Wer hat die Macht, Stadt zu gestalten?
Und welche Ansprüche und Forderungen haben wir an die Stadt? Um Fragen wie diese ging es in der Online-Veranstaltung “Die Macht und die Stadt” am 11. Februar 2022. Gemeinsam mit Frauke Burgdorff, Stadtbaurätin der Stadt Aachen, diskutierten Architekt Rainer Hofmann, Dramaturg Matthias Lilienthal, Dominik Piétron von der Humboldt-Universität zu Berlin und Astrid Gabler von der Fuggerei Augsburg über die positiven Aspekte von Macht, die auf die Stadt wirken.
Stadt entwickeln bedeutet, sich in einer möglichst zwanglosen Kommunikation auf ein gemeinschaftliches Handeln zu einigen. Mit dieser Anlehnung an Hannah Arendt eröffnete Susanne Wartzeck, Präsidentin vom Bund Deutscher Architekten (BDA), die virtuelle Abendveranstaltung, in der verschiedene Machtbegriffe und deren Wirkung in der Stadt beleuchtet wurden. Die vier Impulsgebenden – Rainer Hofmann, Matthias Lilienthal, Dominik Piétron und Astrid Gabler – fokussierten sich jeweils auf einen spezifisches Spektrum von Macht in der Stadt, wodurch ein breites Themenspektrum abgedeckt wurde: Von der Macht der Verführung und der Bilder hin zur Macht der Daten und des Gemeinwohls. Frauke Burgdorff, Stadtbaurätin der Stadt Aachen, moderierte die Veranstaltung am 11. Februar 2022, die aus einer Kooperation zwischen dem BDA und der Evangelischen Akademie Tutzing entstand. Das Gespräch ist der digitale Auftakt zu einer Tagung, die pandemiebedingt verschoben werden musste und nun im Februar 2023 stattfinden wird.
Mit einem Impuls zur Macht der Verführung stieg Rainer Hofmann, BDA-Mitglied und Architekt bei bogevischs buero architekten & stadtplaner GmbH, in die Diskussion ein. Primär gehe es in der Architektur um den Inhalt, doch, so Hofmann, um sich durchzusetzen und abzugrenzen müsse man für sein Tun werben. Anstatt jedoch das Werben ausschließlich als etwas Notwendiges und Negatives zu betrachten, merkte er auch an, dass die Verführung die Fähigkeit besitze, Interesse zu wecken und Spaß zu machen. Dennoch, während es einerseits reizvoll sei, verführt zu werden, laufe man andererseits Gefahr, den Inhalt zu vergessen, sich im Schein und der Fassade zu verlieren. Deshalb plädierte Rainer Hofmann dafür, gerade bei Gebäuden mit hoher “Gestaltqualität” zu reflektieren, weshalb uns diese zum Staunen bringen, warum ihnen Qualität innewohnt und was in ihnen und in dem Stadtteil passiert, in dem sie stehen. Die Innenstädte hätten sich durch zunehmende Kommerzialisierung beispielsweise lange Zeit in die falsche Richtung entwickelt und dadurch eine “Leerstandskrise”, wie Matthias Lilienthal sie bezeichnet, herbeigeführt. Nun müssten wir uns fragen, was uns eigentlich interessiere: Es brauche einen Paradigmenwechsel und neue Bilder.
Architektur als kommunikativer Prozess
Mit ebendiesen Bildern beschäftigte sich Matthias Lilienthal, Dramaturg und Intendant sowie “Unruhestifter im besten Sinn”, wie Frauke Burgdorff findet. Als Lilienthal das Begriffspaar “Macht der Bilder” wählte, habe er aus der Verantwortungslosigkeit der Kunst heraus gedacht. Besonderes Interesse habe er daran, Gegenbilder zu entwerfen und eine gewisse Reibung zwischen diesen und der Realität zu erzeugen. Architektur sei für ihn ein kommunikativer Prozess, der sich den Bedürfnissen der Bürgerschaft anpassen und einen Entwurf für die Zukunft setzen müsse. So sei der Demokratiegedanke über das Glasdach des 1972 erbauten Olympiastadions in München transportiert worden: Konzerte und Veranstaltungen könnten vom Olympiaberg aus kostenlos von Menschen ohne Eintrittskarte rezipiert werden – ein demokratischer Begriff von Architektur, den Matthias Lilienthal heute vermisst. Ebenso fehle ihm ausreichende Rücksichtnahme auf Aspekte wie Klimaschutz und Nachhaltigkeit, auf die in Zukunft verstärkt geachtet werden müsse.
Mit der Macht von Daten beschäftigte sich Dominik Piétron, der am Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin im Lehrbereich Soziologie der Zukunft der Arbeit tätig ist. Warum er die Welt der Daten als Machtraum bezeichne, fragte Frauke Burgdorff, woraufhin Piétron an Rainer Hofmanns Begriff der Verführung anknüpfte: Datenbasierte Räume wie Computer und der “digitale Kapitalismus” als Ganzes hätten in ihrem Kern das Prinzip der Verführung, die dadurch wiederum zum dominanten Machtmodus unserer Gesellschaft werde. Große datengetriebene Konzerne wie Google, Amazon, Facebook, aber auch Booking und Airbnb hätten analysiert, was uns in den digitalen Raum zieht und dadurch unsere Schwachstellen identifiziert. Das Problem sieht Dominik Piétron unter anderem darin, dass diesen Plattformen eine enorme Machtposition zukommt, während die Unternehmen dahinter einer Logik der Profitvermehrung folgen. Man müsse darüber nachdenken, wie man einen gemeinwohlorientierten Hybrid aus Analogem und Digitalem kreieren könne. Hierfür brauche es vor allem mehr selbstverwaltete, kommunale Initiativen, wie es beispielsweise Stadtportale vormachen. Digitale Räume, so Piétron, müssten genauso geplant werden wie analoge Räume auch, deshalb wolle er Architektinnen und Architekten dazu anhalten, die “digitale Stadt” nicht als Konkurrenzbereich zu sehen, sondern als erweitertes Spielfeld, in dem agiert werden kann.
Gemeinwohl kann Maßstäbe setzen
Über das Gemeinwohl sprach auch Astrid Gabler, Leitung der Abteilung Kommunikation und Programme der Fuggerei Augsburg. Frauke Burgdorff wies zugleich auf zwei distinkte Kräfte hin, die der im Jahr 1521 gegründeten Stiftung innewohnen: Einerseits hatte es Jakob Fugger geschafft, ein mächtiges Handelsimperium aufzubauen. Andererseits nutzte er das dadurch zustande gekommene Kapital dafür, sich über die Fuggerei für das Gemeinwohl einzusetzen. Das Gemeinwohl, findet Gabler, habe die Macht, Wirkung zu erzeugen und Maßstäbe zu setzen: Mit seiner Stiftung habe er nicht nur Menschen in Not ein “selbstbestimmtes Leben in Würde” ermöglichen wollen, sondern auch ein Exempel statuieren wollen, das als Vorbild für weitere Projekte gemeinnütziger Art dienen kann. Sie appellierte deshalb, dieses gemeinwohlorientierte Konzept der Fuggerei zu übernehmen und in unseren Städten zu vervielfältigen. In diesem Zusammenhang wies Astrid Gabler auf das Projekt zum 500-jährigen Jubiläum “Fuggerei NEXT500” hin, in dessen Rahmen erschlossen werden soll, welche Impulse die Stiftungsidee für die Zukunft liefert und wie sie zur Lösung globaler Herausforderungen beitragen kann.
Was ließ sich schlussendlich mitnehmen aus diesem virtuellen Gespräch über die Spektren von Macht in der Stadt? Die Impulsgebenden luden zu einer Neuausrichtung in vielerlei Hinsicht ein. Es brauche zum Beispiel mehr Partizipation und Demokratie: den Bedürfnissen und Interessen der Bürger:innen – ganz besonders der jungen Menschen – müsse mehr Beachtung zukommen, ebenso der Ressourcenfrage. Man müsse Nachhaltigkeit zu einer Priorität machen und neben klimafreundlichen Materialien auch die Strukturen nutzen und umdisponieren, die bereits existieren. Außerdem brauche es mehr gemeinnützige Projekte und Räume, die gemeinschaftliches Handeln fördern – auch in der digitalen Welt, beispielsweise durch mehr Open Source-Initiativen.
Die Veranstaltung am 11. Februar endete mit facettenreichen Impulsen, die im Rahmen der Tagung im Februar 2023 aufgegriffen, vertieft und erweitert werden.
Alessia Neuner
Bild: Matchmaker © Alice Horbelt