“Von guten Mächten wunderbar geborgen”

Es ist sein letzter Text, ein persönlicher Gruß aus dem Gefängnis zum Weihnachtsfest, – adressiert an seine Familie und seine Verlobte. Dietrich Bonhoeffers Gedicht von den guten Mächten, aufgeschrieben vor achtzig Jahren, am 19. Dezember 1944, tröstet Menschen bis heute. Akademiedirektor Udo Hahn erinnert an den vielleicht bedeutendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts.

Er ist bösen Mächten ausgeliefert – und schreibt von guten Mächten. Seit dem 5. April 1943 sitzt er im Gefängnis. Wehrkraftzersetzung wirft ihm die NS-Justiz vor. Dietrich Bonhoeffer ist ein Beispiel für Zivilcourage. Er erkennt früh das wahre Gesicht der Diktatur des Nationalsozialismus und schließt sich der Bekennenden Kirche an. Die Oppositionsbewegung der evangelischen Kirche wehrt sich tapfer, dass das nationalsozialistische Gedankengut Theologie und Predigt prägt. Bonhoeffer ist fromm und politisch zugleich, wie es sich in der nur mündlich überlieferten Aussage aus dem Jahre 1938 andeutet: “Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen.”

Dass der Theologe zum Kreis der Verschwörer des 20. Juli 1944 gehört, als das Attentat auf Adolf Hitler scheitert, weiß die Justiz bei seiner Verhaftung noch nicht. Wenige Wochen zuvor, am 7. Januar 1943, verlobt er sich mit der achtzehn Jahre jüngeren Maria von Wedemeyer. Tagebuchaufzeichnungen und Briefe geben einen Eindruck, wie es ihm im Gefängnis ergeht.

Die Verhöre ziehen sich hin, zu einer Anklage ist es noch nicht gekommen. Kurz vor dem Weihnachtsfest 1943 schreibt er am 17. Dezember: “Liebe Eltern! Es bleibt mir wohl nichts übrig, als euch für alle Fälle schon einen Weihnachtsbrief zu schreiben. Wenn es mir auch über mein Begriffsvermögen geht, dass man mich möglichweise über Weihnachten hier sitzen lassen will, so habe ich in den vergangenen achteinhalb Monaten doch gelernt, das Unwahrscheinliche für wahrscheinlich zu halten… Ihr müsst nun vor allem nicht denken, dass ich mich niederschlagen lasse, in der Reihe der verschiedenartigen Weihnachten, die ich in Spanien, in Amerika, in England gefeiert habe, wird dieses für immer seinen besonderen Platz einnehmen, und ich will in späteren Jahren nicht beschämt, sondern mit einem gewissen Stolz an diese Tage zurückdenken. Es kann mir niemand nehmen. Dass es nun aber auch euch, Maria, den Geschwistern und Freunden nicht erspart bleibt, mich zu Weihnachten im Gefängnis zu wissen, kann ich nur dadurch verwinden, dass ich glaube und weiß, dass auch ihr so denkt…”

Zwei Tage vor dem Fest erhält seine Verlobte die Besuchserlaubnis, bringt ihm Bücher und Gebäck ins Gefängnis. Am 25. Dezember schreibt er in einem Brief: “Die Zuversicht, euch wiederzusehen, hat das Bedrückende überwogen. Ich habe mir Marias Kerze angezündet, die Weihnachtsgeschichte gelesen, Weihnachtslieder vor mich hin gesummt und an euch gedacht!”

Ein Jahr später ist die Stimmung eine andere. Bonhoeffer hängt an seinen Brief vom 19. Dezember 1944 an seine Verlobte noch ein siebenstrophiges Gedicht an. Es ist sein letztes schriftliches Dokument, sein theologisches Vermächtnis. Seine Wirkung reicht weit über die Kirchen hinaus, die ihn, der am 9. April 1944 im KZ Flossenbürg ermordet wird, als ökumenischen Märtyrer verehren.

Mehr als siebzig Komponisten weltweit haben das Gedicht von den guten Mächten inzwischen vertont. Es versucht, Leid zu verarbeiten ganz ohne religiöses Pathos. Es spricht von Glaubenserfahrungen, ohne dass “Glaube” als Begriff vorkommt.

Es sind persönliche Zeilen, ganz konkret auf seine Familie und seine Verlobte bezogen. Auch in der Haft ist er ihnen aufs Innigste verbunden, bereit, das Unaushaltbare doch auszuhalten – ganz in der Tradition der biblischen Psalmen. Aufgeschreckte Seelen vermag der Glaube an Gott zu beruhigen, zu trösten, Kraft zu geben, sich in das womöglich Unabwendbare zu fügen. Seine ganz persönliche Überzeugung formuliert Dietrich Bonhoeffer in der letzten Zeile der Schlussstrophe so: “Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.” Mehr und anderes kann lässt sich über den Glauben nicht sagen.

Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing

Mehr lesen:

  • “Wem gehört Bonhoeffer?” Artikel von Udo Hahn in der aktuellen Ausgabe 3/24 von “Einsichten und Aussichten” (Zeitschrift der Bayrischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit), S. 71-78, abrufbar unter diesem Link.
  • Der Band “Dietrich Bonhoeffer – Von guten Mächten wunderbar geborgen” von Akademiedirektor Udo Hahn liegt in dritter Auflage vor. Er ist im Verlag Butzon & Bercker in Kevelaer erschienen, umfasst 122 Seiten und kostet 11,95 Euro.
  • weitere Links:
    “Bonhoeffer zu lesen, lohnt sich”, Interview mit Udo Hahn vom Juli 2022, hier abrufbar;
    Zum 75. Todestag Bonhoeffers, Artikel von Udo Hahn vom April 2020, hier abrufbar.

HINWEIS
Unter dem Titel “Wem gehört Bonhoeffer?” veranstaltet die Evangelische Akademie Tutzing in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg eine Tagung am 7./8. April 2025 in Kooperation mit der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten. Weitere Informationen finden Sie hier.

Bild: Dietrich Bonhoeffer im August 1939 (Quelle: Bundesarchiv / Bild 146-1987-074-16 / CC-BY-SA 3.0)

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