„Schnulzenpfarrer“ Günter Hegele zum 90. Geburtstag
Dass ein Pfarrer sich in der Theologie auskennt, darf man erwarten. Dass er mit der Welt vertraut ist, hingegen nicht in jedem Fall. Zu jenen, die Glaube und Leben zusammenbringen, gehört auch Günter Hegele, von 1957 bis 1960 Studienleiter an der Evangelischen Akademie Tutzing. Er wird am 22. April 90 Jahre alt.
Anlässlich seines 85. Geburtstags widmete ihm die Frankfurter Allgemeine 2014 ein ausführliches Porträt. Sie würdigte ihn als „experimentierfreudigen Veränderer“ seiner Kirche – und Begründer der Pop-Theologie. Nicht nur die geistliche Musik hat ihn interessiert, sondern auch der Schlager. Und er kannte alle Stars seiner Zeit: Freddy Quinn, Peter Kraus, Conny Froboess, Caterina Valente und Wenke Myhre. Auch der Jazz interessierte ihn; er startete eine Jazz-Gottesdienst-Bewegung in der Kirche. Ein Archiv-Foto zeigt ihn mit Nat King Cole (zum Link auf FAZ.de).
Seine Bemühungen, Brücken zwischen den Welten zu bauen, stießen in der Kirche bei manchem auf wenig Gegenliebe. Dabei erkannte er ganz treffend: „Der Schlager spricht tiefere Schichten im Menschen an; die Einsamkeit, die Sehnsucht nach Liebe, nach Heimat, Freude und Gefühl, nach Geheimnis, Trost und irrationalen Inhalten.“ So formulierte er es 1959 in der Erstausgabe der von ihm gegründeten Zeitschrift „Der Plattenteller“, erschienen im Evangelischen Presseverband in Bayern. Ein Jahr später sprach er sich in einem Vortrag vor der Bayreuther Studentengemeinde zum Thema „Schlagerseelsorge“ für die Verwendung geeigneter Schlager in der Seelsorge aus. Viele Schlager, so zitierte der Spiegel Hegele, seien geeignet, den Hörern Trost und Halt bei Einsamkeit, Fernweh und Liebe zu spenden, und steuerten somit dasselbe Ziel an, das auch die Seelsorge verfolge.
Wurde zum Welterfolg: das „Danke“-Lied
„Umtriebig“ etikettierte die FAZ den Theologen, der auch als „Schnulzenpfarrer“ bekannt und gefürchtet war. In der Geschichte der Evangelischen Akademie Tutzing hat er einen festen Platz: 1960 entwickelte er ein Preisausschreiben für neue religiöse Lieder. Es entstanden eine Vielzahl vom Schlager inspirierte Lieder, die auch auf dem säkularen Markt funktionierten. Das gilt vor allem für das „Danke“-Lied von Martin Gotthard Schneider, das den ersten Platz belegte. Gesungen vom Botho-Lucas-Chor, war das Lied 1963 sechs Wochen lang der Nummer-1-Hit in Deutschland. Kein anderes Kirchenlied hat dies je erreicht. Durch den Wettbewerb bekannt geworden ist seinerzeit auch das Lied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“. Beide sind heute fester Bestandteil des Evangelischen Gesangbuchs.
„Schlagerseelsorge“, so lautetet damals der Titel einer Tagung, die Hegele konzipiert hatte. Andere beschäftigten sich mit „Kirche und Sport“ oder dem „Menschenbild der Bild-Zeitung“.
Nach seiner Tätigkeit als Studienleiter war Günter Hegele Studentenpfarrer in München. Von 1967 bis 1976 leitete er eine Jugendbildungsstätte im Rheinland. 1976 wurde er Professor für Praktische Theologie an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Seinen Ruhestand verbringt er in Landau/Pfalz.
„Den Versuch war es auf alle Fälle wert“, so resümiert Hegele in dem FAZ-Porträt seine Tutzinger Initiativen. Und auf die Frage des Journalisten, ob nicht schrankenloser Modernismus die evangelische Kirche bis zur Unkenntlichkeit verfremden würde, antwortete er: „Das ist ein Dilemma, das muss man aushalten.“ Oder mit anderen Worten: Es war schon immer der Auftrag der Kirche, sich auf die Gesellschaft einzulassen und in ihr zu wirken. Mitunter ist das eine Gratwanderung, die Abstürze mit einschließt. Sie hat auch Günter Hegele erlebt – und überstanden. Die Evangelische Akademie Tutzing dankt ihm für seine Aktivitäten. So steht unser Haus nicht nur für Impulse, die in Politik und Gesellschaft ihre Wirkung entfalten, sondern auch die Spiritualität der Kirche prägen.
Udo Hahn
Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Bild: Günter Hegele (Foto: Friedhelm Hans)