JUGENDPOLITIK UND KUNST IM NETZ
von Julia Wunderlich, Studienleiterin Junges Forum
„Meet & be creative“ war der Titel der Tagung, zu der die Akademie ursprünglich am 29. März eingeladen hatte. Dann kam die Corona-Pandemie und die Tagung musste abgesagt werden – zumindest in ihrer analogen Form. Damit sie dennoch als Online-Tagung stattfinden konnte, disponierte „Junges Forum“-Studienleiterin Julia Wunderlich um. Mit Erfolg: 45 Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren nahmen am neuen Online-Format „Meet online & be creative! Für ein neues digitales Wir“ am 5. April 2020 teil (zur Veranstaltung). In der dreistündigen Tagung probierten sie die künstlerischen Ausdrucksformen Comic, Poetry Slam und Improvisationstheater (kurz Improtheater) per Videokonferenz mit vier Kunstschaffenden aus, kreierten Gemeinschaftskunstprojekte, diskutierten ihre Thesen und fanden als Jugendgruppe enger zusammen.
Die Onlinetagung des Jungen Forums der Akademie bot den digitalen Rahmen, künstlerische Freiheit zu erleben. Diesen Rahmen schmückten die Jugendlichen selbst mit ihrer Kunst aus. Die Referierenden produzierten vor der Tagung rasch Webvideos für die jungen Tagungsgäste. Mit diesen Tutorials zu Comic, Poetry Slam und Improtheater stimmten sie diese auf die Workshops und die Onlinetagung ein. Damit konnten die Jugendlichen entscheiden, für welchen Workshop sie sich anmelden möchten. Gehostet wurde die Videokonferenz von der IT-Abteilung der Akademie. Die Tagungskooperation mit dem Jugendteam der Islamischen Gemeinde Penzberg und der Evangelischen Gemeinde Tutzing konnte auch in das digitale Format übersetzt werden.
Video-Einladung zum Improtheater-Workshop mit Tobias Zettelmeier
Kunst und die Ausdrucksfähigkeit junger Menschen in jugendkulturellen Medien bleiben ein zentraler Motor für Demokratie. Das gemeinsame Schaffen und Miteinanderteilen von Kunst und eigener Kreativität schafft gesellschaftlichen Zusammenhalt, schreibt auch der Politikwissenschaftler, Journalist und Politiker Carsten Brosda in seinem Buch „Die Kunst der Demokratie. Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft“. Die Tagungskooperation bei „Meet online & be creative“ betonte den Wert des künstlerischen Diskurses für ein plurales Wir.
„Es liegt an euch, wie der Tag wird. Ihr bestimmt das Ergebnis.“, so die Botschaft des Jugendteamleiters der Islamischen Gemeinde Penzberg, Elmedin Djulic, an die jungen Tagungsgäste. Pfarrerin Dorothee Geißlinger-Henckel aus Tutzing fügte hinzu: „Ich wünsche mir, dass wir uns im virtuellen Raum treffen, ganz anders, aber dass es trotzdem funktioniert einander zu begegnen, auch neue Leute kennenzulernen und zusammen zu überlegen: Was passiert gerade bei uns in der Welt, in unserer Gesellschaft? Und dass Ihr vor allem Spaß daran habt, etwas auszuprobieren.“ In der aktuellen Ausnahmesituation sei ein kreatives Angebot der politischen Jugendbildung besonders wichtig, auch als Ausgleich zum Homeschooling, so die Tagungsleitung Julia Wunderlich.
In der Onlinetagung fanden sich alle vorab in der Videokonferenz ein, um das Funktionieren der Technik sicherzustellen. Mit Warm-Ups und Kennenlernspielen begann die Veranstaltung. Videokonferenzen sind für Jugendliche ein neueres Format als für einige Erwachsene im aktuellen Homeoffice-Alltag. Im virtuellen Plenum führte Julia Wunderlich ins Tagungsthema ein: jugendpolitische Kunst und das Erleben eines gemeinsamen Kunstschaffungsprozesses. Rasch ging es dann in die Praxis und ins Kunsterleben. In vier virtuellen Workshopgruppen fanden sich die Jugendlichen mit ihrem Kunst-Coach in Kleingruppen zusammen. Interaktiv lernten sie am Bildschirm mit den Referierenden das Handwerkszeug für die Kunstformen Comic, Poetry Slam und Improtheater.
Der Workshop „Poetry Slam“ wurde von dem Münchner Slammer Philipp Potthast (Gewinner der bayerischen Poetry Slam-Landesmeisterschaft 2019) angeleitet. Die Illustratorin und Graphic Recorderin Kathrin Rödl leitete den Comic-Workshop und zum Thema Improtheater gab es gleich zwei Workhops: Einen mit dem Schauspieler und Mitglied des Ensembles „Bühnenpolka“ Adrian Klein und einen mit Tobias Zettelmeier, der als Theaterwissenschaftler der künstlerische Leiter von „Bühnenpolka“ ist sowie der Organisator des ersten Münchner Improfestivals „Improvember“.
In den Workshops konnten die Tagungsgäste spielerisch und kreativ das zum Ausdruck bringen, was sie aktuell bewegt und mit anderen darüber ins Gespräch kommen. Dabei ging es zum Beispiel um ihre Erfahrungen mit der Pandemiesituation oder auch um Perspektiven auf klimapolitischen Debatten.
Dabei wurde klar: Diese künstlerische Herangehensweise an alltägliche Ereignisse und Interaktion in der Jugendgruppe gelingt nicht nur im Analogen, sondern auch im Netz. Ganz praktisch übten die 13-bis 19-Jährigen miteinander, arbeiteten gemeinsam Kunstwerke aus und diskutierten die gesellschaftlichen Themen, die dabei künstlerisch sichtbar wurden. Nach der virtuellen Kaffeepause präsentierten die Jugendlichen im anschließenden Onlineplenum ihre Werke und es ergab sich eine tiefere Debatte über den gesellschaftspolitischen Kontext der angesprochenen Themen.
Nach dem diesem Nachmittag voller Ideen und Schaffenskraft im virtuellen Raum, äußerten viele der Jugendliche den Wunsch, bald wieder an einer Onlinetagung des Jungen Forums der Evangelischen Akademie Tutzing teilnehmen zu wollen. Das Zukunfts-Lab wird im Frühjahr mit dem Tagungsthema um Umweltpolitik, Ethik & Digitalisierung im Onlineformat von und für junge Menschen angeboten. Auch – um wieder ein digitales Wir-Gefühl zu erleben.
Die Veranstaltung verfolgte mehrere Ziele. Sie werden in den folgenden Abschnitten genauer erläutert.
JUGENDPOLITIK & JUGENDFÖRDERUNG
Kunst als Medium wahrzunehmen und die eigene Stimme hörbar zu machen – dazu bot die Videokonferenz den passenden Rahmen. Die Idee dahinter lautet: Nur wenn Jugendliche eigene Haltungen entwickeln und äußern, können mündige Bürgerinnen und Bürger aus ihnen werden, die mitreden wollen, plurale Meinungen vertreten und die Demokratie stärken. Die Onlinetagung „Meet online & be creative“ wurde über das Projekt „Alles Glaubenssache“ der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
Der Deutsche Bundesjugendring machte im Positionspapier „Jugendpolitik im Ausnahmezustand“ (PDF, 105 KB) deutlich, dass die derzeitigen sinnvollen und notwendigen Maßnahmen in der Pandemie auch die Freiräume junger Menschen für gemeinsames Lernen beschränken. Somit sind die Kinder- und Jugendrechte auf Förderung und Teilhabe eingeschränkt. Im Interesse der jungen Menschen brauchen diese für ihre Entwicklung das „erreichbare Höchstmaß an Gesundheit und Schutz, aber auch Förderung und Teilhabe.“ Die Räume für Austausch und gemeinsame Erlebnisse im sozialen Netzwerk mit Peers fallen derzeit weg. Digitale Vernetzung kann dies nur zu einem Teil kompensieren. „Politik und Gesellschaft müssen junge Menschen gerade jetzt unterstützen, neue digitale Freiräume zu entwickeln“, fordert der Jugendring. Weiter weist er darauf hin, dass in der Krisenbewältigung förderpolitische Unterstützung für Dialogangebote in der außerschulischen politischen Jugendbildung und mediale Sichtbarkeit guter Beispiele von jungem Engagement vonnöten seien.
JUGEND-EMPOWERMENT!
KREATIVWORKSHOPS MIT JUGENDPOLITISCHEN STATEMENTS
„Im Netz sind wir auch passiv, der Algorithmus schlägt uns Videos und Links vor, wir streamen und konsumieren“, so Studienleiterin Julia Wunderlich. Im Online-Workshoptag sind die jungen Tagungsgäste dagegen selbst zu Co-Produzentinnen und Co-Produzenten der Tagung geworden. Die Jugendlichen bestimmten, welche Themen diskutiert und künstlerisch dargestellt wurden. Durch das gemeinsame Schaffen von Kunst und die Interaktion mit Referierenden und der Jugendgruppe konnte ein digitales Miteinander entstehen. Die Werke, die in Comics, Slamtexten und im Improtheater entstanden, zeigten die Meinungen der Jugendlichen und ihren Blick auf die Welt. Kunst ist politisch und ist ein Mittel zum Umgang mit den aktuellen Ereignissen. So konnten die Jugendlichen ihre Erfahrungen und Wünsche im Umgang mit der Pandemie oder der aktuellen klimapolitischen Debatte Ausdruck verleihen und mit den anderen Teilnehmenden ins Gespräch darüber kommen. Die jungen Tagungsgäste erlebten, dass ihre Stimme wichtig ist und gehört wird.
Slam-Text “Zukunft heißt Zusammenhalt” anhören:
Diese künstlerische Herangehensweise an alltägliche Ereignisse gelingt nicht nur im Analogen, sondern auch im Netz. In der aktuellen Ausnahmesituation war ein kreatives Angebot der politischen Jugendbildung besonders wichtig, auch als Ausgleich zum Homeschooling. Es bestätigte sich, dass Jugendliche als Digital Natives in der digitalen Zivilgesellschaft und im Gesellschaftsdiskurs ernstzunehmende Player sind. Kunst kann als Verstärker für die Stimmen der Jugend funktionieren und ihren Wert für die Zukunftsgestaltung sichtbar machen. Jugendkulturen können hier als Medium zur Meinungsbildung wirken.
Die Relevanz von Kunst für gesellschaftliche Diversität und Pluralität als Motor für die Demokratie war in der Tagung spürbar. Die Jugendlichen nahmen an einem der vier Workshopangeboten mit jeweils einem Coach teil. Jede Workshopgruppe bekam einen eigenen digitalen Raum zugeteilt, in dem sie etwa anderthalb Stunden miteinander arbeitete. In diesen „Breakout-Sessions“ waren alle Teilnehmenden von zu Hause aus per Computerkamera und Mikrofon an die Gruppe angeschlossen. In den Workshops wurde spielerisch herausgearbeitet, welche Themen sie bewegen. Die Jugendlichen nahmen ihren Wunsch nach mehr Zusammenhalt wahr, erlebten den Wert der Kunst, schätzten ihre eigenen und gemeinsamen Ideen, fanden Verbündete um schließlich gemeinsam etwas zu bewirken und Gesellschaft mitzugestalten. Die vier Kunstschaffenden Philipp Potthast, Kathrin Rödl, Adrian Klein und Tobias Zettelmeier waren hier als Referierende für den Tagungserfolg essentiell.
DIE WORKSHOPS
COMIC DIY
Zeichne deinen eigenen Comic-Strip! In zehn Minuten zeichneten die jungen Künstlerinnen und Künstler im Online-Workshop eine kleine Geschichte in ein bis vier „Panels“ (in der Comic-Sprache bedeutet ein Panel bedeutet einen Bildausschnitt-Rahmen). Das Thema gab die Aktualität her: „Quarantäne Life, #StayAtHome und Co.“ Wer mochte, konnte in das letzte Panel eine Pointe einbauen – dabei waren Figuren und Stil frei wählbar, der individuelle künstlerische Ausdruck war für die Referentin Kathrin Rödl wichtiger als korrekte zeichnerische Umsetzung.
Die Video-Einladung zum Comic-Workshop mit der Comic-Zeichnerin, Illustratorin und Designerin Kathrin Rödl.
POETRY SLAM: SAY IT IN YOUR OWN WORDS!
Wie muss ein Slam-Text aufgebaut sein? Was macht starke Slogans aus? Wie finde ich meinen eigenen Style? Und was ist meine politische Botschaft? Im Poetry Slam-Workshop mit dem Autor und Slammer Philipp Potthast, der 2019 der Gewinner der bayerischen Poetry Slam-Landesmeisterschaft war, erlernten die jungen Tagungsgäste Grundtechniken um Slamtexte zu schreiben. Stimmung, Rhetorik, Gestik und Mimik bekannter Slammer wurden im Workshop analysiert. Jugendliche mit unterschiedlichen Backgrounds feilten dann im Workshop an eigenen Texten – und schufen Gemeinschaftswerke. Der Slam-Text „Zukunft heißt Zusammenhalt“ etwa hat elf Autorinnen und Autoren und manifestierte ein Wir-Gefühl im gemeinsamen Schaffen von Kunst. Meinungen und Denkansätze in die Kunstform des Poetry Slams bringen und gleichzeitig zu diskutieren, ob und wie diese Haltungen in einen gemeinsamen Text passen, war eines der prägendsten Erlebnisse im Workshop.
IMPROTHEATER. JUST TRY IT
Spontaneität und Freude am Spiel standen für alle Jugendlichen im Improtheater-Workshop ganz weit oben. Daran schlossen sich unmittelbar weitere Aspekte an: Die Auseinandersetzung mit dem Anderen, das Hineinschlüpfen in andere Rollen und Standpunkte und damit auch das Verstehenwollen des Gegenübers. Die Coaches Tobias Zettelmaier und Adrian Klein waren als Teil des Ensembles Bühnenpolka schon erfahren im Improtheater via Videokonferenz. Bereits im März hatten sie das erste digitale ImproFestival organisiert. Bei „Meet online & be creative“ erschienen in den Kleingruppen die Videobilder der zehn Jugendlichen auf dem Bildschirm. Wild im Spiel und ausgelassen im Tanz. Das laute Lachen steckte an und zeigte, dass Improtheaterspielen in der Gruppe auch im Virtuellen gut funktioniert, Pointen und Ironie ankommen, die Spielfreude mitreißt und ein Perspektivwechsel auf gesellschaftliche Themen in dieser Methode zum Nachdenken anregen.
NETZKULTUR. VON TIKTOK UND ONLINE-LESUNGEN
„Das Internet ist zur Vernetzung von Menschen erfunden worden“, sagte Julia Wunderlich. Die Interaktion im Netz muss im Kontext einer neuen Digitalethik allerdings immer wieder neu ausgehandelt werden. In der aktuellen Pandemiesituation begegnen sich Menschen analog nur noch vereinzelt und mit Abstand. Das Netz, das oft für die Vereinsamung von Menschen verantwortlich gemacht wird, kann in dieser besonderen Situation zum Garanten für Verbundenheit, Austausch und Gemeinschaft werden. So kommt es, dass Technologie dem Gemeinwohl dienen und die digitale Zivilgesellschaft stärken kann.
Viele neue Kunstformate entstehen so derzeit im virtuellen Raum: Der Pianist Igor Levit gibt Konzerte per Live-Stream, der Autor Saša Stanišić liest online, die Choreografin Sasha Waltz führt ein digitales Tanztagebuch und das Staatsballett Berlin choreografiert und trainiert über Videokonferenzen weiter. Für das Kunsterleben werden neue Formate geschaffen – für Studienleiterin Julia Wunderlich ein Beleg für die große Kraft der Internet-Community. Das Netz, das in Zeiten von Quarantäne- und Kontaktverbot nicht nur Ablenkung und Freude bietet, kann so auch Resilienz stärken.
Für das erste Online-Tagungsformat der Evangelischen Akademie Tutzing könne das ein Effekt sein. „Es braucht die Kunst mit Unbekanntem umzugehen; alleine zuhause, online im Wir. Ein neues Wir-Gefühl.“, so Julia Wunderlich. Wer schon einmal auf einem Poetry Slam war, weiß, wie sich dieser dunkle Raum anfühlt, die Spannung vor dem nächsten Auftritt – und dann, in einem festen Zeitlimit, Reimkunst, Poesie, Witz, die individuelle Wortmarke und die Besonderheiten jedes Slammers erleben.
Ist diese Slam-Atmosphäre auch virtuell übertragbar? Klar ist: Der digitale Kunstgenuss ist kein Ersatz für das Live-Erlebnis. Aber digitale Kunst ist ein Appetizer der Vorfreude auf die Zeit nach der Pandemie, eine Überbrückung und vor allem das Erleben einer virtuellen Kunstgemeinschaft. Zukunft braucht junge politische Kunst. Virtuelle Kunst ist für Digital Natives mit Tiktok und Youtube alltäglich und mit eigenen Channels Ausdruck ihrer Meinungsäußerung. Vielleicht werden in den Kunsträumen, die momentan virtuell entstehen, junge Kunstschaffende entdeckt oder begeistert. Kunst- und Kulturangebote sind ein wichtiger Teil unserer Demokratie, da sie auf kreative Art und Weise aktuelle politische Ereignisse aufgreifen, zum Nachdenken anregen und sich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen. „Kunst irritiert und inspiriert“, schreibt Carsten Brosda in seinem Werk „Die Kunst der Demokratie – Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft“.
Slam-Text “Mein Gehirn ist kompliziert” anhören:
Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft und als demokratiefördernder Teil der Gesellschaft erlebten auch wir in der Tagungsdiskussion. Die aktuelle Pandemie macht es den Kulturinstitutionen unmöglich, ihre gewohnten Angebote planmäßig umzusetzen. Dies führt nicht nur zu Veranstaltungsausfällen, sondern auch zu großen finanziellen Verlusten. Aus diesem Grund ist auch eine finanzielle Unterstützung für diese Säule der Demokratie unerlässlich. Praktische Hilfen wurden bereits seitens des Kulturministeriums angekündigt.
BUBBLE CRASHER IN ONLINE-DIALOGEN
Die Internetnutzung ist für die Jugendlichen derzeit essentiell für Freundschaften und Homeschooling – aber auch für ihr Kunsterleben. Das Phänomen der Diskussionen in Filterblasen aber bleibt. Im Internet sind unterschiedlichste Meinungen vertreten. Häufig kommt man aber nur mit Menschen in Kontakt, die dieselben Ansichten haben, wie man selbst. Diese Bubbles gilt es immer wieder zum Zerplatzen zu bringen, zum Crashen und sich neu zu vernetzen – auch durch Kunst. „Die Polarisierung erlebe ich im Netz deutlich“, so ein jugendlicher Tagungsgast. Auch im Sinne der Diversität bleibt plurale Netzkommunikation relevant ,um auch mit Menschen anderer Meinung online ins Gespräch zu kommen.
Neue Vernetzungen entstanden auch im Hackathon #WirVsVirus, bei dem sich Mitte März auf Einladung der Bundesregierung und sozialen Initiativen 43.000 Menschen aus der Tech- und Kreativbranche virtuell trafen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Für Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), Schirmherr der Aktion, war es „offenkundig der größte Hackathon, der jemals weltweit durchgeführt wurde“. Etwa 1.500 Ideen zur Lösung verschiedener Herausforderungen in der Pandemie entstanden, die nun auch via Crowdfunding umgesetzt werden sollen.
ÜBER DIVERSITÄT, EXKLUSION UND DIGITAL LITERACY
Die Tagung hatte unter anderem das Ziel, ein „digitales Wir-Gefühl“ zu erleben. Für analoge wie virtuelle Tagungssettings lohnt es sich, das „Wir“ zu reflektieren. Wer nimmt teil? Wer nicht? Und warum? Das Netz und die künstlerische Freiheit sind prinzipiell für alle Menschen da. Onlineformate ermöglichen Tagungsteilnahmen über räumliche Distanzen hinweg, Anreisen und Fahrtkosten erübrigen sich. Gleichzeitig setzt eine virtuelle Tagung eine technische Ausstattung voraus – ein Grund, der für manche Jugendliche zum Ausschlusskriterium werden kann. Dass Jugendliche mit verschiedenen Bildungsgeschichten und sprachlichen Backgrounds miteinander in einen Austausch kommen, unterschiedliche Meinungen hören, sich zuhören und voneinander lernen, bleibt auch für virtuelle Foren in der Jugendbildung wichtig. Subtile Ausschlussmechanismen und soziale Ungleichheit waren auch Thema während der Veranstaltung „Meet online & be creative“.
Video-Einladung zum Poetry-Slam-Workshop mit Philipp Potthast
Auch gesamtgesellschaftlich ist laut den Gründerinnen und Tech-Forscherinnen Julia Kloiber und Elisa Lindinger (Superrr Lab & Digitale Zivilgesellschaft e.V.) „eine unabhängige und zuverlässige digitale Infrastruktur nicht nur eine Frage der wirtschaftlichen Souveränität, sondern auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Denn der Zugang zu Wissen und sicheren, widerstandsfähigen digitalen Werkzeugen entscheidet, wer in Zukunft mitgestalten kann und wer abgehängt wird.“ Junge Menschen sind im Digitalisierungs-Boom mit ihrer Medienkompetenz mehr als bereichernd für den Diskurs. Digital Literacy, also die Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien, bleibt auch für den intergenerationalen Austausch und darin liegende gegenseitige Kompetenztransfers grundlegend.
FADE OUT – WIE GEHT ES WEITER?
Die Kunst verstärkte die Stimmen der Jugend und machte ihren Wert für die Zukunftsgestaltung sichtbar. Durch den künstlerischen Zugang kann neue Politisierung, Begeisterung und Empowerment entstehen, auch durch die Gemeinschaft in der einer Jugendgruppe – verstärkt im künstlerischen Schaffen, im Diskutieren der gesellschaftlichen Themen, die dabei aufkommen, sowie im virtuellen Austausch. Die junge Tagungsgruppe vernetzte sich direkt in einer Messenger-Gruppe, plante die Kombination der Kunstformen und die Weiterarbeit an den gemeinsamen Comicstrips. Und sie hatte Lust auf die nächsten Onlinetagungen des Jungen Forums der Evangelischen Akademie Tutzing: Das Zukunfts-Lab wird im Frühjahr mit dem Tagungsthema um Umweltpolitik, Ethik & Digitalisierung im Onlineformat von und für junge Menschen angeboten. Auch um wieder ein digitales Wir-Gefühl zu erleben.
Studienleitung der Tagung „Meet online & be creative“:
Julia Wunderlich, Studienleiterin Junges Forum
in Kooperation mit:
Elmedin Djulic, Jugendteam Islamische Gemeinde Penzberg
Pfrin. Dorothee Geißlinger-Henckel, Evangelische Gemeinde Tutzing
Die Onlinetagung „Meet online & be creative“ wurde über das Projekt „Alles Glaubenssache“ der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.
Das Format „Tutzinger Thesen“ wird herausgegeben von der Evangelischen Akademie Tutzing.
Text:
Julia Wunderlich, Mitarbeit: Pina Vetter
Redaktion und Produktion:
Dorothea Grass, Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Fotos: eat archiv
Tutzing, im April 2020.