Russisch-Orthodoxe Kirche im Abseits
Das Bündnis von “Thron und Altar” scheint in Russland noch existent zu sein. Dass der Russisch-Orthodoxe Patriarch Kyrill Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine als Abwehrkampf gegen den Westen legitimiert, belastet das Christentum weltweit und stellt den Ökumenischen Rat der Kirchen vor eine Zerreißprobe. Damit beschäftigt sich Akademiedirektor Udo Hahn in seinem Gastkommentar für die Bayern 2-Sendung “Zum Sonntag”.
Sendetermin: Samstag, 19. März 2022 um 17.55 Uhr auf Radio Bayern 2
Der Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine stellt die Weltgemeinschaft vor eine Zerreißprobe. Dass der Russisch-Orthodoxe Patriarch Kyrill diesen Krieg als Abwehrkampf gegen den Westen legitimiert, belastet massiv auch die Gemeinschaft der Christinnen und Christen weltweit. Ende August trifft sich der Ökumenische Rat der Kirchen zu seiner 11. Vollversammlung in Karlsruhe. Delegierte aus 352 evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen beraten dann unter dem Motto “Die Liebe Christi, bewegt, versöhnt und eint die Welt”. Von dieser Kraft ist jedoch nichts zu spüren, wenn man den Brief von Patriarch Kyrill an den geschäftsführenden Generalsekretär des Weltkirchenrates liest. Dieser hatte das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche gebeten, sich für ein Ende des Krieges in der Ukraine eizusetzen. Statt ganz im biblischen Sinne friedenstiftend zu wirken, hagelte es Vorwürfe des Patriarchen gegen den Westen, die Nato sei schuld.
Kyrill und Putin, der Kirchenmann und der Autokrat, scheinen Brüder im Geiste, vereint in ihrer antiwestlichen Polemik. Im Hintergrund steht ein Bündnis von Staat und Kirche, wie es sich erst unter der Präsidentschaft Wladimir Putins etabliert hat. Nach dem Ende der Sowjetunion und ihrem militanten Atheismus hat die Russisch-Orthodoxe Kirche unerwartet eine Renaissance erlebt. Sie dankt es dem Autokraten seither mit unverbrüchlicher Loyalität.
Dass in Russland nicht die Schwachen und Ausgegrenzten von diesem Bündnis profitieren, sondern die Starken, die sich straflos wohl alles nehmen können, hat der russische Regisseur Andrey Zvyagintsev in seinem Spielfilm “Leviathan” im Jahre 2014 eindrucksvoll herausgearbeitet. In dem international vielfach ausgezeichneten Werk prangert er Machtmissbrauch und Korruption in Russland an. Der Hauptdarsteller – eine Hiob-Figur – verliert alles. Und die Russisch-Orthodoxe Kirche macht in dieser Geschichte auch noch gemeinsame Sache mit den Mächtigen. Dass Kirchenoffizielle sich gegen diese Kritik verwahrten, und russische Politiker dazu aufriefen, den Film verbieten zu lassen, zeigt, dass in dem Streifen mehr als nur ein Funken Wahrheit steckt.
Die Russisch-Orthodoxe Kirche hat sich mit ihrer Haltung auch in der orthodoxen Weltgemeinschaft ins Abseits manövriert. Wohltuend dagegen die Botschaft des Ehrenoberhaupts der orthodoxen Kirchen, des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios. Er schloss sich ohne Zögern den Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine an. In einer Rede sagte er: „Die Invasion und der Krieg müssen sofort enden, und es muss eine neue Gelegenheit für Dialog geben, das beste Instrument des Friedens überhaupt.“
Klare Worte, wie man sie ebenso von Patriarch Kyrill erwartet hätte. Wenn dieser nicht einlenkt, dann steht auch der Ökumenische Rat der Kirchen vor einer Zerreißprobe. Schon jetzt gibt es Forderungen, die Russisch-Orthodoxe Kirche auszuschließen. Sie sind nachvollziehbar, denn die Russisch-Orthodoxe Kirche beschädigt die Glaubwürdigkeit des Weltkirchenrates, der in seinem Gründungsjahr 1948 die Formel ausgab: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein!“
1984 suspendierte der Lutherische Weltbund zwei weiße Mitgliedskirchen aus Südafrika und Namibia wegen ihres mangelnden Engagements gegen Apartheid. Erst Jahre später – nach einem langen Läuterungsprozess – wurden sie wieder aufgenommen.
In Deutschland ist das Bündnis von “Thron und Altar”, die Einheit von Staat und Religion, seit mehr als einhundert Jahren Geschichte. Gott sei Dank! Die Trennung von Staat und Kirche ist eine Errungenschaft, von der beide profitieren. Mit positiven Auswirkungen auf die politische wie religiöse Kultur. Zum Segen unserer Demokratie und ihrer Zivilgesellschaft. Diese Erfahrung ist auch Russland zu wünschen. Dort stehen bei den Mächtigen weder Demokratie noch Zivilgesellschaft hoch im Kurs. Dass sich Wladimir Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill einig sind, zeigt, wie große die Misere des Landes wirklich ist.
Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.
Hinweis:
Vorliegender Text ist als Gastkommentar für die Sendung “Zum Sonntag” von Radio Bayern 2 erschienen.
Sendetermin: 19. März 2022 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link geht es zur Homepage der Sendung.
Bild: Pfr. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: Haist/eat archiv)