FEMINISTISCHEN PERSPEKTIVEN GEHÖR VERSCHAFFEN
War der Begriff 'Systemrelevanz' in der Finanzkrise 2008/09 noch ein Argument zur Bankenrettung, hat er in der Coronakrise eine Ausweitung in eine ganz andere Richtung erfahren. Während manche Fachleute in der Ökonomie meinen, die aktuelle Situation sei aufgrund der Aufrechterhaltung der "systemrelevanten" Industrieproduktion und der Arbeitsplätzesicherung durch Kurzarbeit nicht gar so schlimm, erleben viele Menschen derzeit eine durchaus tiefgreifende Krise. Sie leiden unter den sozialen und finanziellen Einschränkungen, unter prekäreren Bildungsbedingungen, schwierigen Fürsorgeverhältnissen und oftmals auch unter der Gefährdung der beruflichen Existenz. Allen fehlt die Kultur, den Kulturschaffenden fehlt ihre Arbeit. Gerade für die von der Krise am stärksten Betroffenen heißt "Systemrelevanz" etwas ganz anderes als die Aufrechterhaltung von "shareholder value" oder Wachstumsquoten, die zudem durch die ökologische Krise stark an Legitimität eingebüßt haben. Viele erleben als "systemrelevant" vielmehr die personelle und materielle Unterstützung durch Pflege- und Betreuungseinrichtungen, medizinische Versorgung, bürgerschaftliche und private Netzwerke sowie staatliche bzw. kommunale Angebote unterschiedlichster Art, die ihnen helfen, die Krise zu meistern.
Während die lokalen und globalen Frauenbewegungen schon seit vielen Jahrzehnten um Anerkennung für Care-Arbeit kämpfen, etwa wenn sie die schlechte Bezahlung und die belastenden Arbeitsbedingungen in den von Frauen dominierten Sozial- und Pflegeberufen kritisieren, hat die Pandemie das Thema in die Mitte der Gesellschaft getragen. Gleichzeitig wurden rassistische Strukturen in der Gesellschaft stärker problematisiert, auch dank der internationalen Black-Lives-Matter-Bewegung. Nicht zuletzt hat uns die Pandemie erneut gezeigt, dass zerstörerische Eingriffe in die Ökologie allen schaden.
Kann sich die feministische, intersektionale Kritik in dieser Situation Gehör verschaffen? Bleibt es bei kleinen Korrekturen oder setzt ein breiteres Nachdenken über eine geschlechtergerechte Verteilung von Chancen, ein ökologisch verträglicheres Wirtschaften und eine geeignete Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit ein? Wie gelingt es uns, Gerechtigkeit, Demokratie, Ökologie, Ökonomie, Care und eine rassismusfreie Gesellschaft zusammen zu denken?
Leider ist eine Präsenz-Tagung nicht möglich. Das Netzwerk Genderforschung und Gleichstellungspraxis Bayern (NEGG) und die Evangelische Akademie Tutzing laden Sie zu Vorträgen und Diskussionen online ein!
Udo Hahn, Akademiedirektor, Evangelische Akademie Tutzing
War der Begriff 'Systemrelevanz' in der Finanzkrise 2008/09 noch ein Argument zur Bankenrettung, hat er in der Coronakrise eine Ausweitung in eine ganz andere Richtung erfahren. Während manche Fachleute in der Ökonomie meinen, die aktuelle Situation sei aufgrund der Aufrechterhaltung der "systemrelevanten" Industrieproduktion und der Arbeitsplätzesicherung durch Kurzarbeit nicht gar so schlimm, erleben viele Menschen derzeit eine durchaus tiefgreifende Krise. Sie leiden unter den sozialen und finanziellen Einschränkungen, unter prekäreren Bildungsbedingungen, schwierigen Fürsorgeverhältnissen und oftmals auch unter der Gefährdung der beruflichen Existenz. Allen fehlt die Kultur, den Kulturschaffenden fehlt ihre Arbeit. Gerade für die von der Krise am stärksten Betroffenen heißt "Systemrelevanz" etwas ganz anderes als die Aufrechterhaltung von "shareholder value" oder Wachstumsquoten, die zudem durch die ökologische Krise stark an Legitimität eingebüßt haben. Viele erleben als "systemrelevant" vielmehr die personelle und materielle Unterstützung durch Pflege- und Betreuungseinrichtungen, medizinische Versorgung, bürgerschaftliche und private Netzwerke sowie staatliche bzw. kommunale Angebote unterschiedlichster Art, die ihnen helfen, die Krise zu meistern.
Während die lokalen und globalen Frauenbewegungen schon seit vielen Jahrzehnten um Anerkennung für Care-Arbeit kämpfen, etwa wenn sie die schlechte Bezahlung und die belastenden Arbeitsbedingungen in den von Frauen dominierten Sozial- und Pflegeberufen kritisieren, hat die Pandemie das Thema in die Mitte der Gesellschaft getragen. Gleichzeitig wurden rassistische Strukturen in der Gesellschaft stärker problematisiert, auch dank der internationalen Black-Lives-Matter-Bewegung. Nicht zuletzt hat uns die Pandemie erneut gezeigt, dass zerstörerische Eingriffe in die Ökologie allen schaden.
Kann sich die feministische, intersektionale Kritik in dieser Situation Gehör verschaffen? Bleibt es bei kleinen Korrekturen oder setzt ein breiteres Nachdenken über eine geschlechtergerechte Verteilung von Chancen, ein ökologisch verträglicheres Wirtschaften und eine geeignete Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit ein? Wie gelingt es uns, Gerechtigkeit, Demokratie, Ökologie, Ökonomie, Care und eine rassismusfreie Gesellschaft zusammen zu denken?
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Udo Hahn, Akademiedirektor, Evangelische Akademie Tutzing
Die Evangelische Akademie Tutzing ist Mitglied der Evangelischen Akademien in Deutschland (EAD) e.V., Berlin.