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Es muss alsdann gestorben sein
So zitiert Dorothee Sölle in ihrem Buch „Mystik des Todes“ (2003) eine Zeile aus dem „Sterbelied“ des Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel (1667)
Aufgemerkt! Vom freiverantwortlich entschiedenen Suizid spricht der Dichter sicher nicht, wenn er sein „Sterbelied“ mit folgenden Worten beendet: „Es ist genug! Es sei also gestorben!“ Vielmehr geht es um ein von Mühe und Last aber auch von Gewissheit geprägtes Sich-Hineingeben in den Kreislauf des Lebens. Dazu gehört eben auch der Tod – unberechenbar und unvermeidbar. Man wird ihn immer fürchten, kann ihn aber auch ersehnen und muss ihn dennoch abwarten. So das Denken und Reden vom Tod der allermeisten Menschen über Jahrtausende hinweg.
Das hat sich geändert. Der Tod ist nach wie vor unvermeidbar – aber er scheint berechen- und verhandelbar. Wir trotzen ihm zunehmend Lebensjahre ab und wir wollen die Oberhand über die Entscheidung erlangen: Wir wollen Kontrolle! Das ist in Ordnung. Aber es hat Konsequenzen, die beim Namen genannt werden müssen, wenn wir nicht in eine Falle tappen wollen: Es wird nämlich seinen Preis haben, die Kontrollrechte gegenüber Gevatter Tod einzufordern. Kennen wir diesen Preis wirklich? Werden wir ihn bezahlen?
Der barock gedichtete Satz von Herzog Anton benennt in bemerkenswerter Klarsicht, was heute oft zitiert wird: Jemand könnte „Genug!“ rufen. Heute sind es aber nicht nur Lebensmüde, Lebenssatte und Leidensgeplagte, sondern viel zu oft auch Außenstehende und indirekt Beteiligte, die dieses „Genug!“ in werbende oder fordernde Worte kleiden. Und in großer Nähe zum Sterbewunsch und zur Sterbehilfe werden Fragen der Allokation und der Triage in der Coronakrise diskutiert: Wer bekommt wann welche (lebensrettende) Behandlung und Ressource zugewiesen? Warum sollten Alte das gleiche Recht haben, wie Junge? Haben die Alten nicht „genug“ gelebt? Warum spenden nicht genug Menschen Organe? Müsste man sie ihnen nicht wegnehmen, solange sie nicht widersprechen, weil wir nicht „genügend“ davon haben? Hilft das Konzept des Hirntods, das Faktum des Sterbenmüssens zu entschärfen? Meint „Freiverantwortlichkeit“, dass wir frei von Verantwortung leben und sterben können? Und schließlich: Entdecken wir Spuren davon, wie all diese Themen zusammenhängen?
Genug der Fragen! Sie spiegeln unser Denken, Glauben und Fühlen angesichts des Todes – und damit unser Handeln. Beim diesjährigen Medizin-Theologie-Symposium wollen wir das eine oder andere „auf den Begriff“ bringen, um die nötigen Konsequenzen für unser weltliches und kirchliches Handeln in den Blick zu bekommen. Wir freuen uns auf spannende und anregende Vorträge und Diskussionen und laden dazu herzlich in die Evangelische Akademie Tutzing ein.
Pfr. i.R. Frank Kittelberger
Ehemals Studienleiter für Ethik in Medizin und Gesundheitswesen, Pastoralpsychologie und Spiritual Care an der Evangelischen Akademie Tutzing
Prof. Dr. med. Andreas Mackensen
Direktor der Medizinischen Klinik 5 -Hämatologie & Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. theol. habil. Arne Manzeschke
Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen der ELKB, Professor für Anthropologie und Ethik für Gesundheitsberufe an der Evangelischen Hochschule Nürnberg