Tagungsbericht “Lohn und Erde – Ökologische Gewerkschaftspolitik”
Ökologie ist ein Thema, das von Gewerkschaften noch zu wenig gesehen wird. Dabei ist das Potenzial von Gewerkschaftspolitik groß. Wie können Gewerkschaften die ökologisch-soziale Transformation voranbringen?
“Ökologische Gewerkschaftspolitik” – dieser Begriff repräsentiert die Vision, unter der die Tagung “Lohn und Erde” stattgefunden hat. Er steht für das Potenzial, das in Gewerkschaften steckt, die so dringende sozial-ökologische Transformation voranzubringen. Die Tagung “Lohn und Erde” brachte vom 30. September bis 2. Oktober zahlreiche Akteur:innen an einen Tisch, um die Perspektiven, Positionen und Potenziale im Konfliktfeld zwischen Arbeit und Ökologie auszuloten. Diese Vielfalt hat zu einer lebendigen Debatte über gewerkschaftliche Herausforderungen im sozial-ökologischen Wandel, vor allem aber auch über die Chancen einer progressiven ökologischen Gewerkschaftspolitik geführt.
Zielkonflikte zwischen Arbeit und Ökologie verstehen
Den Auftaktvortrag hielt Dr. Jana Flemming, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe “Globalisierung, Arbeit und Produktion” am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) mit dem Schwerpunkt Digitalisierungsprozesse in der Arbeitswelt. Sie gab Einblicke in ihre Forschung zu Zielkonflikten zwischen Arbeit und Umwelt, und zwar aus Perspektive der IG Metall. Zu oft stünden sich Umweltbewegungen und Gewerkschaften bislang konträr gegenüber, so Flemming. Beide Seiten erkennen noch zu wenig dass sie im Grunde für dieselben Ziele kämpfen: Eine Welt, die ein würdevolles, lebenswertes Leben jenseits einer “imperialen Lebensweise” für alle ermöglicht – mit ressourcen- und emissionsärmeren Produktions- und Konsummustern. Für Flemming gehört dazu eine intakte Umwelt genauso wie gute, nachhaltige Arbeit. Jana Flemming nahm eine historische Perspektive ein, um das “So-geworden-Sein” der Gewerkschaften politisch-kulturell nachvollziehbar zu machen. Sie machte deutlich, dass eine ökologische Modernisierung der gewerkschaftlichen Institutionen zwar zwingend notwendig für eine sozial-ökologische Transformation ist, dass dafür aber auch ein kultureller Wandel notwendig ist, der tiefliegende Strukturen und Grundverständnisse berührt.
Arbeit – was ist das überhaupt?
Prof. Dr. Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND), hinterfragte in ihrem Vortrag den Arbeitsbegriff ganz grundsätzlich. Sie kritisierte, dass Gewerkschaften in der Kategorie von Erwerbsarbeit verhaftet seien und plädierte dafür, über Erwerbsarbeit hinauszudenken. In einem historischen Rückblick zeigte sie auf, dass eine auf Erwerbsarbeit beschränkte Perspektive zu Problemen auf geschlechtsspezifischer, soziokultureller und ökologischer Ebene führt. Zahrnt brachte den Begriff der “Care Arbeit” ein, der alle sorgenden Tätigkeiten umfasst, sich auf das Wohl anderer Menschen bezieht und mit einer Verantwortungsübernahme einhergeht. Hierfür bedarf es neuer Strukturen. Eine Möglichkeit, um Care-Arbeit breiter in der Gesellschaft und unter allen Geschlechtern zu verteilen ist die Arbeitszeitverkürzung. Diese durchzusetzen sei vor allem Aufgabe von Gewerkschaften.
Wie können Strategien zur Lösung von Zielkonflikten aussehen?
Der Hauptteil der Tagung bestand in einer intensiven Auseinandersetzung mit Lösungsansätzen ökologischer Gewerkschaftspolitik. Dazu fanden sechs Workshops statt:
Der Workshop von Tanja Brumbauer setzte den Fokus auf das Potenzial gewerkschaftlicher Bildungsarbeit. Sie stellte neben Methoden und Bildungsmaterialien auch ein Fortbildungskonzept vor, das das Next Economy Lab im Rahmen des Projekts “Education for Sustainable Unionists 2030”[1] entwickelt hat. Hier wurden Chancen und Herausforderungen für die gewerkschaftliche Bildung diskutiert. Dabei waren insbesondere die Erfahrungen der Teilnehmenden aus der Praxis relevant, wie etwa die Beobachtung, dass es zwar ein Angebot an ökologiebezogenen Bildungsveranstaltungen gibt, aber mangelnde Anmeldungen ein Problem darstellen.
Der Workshop der beiden Studierenden Lena Alwang und Jakob Mund war als interaktives Format einer Forschungswerkstatt konzipiert. Sie präsentierten die Ergebnisse ihrer Interviews mit Gewerkschafter:innen von ver.di, IG Metall und der IGBCE. Die Tagungsteilnehmenden erhielten durch die Arbeit mit Interviewzitaten einen direkten Einblick in das Themenfeld.
Angelika Zahrnt vertiefte in ihrer Session den Zusammenhang von Care-Arbeit und Ökologie. In einem diskursiven Format erörterten die Teilnehmenden insbesondere den Aspekt von Zeit im Kontext von Care-Arbeit und Ökologie. Auch hier kam das Thema von Arbeitszeitverkürzung verstärkt auf. Ein weiterer Punkt war die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Umverteilung von Kapital als Finanzierungsmöglichkeit.
Prof. Dr. Markus Wissen knüpfte mit einem historischen Blick am Beispiel des sogenannten “Lucas Plans” an, einem Projekt “demokratischer Konversion” aus dem Jahr 1976, das zwar scheiterte, aber dennoch den genauen Blick lohnt, um mögliche Potenziale zu erkennen. In konversiven Projekten werden Betriebe demokratisch organisiert. Beschäftigte können dadurch Einfluss auf das “Was” der Produktion nehmen und zum Beispiel mitbestimmen, welche Güter produziert werden. Mit dem “Lucas-Plan” versuchten Arbeiter:innen des in die Krise geratenen Rüstungskonzerns “Lucas Aerospace” im Birmingham der 1970er Jahren ihre Arbeitsplätze zu sichern, indem sie statt Rüstungsgütern Produkte mit einem sozialen Zweck, wie etwa medizinische Geräte, produzieren wollten.
Die Journalistin und Kommunikationsberaterin Ingeborg Wahle präsentierte in ihrem Workshop Ergebnisse ihrer Untersuchung von 14 Unternehmen, die auf unterschiedliche Weise nachhaltig agieren. Neben der Vorstellung ausgewählter “Graswurzel”-Aktivitäten der Unternehmen, ging Wahle auch auf die Hindernisse ein, die für einen Großteil der Betriebe weiterhin bestehen. Ein Aspekt ist die steigende Komplexität der Handlungsfelder von Betriebsrät:innen, die im Zuge einer ökologischen Modernisierung entsteht. Hinzu kommen Widerstände, denen Betriebsrät:innen begegnen, wenn sie proaktiv in ihrem Betrieb handeln möchten. Das sind zum einen mangelnde Transformationskompetenzen und zum anderen ein zu geringes Ausmaß an Mitbestimmung. Beides müsse dringend gesteigert werden.
Die Bedeutung von Allianzen zwischen Gewerkschaften und Umweltverbänden war ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Tagung zog. Andreas Schackert, der Bundesfachgruppenleiter Busse und Bahnen von ver.di, berichtete von einer erfolgreichen Allianz zwischen ver.di und Fridays For Future. Beide hatten sich vor dem Hintergrund des Tarifstreiks der Busfahrer:innen 2020 zusammengefunden, um gemeinsam für eine sozial gerechte Verkehrswende zu kämpfen.
Dr. Béla Galgóczi, Forschungsleiter am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (etui) betonte die Bedeutsamkeit einer gemeinsamen Strategie europäischer Gewerkschaften und machte sich nicht nur für eine ökologische Gewerkschaftspolitik stark, sondern plädierte insbesondere für eine “Just Transition”. Ziel ist es dabei, die soziale Gerechtigkeit in Fragen ökologischer Transformation immer mitzudenken und Arbeiter:innen und Regionen beim Strukturwandel etwa hin zu erneuerbaren Energien zu unterstützen.
Von der Tauschwert- zur Gebrauchswertorientierung
Prof. Markus Wissen fasste in seinem Vortrag zu “Perspektiven einer ökologischen Gewerkschaftspolitik” das “Jobs versus Environment Dilemma” zusammen und stellte es neben progressive Politisierungen aus der Geschichte wie beispielsweise die demokratische Konversion. Er plädierte für eine “sozial-ökologische Gebrauchswertorientierung”: Diese kann Beschäftigte der Industrie als Produzent:innen adressieren, sie in ihren lebensweltlichen Bezügen erreichen und auch Alltags- und Krisenerfahrungen ernstnehmen.
Stereotype überwinden – das gemeinsame Podium als erster Schritt
Wie genau können die Zielkonflikte überwunden werden? Antworten auf diese Frage thematisierte das Abschlusspodium mit zwei gewerkschaftliche Vertretern, Gerd Hammerl von der IGBCE und Dr. Norbert Reuter von ver.di, sowie Sabine Leidig als ehemaliges Mitglied des Bundestages und Lea Knoff, Fridays For Future-Aktivistin zusammen. Es wurde deutlich, dass trotz unterschiedlicher Perspektiven auf die Zielkonflikte vor allem der Wille da ist, die anderen Perspektiven zu verstehen und sich auf die gemeinsamen Ziele einer sozial-ökologischen Transformation zu konzentrieren. Dazu gehört es, die Sorgen und Ängste des Gegenübers wahr- und ernst zu nehmen, anstatt sie zu stereotypisieren. Nur so können Gemeinsamkeiten erkannt werden. Fazit von Umweltbewegung und verschiedenen gewerkschaftlichen Akteuren war damit: “Verbündet euch, bildet Allianzen!”
Was bleibt?
Durch viele interaktive Methoden hat die Tagung einen Raum geöffnet, der neben kontroversen Diskussionen vor allem eins geschaffen hat: Begegnung zwischen Akteur:innen, die sich so sonst nicht begegnen. Daraus resultiert eine Energie, die zum gemeinsamen Weitermachen motiviert: Arbeit und Ökologie zu verbinden, wird in Zukunft eine große Aufgabe der Gewerkschaften sein. Ihr Mehrwert für ein Voranbringen der sozialen und ökologischen Transformation, ist von enormer Bedeutung.
Luka Eulberg (NELA. Next Economy Lab)
Bild: Tagungsatmosphäre in der Rotunde, dem Auditorium der Evangelischen Akademie Tutzing, während der Tagung “Lohn und Erde – Ökologische Gewerkschaftspolitik” vom 30. September – 02. Oktober 2022 (Foto: eat archiv)
[1] Die Tagung ist Teil dieses Projekts und fand in Kooperation mit der Evangelischen Akademie Tutzing statt.