Entwicklung einer transformatorischen Staatlichkeit
In der politischen Rhetorik der vergangenen Jahrzehnte wurde der Staat oft als gefräßig und schwerfällig zum Auslaufmodell erklärt, das weder mit der Effizienz noch mit der Dynamik der Privatwirtschaft mithalten kann. Der Staat sei das Problem und nicht die Lösung. Privatwirtschaftliche Mechanismen und Framings gewannen angesichts einer weithin wahrgenommenen Politikschwäche auch in jenen Bereichen an Bedeutung, in denen Privatisierung kein Thema war. Zukunftsweisende Problemlösungen außerhalb der Privatwirtschaft wurden am ehesten der Zivilgesellschaft zugetraut.
Seit einiger Zeit ist jedoch ein wachsendes Interesse an den Kernfunktionen und an den Kernvoraussetzungen von Staatlichkeit, aber auch an Überlegungen zu einem unternehmerischen Staat zu beobachten. Gleichzeitig brachte der politische Populismus eine neue Art Handlungsfähigkeit des Staats auf die politische Agenda. Vor dem Horizont globaler Probleme erscheint das Potential populistischer Priorisierungen des nationalen Interesses jedoch wenig zielführend. Insgesamt kann sich die Ko-Evolution von öffentlichen und privaten Sphären in unterschiedliche Richtungen entwickeln – auch in Richtung einer pathologischen wechselseitigen Durchdringung beider Bereiche. Handlungsfähigkeit und problemadäquates Wirken des Staats im Sinne öffentlicher Interessen sind auf Voraussetzungen angewiesen, deren Herstellung weder im Bereich rechtlicher noch politischer Mechanismen liegt. Staatsskepsis ist im Lichte von Staatsversagen und Gefahren der Usurpation staatlicher Machtmittel durch Partikularinteressen auch verständlich. Indes: Der Entwicklung einer handlungsfähigen Agentur für genuin öffentliche Güter und Interessen kommt entscheidende Bedeutung in gesellschaftlichen Transformationsprozessen zu. Wo diese schon begonnen haben. wird das nur allzu ersichtlich (Stichworte: Klimawandel und Digitalisierung). Ihr Problemhorizont ist mit den Herausforderungen zu vergleichen, die in der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert zu einer grundlegenden Neuorientierung öffentlicher Institutionen und Organisationen führte. Damals entstand der Sozialstaat.
Kann sich auch heute eine transformatorische Staatlichkeit entwickeln? Welchen Beitrag könnten die Wirtschaftswissenschaften liefern? Welche Bedeutung kommt hierbei dem schwierigen Spannungsfeld von supranationalem Regelungsbedarf, Politikschwäche und dem nationalen Interesse als Gravitationszentrum neuer Handlungsfähigkeit zu? Und wie steht es um die Weiterentwicklung der gesamten institutionellen Architektur wie etwa Infrastrukturen in den Bereichen digitale Ökonomie und ökologische Mobilität?
Wir laden alle Interessierten sehr herzlich nach Tutzing ein und bitten auch, den Call for Papers für den offenen Tagungsteil zu beachten und an Interessierte weiterzuleiten.
Dr. Martin Held, Evangelische Akademie Tutzing
Prof. Dr. Ulrich Klüh, Hochschule Darmstadt
Prof. Dr. Richard Sturn, Universität Graz
OFFENER TAGUNGSTEIL
Das Programm und den Ablauf zum offenen Tagungsteil finden Sie auf unserer Homepage: https://www.ev-akademie-tutzing.de/veranstaltung/der-staat-in-der-grossen-transformation/ unter dem Button "Mehr zum Thema".
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