Südafrika in der Dauerkrise?
Südafrika. “Ein Experiment” mit einer “wunderbaren Verfassung”, das sich 27 Jahre nach dem Ende der Apartheid in “spannenden Zeiten” befindet. – Positive Umschreibungen für ein Land, das mit massiven Problemen zu kämpfen hat und dessen Rolle für den Kontinent und global doch so wichtig ist. In einer Online-Diskussion sprachen Uschi Eid, Christiaan Endres und Renier Koegelenberg über Status Quo und Quo Vadis? am Kap.
“Spannende Zeiten” – eine so geläufige wie auch bittersüße Beschreibung für die Situation in einem Land mit einem überforderten Gesundheitssystem, mit Korruption sowie massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen. Wie kann die Dauerkrise überwunden werden? Und welche Rolle spielt das Land am Kap für die Welt?
Um sich über diese Fragen fundiert auszutauschen, hatte Akademiedirektor Udo Hahn eine Expertin und zwei Experten zum Online-Gespräch geladen: Dr. Uschi Eid, seit 2015 Präsidentin der Deutschen Afrika Stiftung e.V. in Berlin, Christiaan Endres, seit 2019 als Projektkoordinator für die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Kapstadt tätig und Dr. Renier Koegelenberg, Gründer und Geschäftsführender Direktor des EFSA-Instituts für theologische und interdisziplinäre Forschung in Stellenbosch/Südafrika. Bei der Online-Debatte “Brennpunkt Südafrika – Wie entwickeln sich das Land und der ganze Kontinent?” am 23. September konnten die zugeschalteten Teilnehmenden ebenfalls ihre Fragen einbringen. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der EFSA Academy Blaauwklippen Stellenbosch/Südafrika statt.
Die Frage nach der aktuellen Situation, in Bezug auf die anhaltende Corona-Pandemie drängte sich am stärksten auf. Renier Koegelenberg konstatierte, dass es den Menschen in Südafrika besser gehe als in vielen Nachbarstaaten, da bereits 16 Millionen Menschen ihre erste Impfung erhalten hätten. Jedoch: “Es gibt nicht genug Gesundheitspersonal, und viele zögern mit der Impfung.”
Die internationale Covax-Impfkampagne (COVID-19 Vaccines Global Access) kritisierten sowohl er als auch Uschi Eid dafür, dass sie zu schleppend anlaufe. Dies, so Eid, sei “eigentlich nicht zu akzeptieren”. Beide blickten jedoch hoffnungsvoll auf die Ergebnisse der 76. UN-Generalversammlung in New York, die am 24. September zu Ende ging.
Christiaan Endres lenkte den Blick über Südafrika hinaus und wies auf die vielen unterschiedlichen Gegebenheiten auf diesem großen Kontinent hin. Grundlegend sei die deutlich jüngere Bevölkerung, aber auch die schlechtere Gesundheitsversorgung. In der Corona-Pandemie sei die fehlende “Dichte” des Staates deutlich geworden. Dies habe verheerende Folgen für die Bildung, Struktur des Staates und die des Gesundheitswesens gehabt – viele Ärzte, Krankenschwestern und Regierungsmitarbeiter seien gestorben. Zugleich wies er aber auch auf eine gute Kommunikation zwischen den afrikanischen Staaten hin.
“Wir haben es nicht geschafft, eine echte Demokratie durchzusetzen.”
Gefragt nach den Hintergründen der massiven Gewalt und der Plünderungen in Teilen Südafrikas im Juli erklärte Renier Koegelenberg, in Südafrika gebe es einen Konsens, dass die Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma Auslöser der aktuellen Spannungen gewesen sei.
Der Fall werde von einer alten Garde im African National Congress (ANC), der ehemaligen Widerstandsbewegung Nelson Mandelas, instrumentalisiert und wahrscheinlich befeuert, um Präsident Cyril Ramaphosa schwach aussehen zu lassen. Dieser Konflikt wiederum hänge, so Koegelenberg, direkt zusammen mit dem inneren Konflikt des ANC, der das ganze Land beeinflusst. Zugleich wies Koegelenberg darauf hin, dass sich Südafrika schon vor Corona in einer Wirtschaftskrise befunden habe. Die “geerbten” Probleme der massiven Ungleichheit und Perspektivlosigkeit für viele Menschen waren die Ausgangssituation, hinzu kamen die Pandemie, ihre Bekämpfungsmaßnahmen sowie die Konsequenzen daraus. Corona habe den Menschen schwer zugesetzt. Lockdowns kosteten Jobs und damit Existenzen. Sowohl kirchliche als auch zivilgesellschaftliche Non-Profit Organisationen litten stark. “Wir sitzen auf einer Bombe”, konstatiert Koegelenberg angesichts solcher Entwicklungen und verwies auf eine Jugendarbeitslosigkeit von 46 Prozent.
Die schwerste Krise Südafrikas resultiert in den Augen Koegelenbergs allerdings aus der politischen Situation. Er sagt: “Wir haben es nicht geschafft, eine echte Demokratie durchzusetzen.” Faktisch werde Südafrika von einer Ein-Parteien-Regierung geführt, die sich keiner starken Opposition gegenübersieht.
Südafrika und der ANC – die Situation in der Partei bestimmt das Land
Das Problem wurzele im Befreiungskampf des ANC zur Zeit des Apartheidregimes und besonders in den Exilstrukturen des ANC, dessen Mitglieder im Ausland militärisches Training erhielten. Die alten Muster der ANC-Eliten, die im Exil alles ungestraft tun konnten und ihre Methoden nicht änderten, überlebten nach dem Ende der Apartheid.
An diesem Punkt widersprach Uschi Eid. Ihrer Meinung nach sei das nicht nur eine Frage des Exils. Sie zog einen Vergleich mit Eritrea. Sie habe seinerzeit die Befreiungsorganisationen unterstützt und mit ansehen müssen, wie diese auf dem Weg zum Rechtsstaat scheiterten. Den Grund dafür sieht sie in der Unfähigkeit, Prinzipien, die im Befreiungskampf notwendig waren, zu entsagen und auf zentralistisches Denken und Geheimnistuerei zu verzichten.
Christiaan Endres betonte, dass die früheren Tage der Demokratie in Südafrika andere Herausforderungen mit sich brachten als jetzt und verwies auf das ehemals klare Feindbild des Apartheid-Regimes. Die Akteure des ANC betrachtet er eher als “Räuberbarone” denn als Politiker. Die Folge: Die Menschen vertrauten dem ANC nicht mehr.
Bei all diesen negativen Diagnosen gibt es aber auch positive Seiten – diese Auffassung teilten Eid, Endres und Koegelenberg. Uschi Eid betonte vor allem die freie Presse und die aktive Zivilgesellschaft, die zum Beispiel während der Aufstände starken Zusammenhalt bewiesen habe. Hier sei “großes Potenzial vorhanden”. Darüber hinaus gebe es “keine größeren Menschenrechtsverletzungen in Südafrika” und die Justiz sei unabhängig, was etwa die Verurteilung des früheren Präsidenten Zuma gezeigt habe. Diese stabilen Faktoren sind wichtige Voraussetzungen für eine Demokratie. Koegelenberg stimmte Eid hier zu, Südafrika habe eine “wunderbare Verfassung” – der Kampf sei, sie umzusetzen.
Die Herausforderung: Institutionen der Demokratie stärken
Ebenfalls erwähnt wurde an dieser Stelle die wichtige Rolle, die Südafrika innerhalb seines Kontinents spiele. Zum Beispiel etwa dadurch, dass sich in Südafrika der Sitz des afrikanischen Parlaments, und damit wichtige länderübergreifende Strukturen befinden.
Mit Blick auf die internationale Integration und die Partnerschaften Südafrikas wies Uschi Eid darauf hin, dass unter Bundeskanzlerin Angela Merkel Afrika mit seiner “Agenda 2063” in Deutschland Aufmerksamkeit erlangt habe. Unter anderem wurde auf deutsche Initiative von den G20-Staaten der “Compact with Africa” initiiert. Deutsche Unternehmen seien bislang jedoch sehr zögerlich bei Direktinvestitionen in Afrika.
Koegelenberg plädierte dafür, dass deutsche Entwicklungshilfegelder nicht ausschließlich über den südafrikanischen Staat ins Land fließen, sondern auch direkt an Akteure der Zivilgesellschaft, z.B. Kirchen , was diese angesichts korrupter staatlicher Strukturen seit langem forderten.
Endres antwortete auf die Frage der Gefährdung der Demokratie in Südafrika, dass es immens wichtig sei, eine plurale Parteienlandschaft zu unterstützen und die unterschiedlichen Akteure der Zivilgesellschaft zu stärken.
Angesichts der Klimakrise äußerte Koegelenberg Unverständnis über die deutsche Förderung eines Steinkohlekraftwerkes in Südafrika. Auch die Geberländer hätten eine Verantwortung. Die ökologische Verantwortung dürfe nicht auf die Politik in Südafrika abgewälzt werden. Endres hält es für erforderlich, dass die Entwicklungszusammenarbeit auch den Rechtsstaat stärkt.
Christiaan Endres schloss mit einem positiven Ausblick. Das Land habe einen großen Effekt auf die Stabilität des Kontinents insgesamt. Zugleich sei “ein Experiment”. Uschi Eid sagte, es komme jetzt auf Präsident Ramaphosa an und ob er sich gegen die Zuma-Unterstützer durchsetzen könne. Er müsse dafür international Stärkung und Ermutigung erfahren. Renier Koegelenberg warb dafür, die Zivilgesellschaft des Landes zu stärkenund schloss mit der Selbstverpflichtung: “Es ist unsere Verantwortung, mitzugestalten.”
Dorothea Grass / Karl-Benedikt Schäfer
Literaturempfehlungen:
Im Sommer 2021 erschien das englischsprachige Buch “Out of Quatro: From exile to exoneration” von Luthando Dyasop. Darin schildert der Autor, der sich als Jugendlicher dem ANC angeschlossen hatte, seine Exilerfahrungen in Lesotho und Angola.
Anlässlich des 90. Geburtstags des Friedensnobelpreisträgers und Erzbischofs von Kapstadt, Desmond Tutu, erscheint die Festschrift “Ecumenical Encounters with Desmond Mpilo Tutu: Visions for Justice, Dignity and Peace”. Hier mehr lesen.
Akademiedirektor Udo Hahn würdigt Desmond Tutu in diesem Artikel zu seinem 90. Geburtstag.
Hinweis:
Auf dem YouTube-Kanal der Akademie finden Sie den Video-Mitschnitt der Online-Debatte.
Bild: Online verbunden am 23. September 2021: Udo Hahn, Renier Koegelenberg, Christiaan Endres und Uschi Eid. (eat archiv)