“Ressourcenschonungspolitik wirklich neu denken”
Prof. Dr. Kora Kristof leitete viele Jahre die Abteilung “Nachhaltigkeitsstrategien, Ressourcenschonung und Instrumente” am Umweltbundesamt. Am 1. März 2023 trat sie ihre neue Stelle als Vizepräsidentin für Digitalisierung und Nachhaltigkeit beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT) an und ist aktuell zu Gast an der Evangelischen Akademie Tutzing: als langjährige Kooperationspartnerin der Tutzinger Transformations Tagungen und Netzwerkpartnerin der Transformateure. Adrian Ganz und Martin Held, Transformateure, nutzten die Tagung “Rohstoffwende Metalle” im Februar zu einen kurzen Interview mit ihr.
Adrian Ganz und Martin Held: Kora, Du bist seit vielen Jahren für die sozial-ökologische Transformation unterwegs. Zurzeit befindest Du Dich persönlich in einer Übergangszeit mit dem Wechsel von Deiner Tätigkeit beim Umweltbundesamt zum Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Wir können heute die Gelegenheit nutzen, mit Dir über Deine persönliche Transformationszeit während einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing zu sprechen. Parallel zu Deiner persönlichen Übergangszeit finden weltweit viele Umbrüche statt, die zumal stärker werden. Was ist Deine Einschätzung zu den aktuellen Umbrüchen?
Kora Kristof: Wir haben aktuell eine Reihe von grundlegenden Veränderungen. Ich beginne mit der digitalen Transformation. Sie erfasst unsere Produktionssysteme, unsere Infrastrukturen, unsere Konsummuster und verändert diese grundsätzlich. Diesen Veränderungsprozess gilt es einerseits zu gestalten und dabei andererseits auch sicherzustellen, dass die Nachhaltigkeitsfolgen dieser digitalen Transformation mitgedacht werden. Wenn wir das versäumen, schaffen wir die großen Probleme der Zukunft.
Als zweites komme ich zur dringend anstehenden Nachhaltigkeitstransformation. Ich nenne jetzt nur Klimaschutz, Ressourcenschonung, Biodiversität, aber auch die soziale Nachhaltigkeit sowie Gerechtigkeitsfragen – intergenerationelle und internationale. Wir sehen, dass es zwar im Klimaschutz eine Beschleunigung gibt, wir sehen aber auch Bereiche, wie etwa die Biodiversität, in denen nicht so viel vorankommt. Die Nachhaltigkeitstransformation in ihrer notwendigen Breite gemeinsam zu gestalten, ist die anstehende wichtige Aufgabe. Weitere große Umbrüche wie etwa der demografische Wandel und geopolitische Fragen gilt es dabei mit zu berücksichtigen.
Wir haben also viele verschiedene Veränderungen, die ineinandergreifen und die gemeinsam und forciert zu gestalten sind.
Das zur globalen Lage. Du befasst Dich selbst schon seit vielen Jahren mit dem Thema der sozial-ökologischen Transformation, bist selbst Akteurin, auch hier in der Evangelischen Akademie Tutzing, in der Du gemeinsam mit uns Transformateuren viele Tagungen veranstaltet hast. Was nimmst Du aus Deinen bisherigen Transformations-Erfahrungen für die neue Stelle am KIT mit?
Auf zwei Ebenen nehme ich etwas mit: Erstens auf der Ebene der transformativen Forschung und deren Umsetzung, die sich mit der Frage beschäftigt: Was soll sich ändern? Zu nennen sind beispielsweise die Energiewende, die Ressourcenwende – an diesem Wochenende reden wir speziell über die Rohstoffwende Metalle, die Wachstumswende und viele andere Wenden. Wir haben hier in Tutzing in vielen Tagungen intensiv diskutiert, wie diese Wenden erfolgreich zu gestalten sind und wie sie zusammenhängen.
Quer dazu liegt – auch das haben wir bei den Transformationstagungen immer sehr intensiv angegangen – die Frage: Was sind die Erfolgsfaktoren, dass diese Wenden auch gelingen? Damit verbinden sich ganz andere Fragestellungen, wie z. B. zeitliche Abläufe den Erfolg von Veränderungen mitbestimmen, wie Akteure erfolgreich eingebunden werden, wie Ideen entwickelt werden, die anschlussfähig sind, oder eine Vision, die Menschen bewegt, aktiv zu werden. Also ganz viele Aspekte, die darüber entscheiden, ob die Wenden auch konkret umgesetzt werden können. Ich habe in dem Bereich – der Transformationsforschung – sehr viel geforscht und die Ergebnisse intensiv angewandt. Das nehme ich natürlich auch ins KIT mit.
An diesem Wochenende fokussieren wir auf das Thema Rohstoffe und Metalle. In der Veranstaltung spielt es eine große Rolle, dass dies zwar seit langem ein relevantes Thema der Nicht-Nachhaltigkeit ist, aber bisher nur in einzelnen Bereichen diskutiert wurde. Jetzt gibt es eine starke Beschleunigung der Aufmerksamkeit aufgrund aktueller Entwicklungen und – auch pandemiebedingt – Lieferschwierigkeiten. Wie schätzt Du das ein? Was tut sich da? Ist da aus Deiner Sicht bereits eine kritische Masse zu sehen? Wie ist das Gefühl von Dir: Wo stehen wir? Wie ist die Dynamik?
Die Frage zielt relativ stark auf die Rohstoffversorgung. Ich möchte den Blick etwas weiten: Es geht darum, deutlich weniger Ressourcen zu verbrauchen, und es geht auch um Ressourcenschonung, Kreislaufschließung und andere Muster der Ressourcennutzung.
Auch sehen wir nun Debatten, die durch nicht mehr reibungslos funktionierende Wertschöpfungsketten ausgelöst wurden und durch das politische Kalkül getrieben werden, die Ressourcenfrage auch in internationalen Konflikten gezielt zu nutzen, was ja nicht wirklich neu ist.
Es gibt aber auch politische Entwicklungen, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene, bei denen es darum geht, Ressourcenschonungspolitik wirklich neu zu denken und auf eine neue Stufe zu heben, anders und erfolgreicher zu gestalten. Da sehen wir tatsächlich eine Beschleunigung der Debatte, die ja schon lange läuft. Jetzt könnte so ein Kumulationspunkt sein, an dem klar wird, dass man wirksam und substantiell politisch handeln muss und möchte.
Dies gilt auch auf der Unternehmensseite. Es reicht längst nicht mehr aus, sich nur im Klimabereich neu aufzustellen. Viele Unternehmen fangen jetzt an, sich in Richtung Klimaneutralität aufzustellen – als neues Geschäftsmodell, aber auch um konkurrenzfähig und zukunftsfähig zu sein. Und dieser Veränderungsimpuls kommt jetzt auch im Ressourcenbereich an – über die Diversifizierung der Zulieferer, geschlossene Rohstoffkreisläufe, die Nutzung des anthropogenen Lagers, ressourcenleichtere Verfahren, dem Trend zu nutzen statt zu besitzen usw.
Das sind für Dich besondere Tage, wenn man bedenkt, dass deine Mitwirkung an dieser Tagung Deine letzte offizielle Tätigkeit beim Umweltbundesamt ist und am kommenden Mittwoch Deine neue Funktion beim KIT beginnt. Wie sind dort die Möglichkeiten, Rohstofffragen vergleichbar zur Energie zum Thema zu machen? Das KIT hat im deutschen Sprachraum eine besondere Stellung. Es ist nicht einfach die TU Karlsruhe, sondern wir assoziieren damit das MIT. Hast Du dort Möglichkeiten, Ressourcen zu pointieren?
Das KIT ist im Ressourcenbereich gut aufgestellt. Das ist kein Thema, das ich mitbringen müsste. Das KIT ist nicht nur für den Ressourcenbereich, sondern auch für andere Transformationsthemen interessant, da es Universitätsaufgaben mit Großforschungsaufgaben verbindet und die konkrete Umsetzung auch mit im Fokus hat – und zwar nicht nur technisch, sondern über die Reallaborforschung und -umsetzung konkret im Alltag. Forschung, Lehre und die Umsetzung in der Praxis – in Wirtschaft und Gesellschaft sowie im KIT – können dadurch gut verzahnt wirksam werden.
Hochinteressant ist auch, dass die Vizepräsidentschaft Digitalisierung und Nachhaltigkeit miteinander verbindet, die zwei großen Transformationen, die unsere Welt grundlegend verändern werden bzw. müssen. Diese Transformationen sind untrennbar miteinander verbunden. Sie sind zusammen zu denken – die Digitalisierung muss nachhaltig gestaltet werden und die Nachhaltigkeitstransformation die digitalen Optionen nutzen.
Wir kommen langsam an ein Ende. Ich habe für den Abschluss unseres Gesprächs einen Spruch für Deinen Weg in die neue Lebensphase ausgesucht. Zum Abschluss wünschen wir Dir, dass Du etwas von dem Spruch von Hermann Hesse aus seinem Gedicht “Stufen” spüren wirst:
“Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.”
Vielen Dank für das Gespräch und die immer gute Zusammenarbeit. Ich freue mich auf weitere gute Kooperationen mit Euch.
Das Interview führten Adrian Ganz und Dr. Martin Held am 25. Februar 2023. Beide sind Mitglied bei Die Transformateure – Akteure der großen Transformation, die aktuell die Tagung “Streitbar vorangehen, viel bewegen” an der Evangelischen Akademie Tutzing leiten. Weitere Infos dazu hier.
Bild: Adrian Ganz, Kora Kristof und Martin Held im April 2023 zur “Transformationstagung” an der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: dgr/eat archiv)