Säkularisierung, Ökumene, Vertrauensverlust – die christliche Kirche steht vor großen Herausforderungen
Zur Podiumsdiskussion „Die Zukunft des Christentums“ waren am 18. Dezember Kurt Kardinal Koch aus Rom, Dr. Manfred Lütz aus Köln und Prof. Dr. Christoph Markschies aus Berlin angereist.
Dass die Herausforderungen für die katholische und evangelische Kirche aktuell groß sind – darüber waren sich alle Podiumsgäste im gut besuchten Musiksaal der Evangelischen Akademie Tutzing einig. Doch welche sind das genau und wo liegen Lösungsansätze?
Dr. Manfred Lütz, Arzt, katholischer Theologe und Bestsellerautor, beschreibt in seinem Buch „Der Skandal der Skandale – Die geheime Geschichte des Christentums“ das Phänomen, dass sich Christen für ihr Christentum schämen. – Aus Unkenntnis, wie er auf dem Tutzinger Podium betont (und in einem Blogbeitrag für die Akademie erläutert hat). Aktuell kämen noch Themen wie der Missbrauchsskandal in beiden großen christlichen Kirchen hinzu, der bei den Menschen den Vertrauensverlust in die Kirche weiter vorangetrieben habe. „Dieser Missbrauch ist schlimmer als andere, weil die Menschen ihr Vertrauen in Gott verlieren“, so Lütz. Er begrüßt die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, kritisiert aber auch die wissenschaftliche Herangehensweise des Missbrauchsberichts der katholischen Kirche.
„Wir müssen zu unseren Skandalen stehen“
Auch für Kardinal Koch ist der sexuelle Missbrauch innerhalb der Kirche ein erheblicher Grund für den Vertrauensverlust in die Institution. Missbrauch in kirchlichen Strukturen verletze gleich zwei intime Bereiche des Lebens: die Sexualität und die Religion. Auch er übt Kritik am Umgang der Kirche mit Missbrauch und sexueller Gewalt. Koch fordert seine Kirche auf, eine klare Opferperspektive einzunehmen, eine Null-Toleranz-Politik zu vertreten und künftig „alles für die Prävention zu tun“. „Wir müssen zu unseren Skandalen stehen“, so Koch, „aber auch für die frohe Botschaft.“
Die Kirche habe viele Herausforderungen zu meistern: die Kirchenspaltung überwinden, das Gemeinschaftsgefühl der Christen fördern und den übergreifenden Grundverdacht gegen Institutionen entkräften.
Sprache zurückgewinnen
Der evangelische Theologe Prof. Dr. Christoph Markschies führt als Grund für den Traditionsabbruch innerhalb der Kirche und das schwindende Wissen über das Christentum, eine gewisse Sprachlosigkeit an. Er ist überzeugt: „Wir bilden zu wenig Menschen dazu aus, in einfachen Worten über ihren Glauben zu reden.“ Die Sprache der Theologen, aber auch vieler Christen habe sich mittlerweile zu einer Insidersprache entwickelt, mit der viele Zeitgenossen nichts mehr anfangen könnten. Für die Zukunft sieht er es als wichtig an, „wieder die Sprache zurückzugewinnen“ und „die großen Worte zurückzuerobern“. Jeder Mensch sollte verstehen können, wenn über den Glauben gesprochen wird.
Diesen Aspekt greift auch Manfred Lütz auf. Er hält es für notwendig, auf den Glauben neugierig zu machen. Schon das Reden darüber erzeuge Präsenz und führe zu Realität. In diesem Sinne sei auch der gelebte Glaube essenziell. Ökumene sei für ihn persönlich am stärksten im gemeinsamen Gebet spürbar. Darüber hinaus gebe es viele Initiativen wie etwa „Nightfever“, das als Idee auf dem Weltjugendtag in Köln 2005 entstanden ist, oder die ökumenischen Jugendtreffen der Taizé-Bewegung. Auch kleine Initiativen gehören dazu, wie etwa in seiner eigenen Gemeinde, bei der Familien am Abend zum Pfannkuchenessen und Beten zusammenkommen können. Das höre sich zwar schlicht an, aber man müsse nah am Menschen sein und „das tun, was die Menschen anspricht“.
Kardinal Koch sieht die Kirche in der Pflicht, den Gläubigen eine individuelle Gotteserfahrung zu ermöglichen. Es sollte mehr von Gott gesprochen werden, über die Inhalte des Glaubens. „Das Kostbarste ist der Wein, nicht die Flasche“, so Koch. Das Mittel zu einer persönlichen Gotteserfahrung bleibe das Gebet, es sei „das Handwerk der Christen“.
dgr
Sie können das Gespräch unter diesem Link noch einmal nachhören.
Bild: (v.l.n.r.) Prof. Dr. Christoph Markschies, Kurt Kardinal Koch Dr. Manfred Lütz und Udo Hahn. (Foto: dgr/eat archiv)