SIE LEBTE, REDETE UND SCHRIEB IN FRANKREICH UND DEUTSCHLAND UND FÜR BEIDER VERSÖHNUNG.
Der Spiegel, 11.12.1967
Als „der Spiegel" diesen Satz aus Anlass des Todes von Annette Kolb vor 50 Jahren schrieb, war die deutsch-französische Aussöhnung schon Rea-lität geworden. Den Abschluss des Freundschaftsvertrages zwischen beiden Ländern, den sie von Herzen mitgewollt und mitbefördert hatte, erlebte sie 1963 noch - als alt gewordenes und schon ein bisschen aus der Zeit gefallenes „Fräulein", wie sie sich selbst titulieren ließ. 1870 geboren, bahnte sie sich beharrlich und ohne viel Rücksicht auf die dominanten Frauenbilder und gesellschaftlichen Meinungen der Zeit ihren Weg als Schriftstellerin. Sie fand Anerkennung mit Romanen und Künstlerbiografien und stieß nicht selten politisch auf Widerstand. Ihr Eintreten für den Pazifismus trieb sie im Ersten Weltkrieg ins Exil. Nach „jener Meisterprobe männlicher Stupidität" (A. Kolb) folgte allerdings mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus eine noch härtere Prüfung. Annette Kolb zögerte dann auch nicht lange, als 1933 die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, und verließ Deutschland erneut. Aus Paris musste sie 1940 vor der anrückenden Besatzungsmacht fliehen und fand schließlich in New York einen neuen Wohnsitz. Nach dem Krieg wurde sie wieder Europäerin und starb nach einem Jahrhundertleben in der Geburtsstadt München.
Sie hatte dort die glanzvolle Epoche des „fin de siècle" miterlebt und mitgeprägt, als München leuchtete und ein Klima für anspruchsvolle Köpfe bot. Dass am gleichen Ort kurz darauf Adolf Hitler das Milieu für seinen Aufstieg finden sollte, zeugt von den Verheerungen durch den Ersten Weltkrieg, die auch Annette Kolb so stark empfand. Trotzdem schien in den zwanziger Jahren noch alles offen für eine andere Wendung der Weltgeschichte. Annette Kolb war ja nicht die einzige, die gegen den Ungeist dachte und schrieb. Diese Köpfe bildeten im Exil dann eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig materiell und mental im Überlebenswillen stärkte.
In der Tagung geht es also um eine Schriftstellerin, die bedeutsam und zu wenig beachtet ist, aber auch um ein politisches Leben, das uns noch heute in seiner Aufrichtigkeit Respekt einflößt. Unsere Expertinnen und Experten werden dem Schaffen und Werk der Annette Kolb nachgehen, ihr Leben aber auch in Zeitkontexte und Beziehungsgeflechte einordnen.
Herzliche Einladung in die Evangelische Akademie Tutzing!
Dr. Ulrike Haerendel, Evangelische Akademie Tutzing
Dr. Hiltrud Häntzschel, München
Prof. Dr. Günter Häntzschel, München