Refresher für die Grundrechte?
Heute ist der Tag des Grundgesetzes. Die Artikel des Grundgesetzes legen als Verfassung die staatlichen System- und Wertentscheidungen fest. Studienleiterin Julia Wunderlich fragt: Sind Refresher für das Grundgesetz denkbar? Als Beispiele nennt sie Ergänzungen für die digitalisierte, globalisierte und von Umweltzerstörung bedrohte Welt, die letzten zwei Jahre als Ausgangspunkt für einen neuen Diskurs sowie die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz.
Heute ist der Tag des Grundgesetzes. Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verkündet. Seit 1990 gilt es für ganz Deutschland. Das Grundgesetz ist das Fundament der deutschen Demokratie. Die Artikel des Grundgesetzes legen als Verfassung die staatlichen System- und Wertentscheidungen fest. Aber: Sind Refresher für das Grundgesetz denkbar?
Drei Beispiele wären:
- mögliche, ergänzende Grundrechte für die digitalisierte, globalisierte und von Umweltzerstörung bedrohte Welt,
- die letzten zwei Jahre als Ausgangspunkt zum Diskurs über den Wert der Grundrechte zu nutzen und
- die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz zu diskutieren.
Im Einzelnen:
Sind die Grundrechte zeitgemäß?
Die Grundrechte sind die Basis der Demokratie. Sind sie damit für immer allumfassend? Unsere Gesellschaft hat sich seit der Verkündung der Grundrechte 1949 stark verändert: So gut wie alle Lebensbereiche sind hybrid digitalisiert. Künstliche Intelligenzen treffen Entscheidungen. Der Warenhandel ist global. Die Umwelt ist immer stärker bedroht. Haben die Grundrechte darauf eine Antwort? Die Initiative Jeder Mensch e.V. fordert ergänzende, neue EU-Grundrechte. Mit diesen könne auf eine digitalisierte, globalisierte Welt reagiert werden, die durch den Klimawandel bedroht ist. Auch die Nachhaltigkeitsforscherin Prof. Dr. Maja Göpel gehört dem Verein an. Eins der neu geforderten Grundrechte ist “Jeder Mensch hat das Recht in einer gesunden und geschützten Umwelt zu leben.” Neu vorgeschlagen wird ebenso ein Recht auf digitale Selbstbestimmung oder ein Artikel, der besagt, dass rechtliche Entscheidungen Menschen und keine Künstlichen Intelligenzen treffen sollen. Die aktuellen Grundrechte gilt es immer wieder neu zu prüfen und auf ihre Aktualität hin zu beleuchten, so die Initiative. Braucht es den Refresher der Grundrechte, wie es der Verein “Jeder Mensch” fordert?
Die letzten zwei Jahre im Kontext der Grundrechte
Die Corona-Pandemie löste Maßnahmen zu ihrer Eindämmung aus. Daraus folgte eine Einschränkung der Grundrechte. Für die Bundesrepublik war das ein historisches Novum. Wie konnte es gelingen, dem Schutz der Gesundheit und den anderen Grundrechten politisch gerecht zu werden? Es wird ein Diskussionsprozess bleiben, welche Entscheidungen getroffen wurden und was dies gesellschaftlich sowie rechtlich bedeutete. Ein Zwischenfazit von vielen könnte sein, dass dies der Start für einen neuen Diskurs über die Grundrechte sein kann. Was bedeuten die Grundrechte für uns? Wo finden Diskurse darüber statt? Gleich zu Beginn der Pandemie suchte die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) das Gespräch mit Prof. Dr. Anika Klafki. Die Jenaer Juniorprofessorin beschäftigt sich am Lehrstuhl für öffentliches Recht mit dem rechtlichen Umgang mit Pandemien. “Wie weit dürfen Grundrechtseinschränkungen gehen?” fragte die bpb sie. Anika Klafki, seit Februar 2022 neue Richterin am Thüringer Verfassungsgerichtshof, wog das Spannungsfeld zwischen Effektivität, demokratischer Legitimation und rechtsstaatlichen Grundsätzen am Beispiel von Pandemien ab, wie auch in ihrer gleichnamigen Dissertation. Damit wurde von der bpb eine von vielen Perspektiven aufgezeigt. Denn die Vielfalt an Blickwinkeln auf die letzten zwei Jahre ist groß.
Kinderrechte, Grundrechte, Menschenrechte
Viele Schüler:innen haben ihren ersten bewussten Kontakt zum Grundgesetz beim Blättern in der Miniaturausgabe im Politikunterricht. Wie prägten diese Diskussionen an der Schule das eigene Denken? Was waren die Artikel, die sich am meisten einprägten? Die Würde des Menschen ist unantastbar? Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich? Auch in der außerschulischen Bildung stellt sich die Frage, wie man ein Verständnis für das Grundgesetz und diese Rechtsbasis bekommt – egal in welchem Alter. Wie sind die verschiedenen Artikel des Grundgesetzes in der Praxis erlebbar? Ein konkretes Beispiel sind die Kinderrechte. Dieses Jahr hatte die UN-Kinderrechtskonvention ihr 30-jähriges Jubiläum. Bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode war vereinbart, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Es wurden mehrere Anläufe genommen, umgesetzt wurde es bislang nicht. Auch die jetzige Ampelkoalition hält an diesem Vorhaben fest. Werden die Kinderrechte nun im Grundgesetz verankert werden? Wäre auch dies ein Refresher für das Grundgesetz?
Der Tag des Grundgesetzes heute kann ein Anker sein, um neu über Grundrechte nachzudenken – über Updates, Refresher und darüber, was man an den Grundrechten schätzt.
Julia Wunderlich, Studienleiterin für Jugendpolitik und Jugendbildung (Junges Forum)
Bild: Julia Wunderlich (Foto: dgr/ eat archiv)