DAS SYSTEM MUSS SICH ÄNDERN.
Karl Lauterbach
In zwei Pandemiejahren hat das Gesundheitssystem die Gesellschaft vor dem Kollaps bewahrt. Droht nun der Gesundheitsversorgung selbst der Zusammenbruch? Energiepreise und Inflation treiben Kliniken in die Insolvenz, der Personalmangel verschärft die Situation zusätzlich.
Die Ökonomie ist ein bestimmender Faktor in der Medizin geworden. Seit gut 20 Jahren hängen die „Fallpauschalen“ dem Patienten ein Preisschild um, wenn er ins Krankenhaus kommt. Entscheiden noch die behandelnde Ärztin und der Patient über die medizinischen Maßnahmen oder ist es längst das Klinikmanagement? Selbst die Seelsorge gerät in den Sog der Wirtschaftlichkeit, wenn angesichts einer zunehmend klammen Kirche die Frage aufkommt, wer zukünftig die Stellen zahlt.
Der Bundesgesundheitsminister hat markig eine große Krankenhausreform angekündigt: „Revolution“! Das System müsse „entökonomisiert“ werden, indem außerhalb des Fallpauschalensystems eine Grundversorgung lokal vorgehalten und finanziert werde, komplexe Eingriffe aber nur noch in regionalen Zentren oder gar in spezialisierten Maximalversorgern vorgenommen würden. Die Länder, allen voran Bayern, protestieren und sehen gerade so die Nahversorgung in Gefahr. Währenddessen schreitet die Ökonomisierung geschmeidig voran. Hausarztpraxen etwa werden an gewinnorientierte Konzerne verkauft, die sie in Medizinische Versorgungszentren (MVZ) umwandeln: Ausverkauf oder Qualitätssteigerung der Nahversorgung?
All das geht einher mit einem tiefgreifenden Wandel im Berufsbild: Jüngere Medizinerinnen und Ärzte wollen nicht mehr 24/7 für Hausbesuche zur Verfügung stehen oder in 36-Stunden-Schichten die eigene Gesundheit riskieren – wer wollte es ihnen verdenken! Arbeit ist längst nicht mehr alles im Leben. Aber lässt sich das verbinden mit einem Beruf, der schon immer auch Berufung war? Wie fügt sich der Anspruch, weniger und bewusster zu arbeiten, ein in ein System, in dem Personal knapp ist und das wir alle mit immer höheren Erwartungen überfrachten? Denn „Gesundheit ist alles“ heißt es doch so oft und so soll das System bitteschön auch „alles“ bieten – am besten zum Nulltarif.
Zwischen Kapital und Revolution, Schichtplan und New Work sowie überzogenen Erwartungen und berechtigten Ansprüchen diskutieren wir mit akademischen Fachleuten aus Theologie, Ökonomie und Medizin sowie mit Menschen aus Praxis und Politik über die Gesundheitsversorgung der Zukunft. Wir laden Sie herzlich ein!
Prof. Dr. med. Andreas Mackensen,
Direktor der Medizinischen Klinik 5 Hämatologie & Internistische Onkologie, Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. theol. Arne Manzeschke,
Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern; Professor für Ethik Anthropologie und Ethik für Gesundheitsberufe, Evangelische Hochschule
Pfr. Dr. theol. Hendrik Meyer-Magister,
stellvertretender Direktor, Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care, Evangelische Akademie Tutzing
Die Evangelische Akademie Tutzing ist Mitglied der Evangelischen
Akademien in Deutschland (EAD) e.V., Berlin
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