Raubkunst: Muss die Beratende Kommission ersetzt werden?
Raubkunst und koloniales Sammlungsgut: Eine Tagung fragt nach dem richtigen wissenschaftlichen, rechtlichen und politischen Umgang mit der Vergangenheit. – In Kooperation mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte.
„Einen Fruchtbarkeitsfetisch als Kunstobjekt zu bezeichnen, ist genauso ignorant wie Deutschland als Großbritannien zu bezeichnen“, äußerte der Anthropologe und Historiker Bertram Mapunda aus Tansania am vergangenen Wochenende in der Evangelischen Akademie Tutzing. Mit dieser Pointierung wollte er seinen europäischen Zuhörern bei der Tagung „Raubkunst, Kulturgut, nationales Eigentum“ deutlich machen, dass in der gegenwärtigen Debatte um den Umgang mit Kulturgut aus der Kolonialzeit auch die vielen Fehlinterpretationen auf den Tisch müssen, die an den Objekten in europäischen Museen haften. Es geht also keineswegs immer nur um Rückgaben, wie Mapunda deutlich machte, sondern vor allem darum, in einen Dialog zu treten und in differenzierender Weise über Lösungen für die Zukunft nachzudenken. Durchaus diskutabel seien etwa gute Nachbildungen, zum Beispiel auch im Fall des großen Dinosaurierskeletts aus Tansania im Berliner Naturkundemuseum.
Was unter dem englischen Begriff „heritage“ diskutiert wird, umfasst eben Kultur- oder Naturerbe ganz unterschiedlicher Qualität. In kolonialen Zeiten rafften die Europäer oft bedenkenlos, ohne Rücksicht darauf, was Indigene mit den jeweiligen Objekten verbanden. Viele Kultgegenstände dürften nach ihrer Ansicht gar nicht in der Öffentlichkeit zur Schau gestellt werden. Das macht die Rückgabefrage nochmals schwieriger, denn, wenn an staatliche Museen restituiert wird, bleibt die Entfremdung in den Augen der eigentlichen Herkunftsgesellschaften bestehen. Soll das Zurückgeben als „Wiedergutmachung“ funktionieren, sei es ein voraussetzungsvoller, mehrseitiger und kulturell anspruchsvoller Prozess, so die Juristin Sophie Schönberger bei der Tagung.
Auf der Suche nach „fairen und gerechten Lösungen“
Das gegenwärtige Recht bietet dafür kaum Anhaltspunkte, denn die Kultur-Raubzüge der Vergangenheit gelten längst als verjährt – ob sie die Kolonialzeit oder die NS-Zeit betreffen. Beides wurde vergleichend auf der Tagung diskutiert. Selbst die gegenwärtigen Besitzer von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken können sich in der Regel auf „gutgläubigen Erwerb“ berufen oder haben das Stück längst „ersessen“. Moralisch ist das freilich eine unbefriedigende Situation, so dass bei einer internationalen Konferenz in Washington vor zwanzig Jahren die Übereinkunft getroffen wurde, nach „fairen und gerechten Lösungen“ zu suchen.
Das ist in einigen wenigen Fällen auch mit Hilfe der Beratenden Kommission gelungen, die – nach dem Tod von Jutta Limbach – jetzt von Hans-Jürgen Papier, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, geleitet wird, der ebenfalls auf der Tagung sprach. Allerdings, die vielen auf der Tagung von Provenienzforschern und –forscherinnen genannten Beispiele machen es deutlich: Es sind noch so viele Fälle zu lösen, dass man mit einer Einzelfall-Empfehlungspraxis auf moralischer Basis zu langsam vorankommt. Sophie Schönberger forderte daher eine Rechtsetzung, die den Antragstellern eine Verfahrensposition auf Augenhöhe einräumt und auch zahlenmäßig die Restitutionen voranbringen könne. Hans-Jürgen Papier sah diese positiven Aspekte gleichfalls, warnte aber davor, dass eine Verrechtlichung auf der anderen Seite gerade eine großzügige Auslegungspraxis behindern könne. Indes könne er sich die Ablösung der Beratenden Kommission im Rahmen einer gesetzlichen Regelung des Restitutionsprozesses vorstellen.
Dass Deutschland, das für seine Erinnerungskultur international hohe Anerkennung genießt, in diesem Feld viele Hausaufgaben zu machen hat, sprach Mitveranstalter Christian Fuhrmeister vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte deutlich aus. Auch der Nachlass Gurlitt gibt immer noch viele Rätsel auf, wie die damit befassten Museumsexperten Matthias Frehner (früher Kunstmuseum Bern) und Agnieszka Lulinska (Bundeskunsthalle) betonten. Bei der bedeutsamen Sammlung moderner Malerei von Hans Dittmayer – hier von Barbara Haubold vorgestellt – ist noch ganz wenig über den Verbleib bekannt, ganz zu schweigen von der privaten „Wohnzimmer-Kunst“, über deren Raub Emily Löffler anhand von Beispielen aus Mainz sprach. Dafür wird es nötig sein, wie mehrfach bei der Tagung angesprochen, Provenienzforschung und interdisziplinären bzw. internationalen Austausch finanziell so auszustatten, dass sie das notwendige wissenschaftliche Unterfutter für politische Entscheidungen leisten können. Aber auch jenseits dieser Entscheidungshilfe ist die Forschung in diesen Feldern unerlässlich. Für betroffene Familien kann sie ein Stück Wiedergutmachung bedeuten. Gesellschaftlich ermöglicht sie Lernprozesse, Neubewertungen und eine Sensibilisierung im interkulturellen Dialog.
Ulrike Haerendel
Lesetipp:
Mit dem Thema Restitutionsgesetz und Raubkunst beschäftigte sich im Nachgang der Tagung der Artikel „Partygeplauder“ (Süddeutsche Zeitung, 20.2.2019). Hier geht es zum Link.
Hans-Jürgen Papier erläuterte in derselben Ausgabe der Süddeutschen Zeitung in einem Interview seine Forderung der Tagung nach einem Restitutionsgesetz. Unter diesem Link geht es zum Interview. (Bitte beachten: Dieser Text ist nur für Leser mit SZ-Abonnement abrufbar.)
Bild: Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, Vorsitzender der Beratenden Kommission beim Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste, an der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: Haist/eat archiv)
Prof. Dr. Bertram Mapunda, Direktor und Professor für Anthropologie und Geschichte am Jordan University College, Tansania (Foto: dgr/eat archiv)
Studienleiterin Dr. Ulrike Haerendel im Gespräch mit Bertram Mapunda. (Foto: dgr/eat archiv)
Szene während der Tagung “Raubkunst, Kulturgut, nationales Eigentum? – Objekte zwischen Recht und Moral”, die vom 8. bis 10. Februar 2019 an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand. (Foto: Birgit Schulte)