“Tiefenbohrungen” zum Thema Kirchenmitgliedschaft

Die Tagung “Should I stay or should I go?” vom 20.-21. Januar beschäftigte sich mit Impulsen aus der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU). Landesbischof Christian Kopp hielt dabei eine Rede mit dem Titel “Mehr als eine Mitgliedschaft. Qualität als Schlüssel zur Kirchenbindung”. Hier können Sie seine gesamte Rede noch einmal nachlesen.

Das Programm der Tagung können Sie hier abrufen (PDF)

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass wir auf dieser Tagung einige Tiefenbohrungen zum Thema Mitgliedschaft machen, und freue mich sehr auf den Austausch. Wir werden aus meiner Sicht das Mitgliedsthema als Kirchen für immer als wesentliches Ressourcenthema behalten. Denn die Zahl der Mitglieder unserer Kirche entscheidet logischerweise über Aussehen und Tätigkeitsprofil der Kirche. Das ist Kirche nicht gewohnt. Das war früher bequemer. Da waren quasi alle Mitglieder in einer der beiden Kirchen und das war gut so. Aber warum soll es uns besser gehen als dem Deutschen Alpenverein oder den Politischen Parteien. Wir werben darum wie diese, bei uns Mitglied zu bleiben bzw. wieder oder neu zu werden.

In meinem beruflichen Wirken war und ist das Thema Qualität von jeher leitend gewesen. Das liegt einfach auch daran – Sie erinnern sich an die Jahreslosung – Prüfet alles, das Beste behaltet – dass ich schon als kleiner Junge leidenschaftlicher Qualitätsbeauftragter in meiner Familie war. Ich bin in Garmisch-Partenkirchen aufgewachsen, mein Vater hat viel gearbeitet, ich war der einzige andere Mann im Haus – also Schneeräumen. Ja, das gab es noch in Deutschland bis in die 80er Jahre hinein. Kundige unter Ihnen wissen, wie unterschiedlich Schneeschaufeln – der oberbayerische Name ist Schneekrucken – sein können. Sperrholz mit einer Metallschiene von Triuso war meine Kindheitsqualität.

Spaß beiseite, Qualität hilft. Und genau dieser Qualität bzw. auch der mangelnden Qualität möchte ich meinen Impuls heute Nachmittag widmen und mit Ihnen eintauchen in die Frage: Wieviel Qualität hat die Kirche in ihrer Arbeit und wieviel braucht sie? Und es wird sie nicht wundern: Ich behaupte, dass Kirche ein Qualitätsproblem hat. Und dieses Problem lese ich in nicht wenigen der Auswertungen zur KMU VI und halte es deshalb für unverzichtbar, dass sich Kirche dem Thema Qualität widmet.

Meine Gedanken zu Qualität und Kirche verbinde ich mit Überlegungen zu Kirche und Subjekt, die sich für mich unmittelbar mit dem Qualitätsthema verbinden. Aber – das werden Sie merken.

  1. Qualität als ökonomischer Begriff
  2. Feedback und Kirche tun sich schwer
  3. Die KMU als Feedback- und Qualitätshandbuch
  4. Warum Qualität und Zukunft für Kirche wesentlich sind
  1. Qualität als ökonomischer Begriff

Ich komme noch einmal auf die Schneeschaufel zurück. Für viele von Ihnen vielleicht für fast alle wird im alltäglichen Leben das Thema Qualität eine große Rolle spielen. Vielleicht nicht ganz so manisch wie es bei mir ist, aber schon. Sie achten sehr genau auf die Produkte, die Sie für sich erwerben. Mit was Sie sich umgeben. Die Merinowolle, die Sie am Körper tragen. Die Qualität des Gemüses, das Sie sich zubereiten. Das Fahrrad, das Sie leicht und locker ans Ziel bringt.

Im kirchlichen Bereich erlebe ich geradezu eine Scheu das Thema Qualität überhaupt anzusprechen. Und wenn es jemand wie ich recht regelmäßig tut, dann wundern sich viele. Ich bin jetzt kein Forschungsexperte für Kirche und Qualität. In der Literatur findet sich das Thema eher in der katholischen Theologie. Dort scheint es eine größere Affinität zum Thema zu geben. In evangelischer Perspektive ist unvergessen das Impulspapier ‚Kirche der Freiheit‘ (2006) des EKD-Rats, das sich das “Lernen von wirtschaftlichem Denken” [1] zur Aufgabe macht. ‘Qualität’ tritt hier als Leitbegriff auf, allein 68-mal findet er sich in der Kirche der Freiheit.[2] ‚Evangelisch in Deutschland‘ wird als Marke verstanden, die “ein deutliches Profil und eine klare Qualität”[3] braucht. Hohes Qualitätsniveau in allen geistlichen und seelsorgerlichen Kernvollzügen wird gefordert. Mit Qualitätsstandards sollen kirchliche Schwachstellen analysiert und kontrolliert werden. Es brauche ein Qualitätsmanagement, um den Ansprüchen der Mitglieder zu entsprechen und ihre Verbundenheit zu stärken. Kirchliche Kernvollzüge können im Ergebnis eine spezifisch geistliche Qualität leisten: “Beheimatungskraft”[4]. Das Papier löste enorme Kontroversen bis zum heutigen Tag aus. Es gab aber auch Ansätze einer “Qualitätsoffensive”. Die Kompetenzzentren für Gottesdienst in Hildesheim oder für Predigt in Wittenberg haben die Frage nach Qualität in den Mittelpunkt gerückt.[5]

Das Papier richtet sich gegen das “heimliche Schweigegebot über die geistliche Qualität kirchlicher Angebote”[6]. Im Hintergrund steht eine innere Begriffsspannung, die es Kirche und dem Qualitätsbegriff schwer machen: Qualität zielt auf ein Gütesiegel, wie ist das aber mit dem göttlichen Gütesiegel? Dies zeigt sich auch in der Kritik an der  Vorstellung vom “Unternehmen Kirche”: entweder sei es deskriptiv untauglich, da Kirche als Hybrid von Institution, Organisation und Bewegung anderen Logiken folge und Gott in den Mittelpunkt stellt.[7] Oder – noch häufiger – wird die Legitimität von unternehmerischem Denken in der Kirche bestritten.[8] Pointiert brachte dies etwa Margot Käßmann zum Ausdruck: “Das Wettbewerbsdenken der Wirtschaft befeuert geradezu die Kultur des Herausstellens der Stärken und des Kaschierens von Schwächen, Mängeln und Schwierigkeiten.”[9] Nun war die ehemalige Ratsvorsitzende zwar an einer Qualitätsoffensive interessiert. Ihre in kirchlichen Kreisen sehr gerne rezipierte Wirtschaftskritik leistet aber einer generellen Skepsis an Optimierungsbemühungen Vorschub. Und die große Frage ist: Wie misst man kirchlich Qualität? In der Kirche ist die Bewertung von Qualität im Unterschied zu Unternehmen etwa oft schwieriger, weil wir nicht knallharte KPIs haben (Key Performance Indicators). Wer soll die denn definieren in der evangelischen Kirche, wo doch alle Getauften Priester und Priesterinnen sind. Sie haben unmittelbaren Zugang zum Heiligen.

  1. Feedback und Kirche tun sich schwer

Für mich ist einer der Knackpunkte, ob wir als Kirche überhaupt erkennen, dass wir ein Qualitätsthema haben. Ich bin da nicht sicher, ob wir auch hier im Raum das als Konsens schnell mal abfragen könnten. Ich bin davon überzeugt. Wenn ich mal so richtig mies drauf bin, dann frage ich in einer Dekanatskonferenz der Hauptamtlichen in einer Region gerne: Würden Sie einen von Ihnen gestalteten Gottesdienst oder eine von Ihnen verantwortete Schulstunde freiwillig besuchen, wenn Sie ihn nicht selber halten müssten. Sie können es sich vorstellen: Es ist sofort Energie da. Es ist mir aber ernst. Ich kann es aus eigener Erfahrung sagen: Ich freue mich, wenn ich in schriftlichen Produkten auf Gemeindeebene Erhellendes, Berührendes und Neues lese. Es ist für mich ein Genuss, wenn ich in einem Gottesdienst eine Person performen sehe, die ganz mit ihrem Inhalt verbunden ist. Ganz weg bin ich, wenn ich in der Kirche Menschen erlebe und die voll und ganz für ihre Sache brennen.

Jetzt ahnen Sie es – ich erlebe das, aber da gibt es sehr, sehr viel Luft nach oben. Ich zitiere einmal einen Landtagsabgeordneten hier aus Bayern, katholisch, richtig verbunden, der hat mir vor zwei Wochen gesagt: Ich weiß nicht ob Ihren Kollegen von der anderen Fraktion klar ist, dass ihre Arbeit bei mir in der Region immer weniger Menschen interessiert. Da geht der Respekt verloren. Und das hat, Herr Bischof, mit der Art des Auftretens zu tun. Die tun so, als wäre es egal was sie tun.

Für mich müssen wir uns unbedingt mit unseren Feedbackprozessen und den Wirkungen kirchlicher Arbeit beschäftigen. In unserer kirchenleitenden Werkstatt in Bayern stellen wir uns seit mehreren Jahren der wirkungsorientierten Planung bei den Inhalten und den Finanzen. Das ist ein schwerer Weg, aber aus unserer Sicht ist er unverzichtbar in den Zeiten der zurückgehenden Fachkräfte und der schwindenden finanziellen Ressourcen. Wir müssen als Landeskirche genauer überlegen, wofür wir Geld aufwenden können und wofür in Zukunft leider nicht mehr. Wir arbeiten dabei stark mit Kriterien, die sich am Relevanzbegriff ausrichten: theologische Relevanz, gesellschaftliche Relevanz, was gehört unabänderlich zum Grundauftrag unseres Handelns dazu. Und wie können wir das bewerten? Dazu gehört auch ein intensives Arbeiten an Projektbriefen für alle Bereiche kirchlichen Handelns, um für die Gremien Entscheidungsgrundlagen bereitstellen zu können. All das tun wir, weil wir uns in der Kirche sehr schwer tun Resonanz und Feedback überhaupt zu fassen.

  1. Die KMU als Feedback- und Qualitätshandbuch

Man kann die Macher und Macherinnen der KMUs seit 1972 nicht ausreichend loben für die Erfindung der empirischen Untersuchungen zur Kirchenmitgliedschaft. Kernpunkt der Frage war die Stabilität der Kirche. So hieß die erste KMU: Wie stabil ist die Kirche? Schon Anfang der 70er Jahre haben die Autorinnen und Autoren die Entfremdung der Menschen von Kirche diagnostiziert. “Mit dem durchgreifenden Wandel der Lebensverhältnisse hat sich auch die Einstellung der Menschen zur Kirche verändert.”[10]

Der Qualitätsbegriff wird im Auswertungsband zur KMU 6 nur zwölf Mal genannt.[11]  Ich zitiere Tobias Kläden: “Die Optimierung der Kirche als Organisation (und damit der Qualität kirchlicher Angebote) ist dann zwar weiterhin notwendig, aber sie ist eben nicht hinreichend dafür, dass das Evangelium auch tatsächlich für einen Menschen relevant wird.”[12] Neben Nennung von Qualität als allgemeine Güte wird der Begriff in Bezug auf Kasualien genutzt. Hier ist von “Erlebnisqualität”[13] bei Kasualien die Rede, die durch theologisch Qualifizierte mit “inhaltlicher, prozessualer und gestalterischer Qualität”[14] gesteigert wird. Prozessuale Qualität zeigt sich in Niedrigschwelligkeit und Kundenbindung. Gestalterische Qualität zeigt sich im Fingerspitzengefühl des pastoralen Personals, das “segensdurchwirkte Orte” schafft.

Für mich zieht sich die Qualitätsfrage aber durch alle wesentlichen Fragen, die in der KMU hinterlegt sind. Die hohe Bedeutung des Konfirmandenkurses für die Verbindung und Verbundenheit zu Kirche knüpft an die Erlebnisqualität im Kurs an. In der Befragung haben die Personen dort etwas erlebt, was besonders war und woran sie sich gerne erinnern. Die Befragung im Religionsunterricht geht ganz stark in die Richtung, dass ich dort Schule anders erlebe: Als einen Freiraum, eine Stunde, in der ich meine Meinung sagen darf und sie nicht sofort bewertet und eingeordnet wird. Für mich sind die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen auch darum ein wichtiger Hinweisgeber auf die Punkte, an denen wir als Kirche uns weiterentwickeln müssen. Und leider schöpfen wir ihre Hinweise für unsere Arbeit bei weitem nicht aus.

Ich komme zu meinem abschließenden Punkt.

  1. Warum Qualität und Zukunft für Kirche wesentlich sind

Eine zweite Möglichkeit Mitarbeitende entweder Sorgen- oder Lachfalten ins Gesicht zu treiben ist die von mir gerne benutzte Redewendung: “Es gibt gar keine Probleme. Es gibt nur noch nicht gefundene Lösungen.” In unserer Arbeit in meinen Teams achten wir sehr stark auf eine sehr konsequente Fokussierung auf bestmögliche Lösungen. Ich und viele haben dabei von Steve de Shazer gelernt. Die konsequente Lösungsfokussierung heißt, Unterschiede zu erkennen und zu verstärken. Bei de Shazer gibt es drei Grundprinzipien der Lösungsfokussierung[15]: “Repariere nicht, was nicht kaputt ist!” “Finde heraus, was gut funktioniert und passt – und tu mehr davon!” “Wenn etwas trotz vieler Anstrengungen nicht gut genug funktioniert und passt – dann höre damit auf und versuche etwas anderes!”

Für alle diese Antworten braucht es eine gute Verbindung zu den Personen, für die Kirche interessant ist. Das liegt bei den Mitgliedern zunächst einmal nahe. Aber es gibt Fragen. Ich halte darum die Feedback- und Resonanzprozesse für entscheidend wichtig. Menschen lieben Qualität auch in kirchlichen Vollzügen. Ich bin da übrigens hoffnungslos zuversichtlich, was das Thema Qualität und Kirche angeht. Subjekte interessieren sich für andere Subjekte. Die Person des Menschen, der für Religiosität und Spiritualität steht, ist interessant für andere. Viele müssen da ein bisschen umlernen. Aber einer der entscheidenden Punkte ist die Zuversicht, dass fast alle Menschen Qualität lieben. Wir müssen nur unsere eigenen Haltungen in den von uns beeinflussbaren Lebensbereichen ein bisschen konsequenter das kirchliche Handeln übertragen. Der zweite Zuversichts Big Point sind für mich die vielen hoch engagierten Personen, die im Ehrenamt und Hauptamt für Kirche und Diakonie brennen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf das Gespräch.

[1] Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Ein Impulspapier des Rates der EKD, Hannover 2006, 42.

[2] Vgl. a.a.O. besonders: 27–29. 50 –54. Für Ralf Frisch: Christus kommt nur 11-mal vor.

[3] A.a.O., 44.

[4] A.a.O., 50.

[5] Vgl. Jochen Cornelius-Bundschuh, Wann ist eine Predigt gut? Überlegungen zur Qualität von Verkündigung, in: Praktische Theologie 2011 (46), 39–52, hier: 39.

[6] A.a.O., 51.

[7] Besonders steil: „Für religiöse Organisationen steht an der Spitze das Sachziel, dass Gott selbst handele.“ Hauschildt/Pohl-Patalong, Kirche, Gütersloh 2013, 211.

[8] Vgl. Elisabeth Gräb-Schmidt, Die Kirche ist kein Unternehmen!, Die Rede vom „Unternehmen Kirche“ in ekklesiologischer Sicht, in: J. Fetzer et al. (Hrsg.), Kirche in der Marktgesellschaft, Gütersloh 1999, 65–80.

[9] Margot Käßmann, Mehr als Ja und Amen. Glaube gehört mitten ins Leben, Wetzlar 2017, 101.

[10] Wie stabil ist die Kirche? Bestand und Erneuerung. Ergebnisse einer Meinungsbefragung, Gelnhausen 1974 S.2

[11] Vgl. SI-EKD & KAMP (Hrsg.), Wie hältst du’s mit der Kirche? Zur Relevanz von Religion und Kirche in der pluralen Gesellschaft. Analysen zur 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, Leipzig 2024.

[12] A.a.O., 628.

[13] A.a.O., 420.

[14] A.a.O., 424.

[15] Steve de Shazer, Yvonne Dolan: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurzzeittherapie heute, 2024

Großes Bild: Christian Kopp (Foto: elkb) / Unteres Bild: Abschlusspodium der Tagung mit Landesbischof Christian Kopp, Dr. Claudia Häfner und Daniel Hörsch (online zugeschaltet). Moderation: Pfr. Udo Hahn (Foto: dgr / eat archiv)

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