Soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt des Jahresempfangs 2023

Nach zweijähriger Pause konnte am 15. März 2023 endlich wieder der Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing stattfinden. Etwa 300 Gäste waren der Einladung der Akademie gefolgt. Festrednerin Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, holte das Thema soziale Gerechtigkeit und Armut in den Musiksaal. Für Heinrich Bedford-Strohm war es der letzte Jahresempfang der Akademie in seiner Rolle als Bischof der Bayerischen Landeskirche.

Festlich erleuchtete Fenster, Stimmengewirr und etwa 300 Gäste: Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie konnte am 15. März wieder der Jahresempfang der Evangelische Akademie Tutzing stattfinden.

Prominente von Peter Maffay über Leslie Mandoki bis hin zu Carolin Reiber und Oskar Prinz von Preußen, dazu Menschen aus Politik, Kultur und Kirche waren gekommen, wie zum Beispiel die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern Charlotte Knobloch, der Archimandrit der griechisch-orthodoxen Metropolie von Deutschland Georgios Siomos sowie Vertreter und Konsule aus Japan, Lettland, der Ukraine, Österreich oder auch Taiwan. Organisationen der Zivilgesellschaft waren ebenso vertreten wie langjährige Kooperationspartnerinnen und -partner.

Der feierliche Rahmen rückte ein Thema in den Mittelpunkt, das seit jeher zu den zentralen Aspekten der Arbeit der Akademie zählt: soziale Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, hielt dazu die Festrede im Musiksaal des Schlosses.

Mit Blick auf das Stichwort der “Zeitenwende” zitierte Akademiedirektor Udo Hahn in seiner Begrüßung den Kirchenlehrer Augustinus: “So wie wir sind, sind die Zeiten.” Deshalb dürften Menschen “zu keiner Zeit” die Kraft und den Mut zur Gestaltung der Welt verlieren, sagte der Theologe. Denkräume wie die Akademie Tutzing seien wichtig, in denen die oft überhörte Perspektive von Betroffenen zur Sprache komme.

Staatsminister Florian Herrmann (CSU) überbrachte in Vertretung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Grußworte der Bayerischen Staatsregierung. Er bezeichnete die Evangelische Akademie als “Denkwerkstatt”, die wichtige Impulse in Politik und Gesellschaft aussende. Als Bildungshaus stehe sie für lebenslanges Lernen als “Schlüsselfähigkeit in einer Welt von ständigen Disruptionen”, sagte Herrmann.

Landesbischof für „Versachlichung der Steuerdebatte“

Auf den Politiker folgte der Kirchenmann: In seiner letzten Rede als Landesbischof beim Tutzinger Jahresempfang fand Heinrich Bedford-Strohm deutliche Worte zum Thema des Abends. Wenn es um Armut und soziale Gerechtigkeit gehe, sei es die Pflicht von Kirche und Diakonie, sich politisch einzumischen, sagte der Theologe. Dazu zitierte er aus der Armutsdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) von 2006: Demnach sei eine Kirche, die “auf das Einfordern von Gerechtigkeit verzichtet” nicht die Kirche Jesu Christi.

Konkret forderte Bedford-Strohm “eine Versachlichung der Steuerdebatte” in Deutschland. Die “Sozialpflichtigkeit privaten Eigentums” müsse angesichts eines Privatvermögens von 7,3 Billionen Euro und “riesiger Zukunftsherausforderungen” selbstverständlich sein. Die Frage sei nicht, “ob es den Wohlhabenden zumutbar ist, sich stärker an der Finanzierung all dieser gesellschaftlich notwendigen Dinge zu beteiligen”, sondern ob mit den Steuereinnahmen auch die gewünschten Effekte erzielt würden. Andernfalls sei das System “dysfunktional”, betonte der Theologe, der im Herbst 2023 aus dem Amt scheidet.

Bentele: Aus armen Kindern werden “fast zwangsläufig” arme Erwachsene und Rentner

Für die Einführung einer Kindergrundsicherung sprach sich die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, in ihrer Festrede aus. Aus armen Kindern würden “fast zwangsläufig arme Erwachsene und später arme Rentnerinnen und Rentner”. Eine Grundleistung für Kinder erzeuge dagegen einen “return on investment”: “Künftig bekommt der Staat diese Ausgaben in Form von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen zurück”, erklärte Bentele, die seit 2018 die 2,2 Millionen Mitglieder des Sozialverbands VdK Deutschland repräsentiert.

In ihrer Rede mit dem Titel “Ungleichheit ist kein Schicksal – Wie wir eine solidarische Gesellschaft werden” verwies Bentele auf Studien, nach denen von Armut betroffene Familien erst in der sechsten Generation ein Durchschnittseinkommen erreichten. Armut bedeute “Stress und Sorgen” ohne hoffnungsvolle Perspektive. Zugleich lasse sich der Staat durch Steuerbetrug jährlich 125 Milliarden Steuereinnahmen entgehen und schone Vermögen mehr, als Arbeitseinkommen.

Solidarität wiederum sei die beste Prävention “nicht nur gegen Armut, sondern auch gegen soziale Verunsicherung” und Demokratieverdrossenheit. Demokratie lebe von allen Menschen eines Staats: “Von den im Lobbyregister Eingetragenen, die jeden Tag ins Maximilianeum kommen – und von denen, die vier Millionen Pflegebedürftige daheim versorgen”, sagte Bentele in Richtung von Staatsminister Herrmann. Beim Thema “Soziale Gerechtigkeit” wegzuschauen, sei für den Staat keine gute Option. Stattdessen brauche es eine zugewandte und solidarische Diskussion, wie mehr Gerechtigkeit gestaltet werden könne.

Der Abend wurde musikalisch begleitet von dem ukrainischen Cellisten Oleksandr Piriyev. Er spielte Johann Sebastian Bachs (1685-1750) Suiten für Violoncello solo (BWV 1007–1009).

Susanne Schröder, Evangelischer Pressedienst (EPD) / dgr

 

Zu den Manuskripten:

Bild: Die Redner und die Festrednerin des Abends: v.l.n.r.: Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Staatsminister Florian Herrmann, die persönliche Assistentin von Verena Bentele, Laura Bürzer, die Sozialverbandspräsidentin Verena Bentele und Akademiedirektor Udo Hahn.
(Foto: Haist / eat archiv)

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