ICH FÜHLE MICH NICHT MEHR ALS OPFER.
Maria-Andrea W.
Um so weit zu kommen, mussten Überlebende von Missbrauch und Gewalt oft einen langen Weg zurücklegen. Einen Weg, auf dem sie lernen mussten, die Täter und Täterinnen zu benennen und sich ihnen entgegen zu stellen. Einen Weg, auf dem sie auch ihr Umfeld konfrontierten, in dem es häufig Mitschuldige gab: Eltern, die nichts hören wollten, Pädagogen, die nicht reagierten, Einrichtungsleiter, die Taten deckten und vertuschten, Ärzte, die Anzeichen nicht zu deuten wussten usw.
Erst seit 2010 ist die Aufarbeitung von sexueller Gewalt gegen Kinder – ausgelöst durch Enthüllungen aus Internatsschulen – in Deutschland zum Politikum geworden. Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs ist die politische Stimme für das Thema und Wächter über den Fortgang der Aufarbeitung. Dafür hat er eine Kommission berufen, die Anhörungen durchführt, das Geschehene dokumentiert, wissenschaftlich analysiert und die politischen Konsequenzen berät. Neben Zusammenschlüssen von Betroffenen einzelner Institutionen wurde außerdem ein zentraler Betroffenenrat gegründet, in dem Menschen sitzen, die sich oft schon seit Jahren für Aufklärung und Aufarbeitung einsetzen. Sie helfen damit auch Leidensgenossen. Die Opfer familiärer Gewalt etwa können meist auf keine Kompensationen und auch keine Bestrafung der Täter mehr hoffen. Umso wichtiger sind die Möglichkeiten, gehört zu werden und sprechen zu können.
Kirchliche Einrichtungen bemühen sich inzwischen auch um Aufklärung. Gerade wurde der umfangreiche Abschlussbericht zu den Gewalt-taten bei den Regensburger Domspatzen vorgelegt. Das Leid der Kinder kann nicht wirklich „wiedergutgemacht" werden, aber Aufarbeitung und Anerkennung der Schuld sind das Mindeste, was für die Opfer geleistet werden muss. Auch eine finanzielle Entschädigung kann in manchem Fall ein wenig helfen.
Die Tagung will zeigen, wie sehr wir die Bemühungen um Aufklärung brauchen, um den Betroffenen gerecht zu werden und weitere Taten zu verhindern. Die Taten lassen sich nie auf die Beziehung zwischen Tätern und Opfern reduzieren, sondern beziehen ein breiteres Umfeld ein. Als Gesellschaft, als Eltern, als Familien und Fachleute müssen wir auch lernen hinzuschauen und die Gefahren zu erkennen, denn jeder Fall ist einer zu viel.
Freundliche Einladung in die Evangelische Akademie Tutzing!
Dr. Ulrike Haerendel, Studienleiterin, Evangelische Akademie Tutzing