Gesellschaft sind. Stichwort: Populismus. Deutschlands Wahlberechtigte sind zunehmend populistischer eingestellt. Das ist das beunruhigende Ergebnis des kürzlich vorgestellten Populismusbarometer 2018. Erarbeitet wurde er vom Wissenschaftszentrum Berlin und der Bertelsmann Stiftung. Demnach seien besonders die politische Mitte und Wähler der Linkspartei von diesem Stimmungswandel betroffen.
Als Populismus bezeichnen die Autoren dabei eine bestimmte illiberale Vorstellung von Demokratie. Ihre markantesten Kennzeichen sind die Unterscheidung zwischen einem „wahren Volk“ und „korrupten Eliten“ sowie die Idee eines allgemeinen Volkswillens und die Vorstellung gesellschaftlicher Homogenität.
Knapp jeder dritte Wahlberechtigte in Deutschland ist inzwischen populistisch eingestellt, so das Ergebnis der Studie. Gleichzeitig ist die Zahl der eindeutig unpopulistischen Wähler auf gut 32 Prozent gesunken. Dabei gilt: Je höher der Bildungsgrad und das Einkommen, desto weniger verbreitet sind populistische Einstellungen.
Das Konzept der Abschottung
Vor dem Hintergrund zurückliegender und kommender Wahlen stellt sich die Frage, ob der Erfolg der Populisten lediglich Denkzettel-Charakter hat – oder auf einen Strukturwandel hindeutet? Viele Indizien weisen tatsächlich auf einen Strukturwandel hin. Dem ist unsere Gesellschaft aber nicht schicksalhaft ausgesetzt. Es sei denn, sie überlässt die entscheidenden Themen populistischen Kräften. Deren starke Resonanz speist sich aus der Unsicherheit vieler, die sich in ihrem nationalen Lebensgefühl, in ihrer kulturellen Identität in Frage gestellt und wirtschaftlich abgehängt sehen. Sie speist sich vor allem daraus, dass die etablierten Parteien gesellschaftliche Schlüsselthemen vermeiden bzw. nicht offensiv angehen. Das gilt zum Beispiel für soziale Themen, für die weitere Entwicklung des europäischen Integrationsprozesses wie für die Möglichkeiten, Bedingungen und Grenzen von Zuwanderung.
Die Antwort der Populisten ist klar: Ihr Konzept heißt Abschottung. Dabei sind sie Meister im Schüren von Ängsten und Ressentiments. Die Gefahr ist groß, dass der Konflikt über Offenheit und Abschottung unsere Gesellschaft weiter spaltet. Eine Gefahr, die der Europäischen Union und dem Westen insgesamt droht. Schon die Beschränkung der Antwort auf ein Entweder-oder darf man als Erfolg der Populisten werten.
„An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“
Deren Einfluss lässt sich nicht mindern, wenn man auf die Vermeidungsstrategie setzt. Also die relevanten Themen unbearbeitet lässt. Aber auch die Anpassungsstrategie ist wenig Erfolg versprechend. Wer die Positionen der Populisten übernimmt, wertet diese auf. Bleibt allein Mittelweg zwischen Abschottung und Öffnung. Polarisierung und Spaltung lassen sich nicht am gesellschaftlichen und politischen Rand überwinden, sondern nur in der Mitte der Gesellschaft. Sie zu stärken, ist auch die Aufgabe der Kirchen. Eine Woche nach den Landtagswahlen im Freistaat sind die Mitglieder der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern aufgerufen, den Kirchenvorstand zu wählen. Dabei geht es um rund 12.000 ehrenamtliche Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, die zusammen mit den Pfarrerinnen und Pfarrern die Geschicke der Ortsgemeinde lenken. Kirche existiert nicht neben der Gesellschaft. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Populismus auch unter Kirchenmitgliedern verbreitet ist.
Was können die Kirchen nach innen wie nach außen tun? Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann hat Empathie, Demut und Gelassenheit als die „schönsten Früchte des Christentums“ beschrieben. Die Früchte der Populisten fasst Püttmann mit den Begriffen Empathielosigkeit, Hybris und Dauererregtheit zusammen. Folgt man Jesu Hinweis aus der Bergpredigt, Matthäus 7 Vers 16 – „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ –, dann ist dem Politikwissenschaftler eine hilfreiche Merkformel gelungen. Sie hat Kompass-Qualität. Wer sie nutzt, wird Populisten erkennen und nicht auf sie hereinfallen.
Ein Beitrag von Udo Hahn für die Sendung „Zum Sonntag“ von Bayern2. Sendetermin: 13. Oktober 2018 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link geht es zur Homepage der Sendung.
Bild: Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: dgr eat/archiv)