Raum für Tischgemeinschaft und Inspiration
Der Architekt Hans-Busso von Busse baute Kirchen, konzipierte das Kongresshaus in Coburg sowie die Erweiterung des Münchner Stadtarchivs – und das Restaurant der Evangelischen Akademie Tutzing, in seiner Form die Miniaturausgabe von Terminal 1 des Münchner Flughafens, das ebenfalls von ihm stammt. Jetzt wurde der Restaurant-Pavillon saniert. Akademiedirektor Udo Hahn würdigt den Bau, der nie unumstritten war.
Was haben das Restaurant der Evangelischen Akademie Tutzing und der Zentralbereich der Passagierabfertigung am Flughafen München (Terminal 1) gemeinsam? Beide Gebäude stammen vom Architekten Hans-Busso von Busse (1930-2009). Das ist aber noch nicht alles, denn Ähnlichkeiten der Baukörper sind nicht etwa zufällig, sondern Absicht. Das 1980 fertiggestellte Restaurant wirkt wie die Miniaturausgabe des Flughafenbaus, der Anfang der 1990er Jahre entstand. Gerade wurde die die notwendig gewordene Sanierung des Restaurants abgeschlossen. Sie fiel jedoch deutlich günstiger als ursprünglich veranschlagt aus und brauchte mit 550.000 Euro nur zehn Prozent der veranschlagten Summe. Dieses Sparwunder hat seinen Grund u.a. in den einst verbauten Materialien, die wiederverwendet werden konnten und in dem kongenialen Zusammenwirken der auf Nachhaltigkeit spezialisierten Architektin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Nadja Häupl, und Akademie-Geschäftsführerin Annette Findeiß (Einzelheiten in diesem Interview nachlesen). Keine Frage: Von Busse war mit diesem Bau irgendwie seiner Zeit voraus. Seine Konzeption war jedoch nie unumstritten.
Aber der Reihe nach. Als die bayerische Landeskirche 1947 Schloss Tutzing zum Sitz der neu gegründeten Evangelischen Akademie Tutzing machte, waren die Anfänge klein und bescheiden. Nicht nur die Tagungen fanden im Schloss statt. In seinen Räumen wurde auch gekocht und gegessen. Und auch die Gäste fanden dort Unterkunft. Mit der Sanierung des Musiksaals und dem Bau der Rotunde durch den Architekten Olaf Andreas Gulbransson wurden die Tagungskapazitäten dem Bedarf entsprechend erweitert. Folgerichtig kam es auch zum Bau eines eigenen Bereichs mit Küche und Verpflegungsmöglichkeit der Gäste.
Das Konzept des Pavillons, der auf zwei Ebenen bis zu 120 Menschen Platz bietet, war aus der Vorstellung einer sich der offenen Landschaft zuwendenden Veranda entwickelt. Sein Tragwerk besteht aus einer Holzkonstruktion. Die Außenhaut ist als integrierte Stahlfassade mit Dreifachverglasung und Sonnenschutz konstruiert – wie auch das später entstandene Terminal 1 des Münchner Flughafens.
Ausgezeichnet mit dem BDA-Preis 1981
1981 hat der Bund Deutscher Architekten in Bayern (BDA) den Pavillon mit einem Preis bedacht. In der Begründung heißt es: “Mit großem Stilgefühl und viel Verständnis für die Qualität des historischen Ensembles wurde hier ein als Tagungsstätte benützter Schloßbau in seinen eigenen Park hinein erweitert. Daß dabei eine plumpe stilistische Anbiederung an das historische Vorbild vermieden werden konnte und doch ein harmonischer Kontakt zur Umgebung möglich wurde, gehört zu den besonderen Leistungen der Planung. Im Innern des wintergartenartigen Anbaues wurde bei der Durcharbeitung der Details besonders auf Qualität geachtet.” Letzteres bot jetzt die Möglichkeit einer Sanierung im Bestand, bei der praktisch das gesamte Baumaterial wiederverwendet werden konnte.
So sehr der BDA den Pavillon lobte, so sehr hätten sich manche gewünscht, wenn von Busse keine helle, moderne Konstruktion aus Glas und Holz gewählt hätte. Dabei hat sich der Architekt sehr genau mit dem Schloss und seiner Geschichte befasst und sich inspirieren lassen. Mit dem Pavillon bezog er sich auf die ursprünglich vorhandene Orangerie des Schlosses, die der Kunsthändler Marczell von Nemes als Schlossbesitzer in den 1920er Jahren zum Musiksaal umbauen ließ. Die Frage, was denn eigentlich der Schlossstil sei, ließ der Architekt offen. So viele Besitzer haben über unterschiedliche Epochen ihre Handschrift hinterlassen. Wer vermochte zu entscheiden, was stilprägend war? Die Idee des Palmenhauses, der Orangerie, motivierte von Busse, einen Wintergarten am Seeufer zu errichten.
Diesen Bau konzipierte er bewusst im Rahmen der Zweckbestimmung einer Akademie. Dabei war die antike Akademie, wie sie in der griechischen Welt lebendig war, sein eigentliches Vorbild. Und die helle Atmosphäre einer Orangerie, die im 18. und 19. Jahrhundert manchem Landschloss hinzugefügt wurde. Sein Architekturprinzip erläuternd, stellte von Busse fest: “Der sorgfältig gewählte und gestaltete Ort für menschliche Kommunikation zeugt von dem Wissen, daß die physische Umgebung, das Milieu, die Atmosphäre – also die Architektur in ihrem wesentlichen Sinne – einen entscheidenden Anteil an der Qualität menschlichen Verhaltens im allgemeinen und für das erstrebte Miteinander im besonderen haben. In einem Haus wie diesem ist das Gespräch, ist die Ansprache, ist die Erfahrung von und in einer Gemeinschaft zum Prinzip erhoben.”
Diese Position verband sich geradezu kongenial mit der Haltung des damaligen Akademiedirektors Claus-Jürgen Roepke. Kein Wunder, dass der BDA mit seinem Preis ausdrücklich auch die Kooperation zwischen dem Bauherrn und dem Architekten würdigte. Diese Zusammenarbeit, geprägt vom wechselseitigen Verständnis für die jeweilige Aufgabe, entscheidet schließlich über den Erfolg praktisch jeden Bauvorhabens.
“Nicht Weinstubengemütlichkeit, nicht Mensa-Askese”
Von Busse hat ein Restaurant entworfen und dabei die Akademie-Idee nicht aus den Augen gelassen. Dies bedeutete auch: “Raum für die Tischgemeinschaft, Raum für die Inspiration vor eine geistigen Herausforderung (zu schaffen); Raum für das klärende, vielleicht auch versöhnliche Wort nach der hitzigen Debatte (zu bieten); aber auch und vor allen Dingen Raum für das heitere Sichverlieren nach getaner Arbeit an die Schönheit der Landschaft und, wer will es verübeln, an die Freuden, die Küche und Keller bereitzuhalten pflegen.”
Der Architekt ging sogar noch einen Schritt weiter: “Wir sahen diesen Raum auch als einen Teil jenes geistigen und geistlichen Geschehens, das diesen Ort heute als ‘evangelische Akademie’ ausmacht. Für uns hat dieser Aspekt räumliche Relevanz; auch von hierher sollte er Identität erhalten, nicht Bier- nicht Weinstubengemütlichkeit, nicht Nobelrestaurant, aber auch nicht karge Mensa-Askese.” Es waren, so schreibt von Busse, “Vorstellungen, die wir mit einer Orangerie verbinden; es waren Vorstellungen von einem Raumgefüge, das ähnlich wie diese die Köstlichkeit unbeschwerter Lebensfreude und der Inspiration den Menschen, die in ihm verweilen, vermitteln sollte.”
Zu diesen Gedanken passt jedoch so gar nicht, dass der Raum im Alltagsbetrieb der Akademie als “Speisesaal” bezeichnet wurde. Das genau ist er ja nicht, wenn man all die Vorbilder hierfür bedenkt, die architektonisch anspruchslos eben nur dem Zweck dienen, dass Menschen ihr Sättigungsbedürfnis befriedigen. Speisesäle sind üblicherweise keine Orte, die zum Verweilen einladen, sondern den Aufenthalt auf das Minimum begrenzen – die Aufnahme des Essens. 2012 wurde der Speisesaal folgerichtig und durchaus in der Intention von Busses in “Restaurant” umbenannt. Damit wird seine Leistung als Architekt gewürdigt, vor allem aber die Qualität des Essens, die Leistung der Küchen-Crew. Speisesäle sind Orte, an denen Kantinenessen gereicht wird, nicht selten in der Hauptsache Convenience-Food. Mag es auch schmackhaft sein, es reicht nicht annähernd an die einmalige Küche der Evangelischen Akademie Tutzing heran. Sie verarbeitet ausschließlich frische Produkte – aus Bio-zertifizierten Betrieben sowie von lokalen und regionalen Erzeugern.
Das Angemessene mit dem Schönen verbinden
Hans-Busso von Busse war enorm vielseitig. Er baute Kirchen wie etwa in Erding und in Würzburg, er sanierte u.a. das Lichtenfelser Stadtschloss und entwickelte das Kongresshaus in Coburg sowie die Erweiterung des Münchner Stadtarchivs, er konzipierte den Zentralbereich der Passagierabfertigung mit Terminal 1, Zentralgebäude, Tower und Parkhäusern – und das Restaurant der Akademie. Sein Credo war “die Architektur des Maßvollen und der Rücksichtnahme, in einer Architektur, die das Angemessene mit dem Schönen zu verbinden weiß”, wie er es formulierte. Zu diesem Anspruch passt, dass in seiner Zeit als Präsident des BDA 1972 eine Grundsatzerklärung verabschiedet wurde, die die besondere gesellschaftliche Verantwortung der Architekten für die gebaute Umwelt herausstellt und zugleich einfordert: “Es ist die Aufgabe des Architekten, den ihn betreffenden Teil der Umwelt zu schaffen, der dem einzelnen ebenso wie der Gesellschaft am besten dient.”
Auch wenn in der Liste seiner Referenzobjekte das Restaurant der Akademie meist nicht genannt wird – erstaunlich eigentlich –, so scheint es sich im Rückblick auf alle Fälle um eines bzw. vielleicht sogar das Schlüsselwerk seines Schaffens zu handeln, das wie kaum ein anderes seine Philosophie erklärt. Über das Restaurant hält er fest: “So ist dieser Ort heute nicht nur ein zweckmäßiges räumliches Instrumentarium für den Auftrag der Akademie, sondern er erfüllt – und dieses macht seine Einmaligkeit aus – gleichwohl auf einer geistigen und emotionalen Ebene je nur selten anzutreffenden, in dieser Form gewiß nicht planbaren und dennoch unerläßlichen Anforderungen, die wir an einen ‘dritten Ort’ mit Recht zu stellen haben.”
Was Hans-Busso von Busse 1986 notierte, hat nichts an seiner Bedeutung verloren. Mit dem Restaurant ist ein Ort entstanden, der nicht nur ästhetischen und funktionalen Ansprüchen genügen muss, sondern auch seiner inhaltlichen Zweckbestimmung dient, dass die Evangelische Akademie Tutzing ihren Auftrag erfüllen kann. Qualitätvolle Bildung mit einem Aufenthalt verbinden zu können, der die Lebensqualität steigert – solche Orte gibt nur wenige.
Der Autor leitet seit 2011 die Evangelische Akademie Tutzing.
Aufmacherbild: Der Innenraum des Restaurants der Evangelischen Akademie Tutzing nach der Sanierung. (Foto: ma/eat archiv)
Vor der Sanierung: Das Restaurant der Evangelischen Akademie Tutzing im Winter (Archiv-Aufnahme, Foto: ma/eat archiv)
Diente Architekt Hans-Busso von Busso als Inspiration: der Musiksaal der Evangelischen Akademie Tutzing, der einst eine Orangerie war. (Foto: dgr/eat archiv)