Was bedeutet Bonhoeffer jungen Leuten?
„Wie werden wir handlungsfähig angesichts von Herausforderungen wie zunehmendem Rechtsextremismus, aber auch von entscheidenden Zukunftsfragen wie dem Klimawandel?“ Das ist für Tanja Fichtner eine der Grundfragen, vor der die evangelische Jugendarbeit steht. Gemeinsam mit der Evangelischen Gedenkstättenarbeit in Flossenbürg und der Evangelischen Jugend in Bayern (EJB) hatte sie zum 75. Todestag Dietrich Bonhoeffers ein Internationales Jugendtreffen geplant, das wegen der Coronakrise abgesagt werden musste. Warum die Ethik Bonhoeffers auch für junge Menschen heute relevant bleibt, erzählt sie im Interview.
In der Karwoche 2020 war ein internationales Jugendtreffen „mensch.bonhoeffer“ auf dem Gelände des ehemaligen KZ in Flossenbürg geplant. Wie und wann entstand die Idee hierzu?
Das Internationale Jugendtreffen in Flossenbürg war eine gemeinsame Initiative der Evangelischen Gedenkstättenarbeit in Flossenbürg und der Evangelischen Jugend in Bayern. Die Planungen begannen im Jahr 2018 mit dem ganz starken Gefühl: Bonhoeffer, die Frage nach Widerstand gegen menschenfeindliche Parolen und Tendenzen, die Frage nach politischem Engagement – und zwar nach einem reflektierten Engagement aus dem christlichen Glauben – das ist genau das, was wir jetzt brauchen.
Das wunderbare Format des internationalen Jugendtreffens in Flossenbürg hat ja in der Evangelischen Jugend Tradition und schon einige Generationen von EJ-lern gesellschaftspolitisch geprägt. Dank der guten Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte in Flossenbürg haben wir ein Konzept entwickelt, dieses Format für das Jahr 2020 neu aufzulegen und weiterzuentwickeln.
Was war Ihnen und Ihrem Team dabei wichtig?
Ganz wichtig war uns unter anderem der internationale Dialog und die verbindende Kraft der Persönlichkeit Bonhoeffers. Angemeldet war unter anderem eine Studierendengruppe aus Chicago unter Leitung von Reggie Williams, der über die Prägung von Bonhoeffer durch die schwarze Kirche in Harlem berichten wollte. Außerdem Jugendgruppen aus Partnerkirchen der ELKB aus Schweden, Ungarn, Polen und Tschechien und eine interreligiöse Jugendgruppe aus Belarus. Und natürlich hatten auch Jugendgruppen aus diversen bayerischen Dekanaten ihr Kommen fest zugesagt – alle hatten sich in einem fast zweijährigen Prozess mit ihren Themen und Wünschen an das Jugendtreffen eingebracht.
Das Motto lautete „Freiheit wagt zu handeln“. Was verstehen Sie darunter?
Wie werden wir handlungsfähig angesichts von Herausforderungen wie zunehmendem Rechtsextremismus, aber auch von entscheidenden Zukunftsfragen wie dem Klimawandel? Das ist für uns eine Grundfrage, der sich evangelische Jugendarbeit stellen muss. Dietrich Bonhoeffer gibt auf diese Frage in seiner Ethik sehr differenzierte Antworten – und er gibt mit seinem Leben sehr klare und deutliche Antworten, die auch für Jugendliche ein Vorbild sein können.
Für mich persönlich bedeutet „Freiheit wagt zu handeln“ ein Handeln aus dem Vertrauen daraus, dass wir handeln dürfen, auch wenn die letzten Konsequenzen unserer Handlung in Gottes Hand liegen.
Sind Dietrich Bonhoeffer und seine Theologie nicht etwas verstaubt oder zumindest zu „trocken“ für junge Menschen heute?
Das ist schon eine echte Herausforderung, oder? Bonhoeffer selbst war ja ein begnadeter Jugendarbeiter, und zwar mit ganz klassischen Methoden wie Wochenenden mit seiner Konfirmandengruppe im Ferienhaus der Familie. Bei seinen Texten hat er sich aber tatsächlich nicht immer Mühe gegeben, was einen leichten Zugang angeht – und leicht gemacht beim Denken hat er es sich auch nicht. Das Vorbereitungsteam hat sich dem aber sehr gerne gestellt, und ich glaube, dass wir ein sehr spannendes Programm zusammengestellt hatten, das alles andere als angestaubt war.
Nun musste das Treffen aufgrund der Corona-Epidemie abgesagt werden. Wie gehen Sie mit der Absage um? Gibt es Pläne für eine Neuauflage?
Zum Gedenken an Bonhoeffers 75. Todestag hat das Organisationsteam um Gisela Baur-Pajak und Benjamin Greim nun zu zwei digitalen Aktionen eingeladen, die am 9. April 2020 online veröffentlicht werden. Auch die Tradition der jährlichen Veranstaltungen zu Bonhoeffers Todestag wird mit Sicherheit fortgeführt. Wann dies auch wieder in Form von internationalen Begegnungen möglich sein wird, ist leider derzeit genausowenig absehbar wie die Planung aller anderen internationalen Jugendbegegnungen – man denke nur an die Folgen der Grenzschließung zu unseren unmittelbaren Nachbarn in Tschechien.
Das Interview führte Martin Waßink, Studienleiter für Wirtschaft und Arbeitswelt und Nachhaltige Entwicklung. Er war für die Evangelische Akademie Tutzing als Kooperationspartner für einen Teil des Projekts „mensch.bonhoeffer“ zuständig.
Tanja Fichtner leitete bis 31.12.2019 die Projektstelle Gedenken & Versöhnen im Dekanat Weiden. Jetzt ist sie Pädagogische Leiterin des Zentrums für regionale Bildung gGmbH (ZRB) an der vhs Weiden-Neustadt.
Bild: Tanja Fichtner (Foto: Jasmin Schießel)