“Putin bringt uns zurück ins Mittelalter”
Die russische Journalistin Katerina Gordeeva ist für ihr Buch “Nimm meinen Schmerz – Geschichten aus dem Krieg” am 26. November in München mit dem Geschwister Scholl-Preis ausgezeichnet worden. Am Abend vor der Preisverleihung zog sie das Publikum der Evangelischen Akademie Tutzing in ihren Bann.
Still war es in der Rotunde am Abend des 25. November 2024. Konzentriert die Stimmung, fast feierlich, aber vor allem beklemmend angesichts des Themas, um das es ging. Am Tag bevor die russische Journalistin und Autorin Katerina Gordeeva mit dem Geschwister-Scholl-Preis der Landeshauptstadt München und des Landesverbands Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, kam sie zu einer Lesung und einem Gespräch in die Evangelische Akademie Tutzing.
Gordeeva, eine der einflussreichsten unabhängigen Journalistinnen Russlands und scharfe Putin-Kritikerin, hat ein Buch geschrieben, in dem sie Geschichten aus dem Krieg in der Ukraine festgehalten hat: “Nimm meinen Schmerz – Geschichten aus dem Krieg”. Darin finden sich Porträts von 24 Überlebenden des Kriegs. Gordeeva lässt sie in dem Buch zu weiten Teilen selbst ihre Geschichten erzählen. Die Gesprächsprotokolle entstammen Interviews, die die bekannte russische Journalistin mit den Menschen führte – in verschiedenen Städten Europas, aber auch in Moskau und in russischen Flüchtlingslagern, in die sie aus besetzten Gebieten verschoben worden sind. Sie belegen die grausame Realität des russischen Angriffskrieges. Es geht um Flucht, Vertreibung, Verletzung und Tötung von Menschen und Tieren.
Bei ihrem Besuch an der Evangelischen Akademie Tutzing las die Tutzinger Gymnasiastin Elisa Krug aus der deutschen Übersetzung des Buches vor. Sowohl das Publikum als auch die Autorin zeigte sich beeindruckt von der souveränen und zugleich sensiblen Vorlese-Leistung der Schülerin. Im Anschluss an die Lesung interviewte die Literaturjournalistin Marie Schmidt von der Süddeutschen Zeitung die vielfach ausgezeichnete Journalistin, die bis 2012 in Russland als TV-Reporterin und Kriegsberichterstatterin arbeitete, 2014 aus Protest gegen die Annexion der Krim Russland verließ und seither im lettischen Exil lebt.
Für ihren YouTube-Kanal veröffentlicht Gordeeva, die von der russischen Regierung als “ausländische Agentin” geführt wird, Dokumentationen – mit großem Erfolg. Etwa 1,68 Millionen Menschen folgen ihr. Das Buch “Nimm meinen Schmerz” basiert auf der Arbeit für einen Film aus dem ersten Kriegsjahr 2022.
Bemerkenswert ist ihr Umgang mit ihrer eigenen Muttersprache Russisch und ihrer russischen Identität. Im Gespräch mit Marie Schmidt erzählt Gordeeva von ihren Gefühlen, als sie auf Russisch Interviews mit ukrainischen Kriegsflüchtlingen führte. Die russische Sprache sei durch den Krieg zu einer “Angriffssprache” geworden, so Gordeeva. Sie selbst habe zu Beginn nicht geglaubt, das Recht zu haben, über den Krieg zu sprechen. Jedoch: die Hälfte von Gordeevas Familie lebt in der Ukraine, ihre Schwester eingeschlossen. Wie verflochten ihre Familiengeschichte mit beiden Ländern ist, zeigt die Widmung ihres Buches. Dort schreibt Katerina Gordeeva: “Für meine Großmutter Rosa, die in Mykolajiw geboren und in Rostow am Don gestorben ist. Und für meine Großmutter Katja, die in Moskau geboren und in Kyjiw gestorben ist.” Es sei ihr Beruf gewesen, der ihr geholfen habe, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.
“Die Menschen leiden und das wollte ich zeigen”, sagt Gordeeva. Der russischen Präsident Putin töte nicht nur in der Ukraine, sondern auch im eigenen Land. Wenn russische Soldaten in der Ukraine ums Leben kommen, bezahle der Staat der hinterbliebenen Familie Geld. “Putin bringt uns zurück ins Mittelalter”, so Gordeeva. Menschliche und christliche Wertevorstellungen seien ruiniert. Eine Frage, die sie umtreibe sei, ab welchem Moment das Böse im Menschen wachse – und wie man dem entgegenwirken könne.
Dorothea Grass
Bild: Die Journalistin Katerina Gordeeva am 25. November 2024 in der Evangelischen Akademie Tutzing.(Foto: dgr/eat archiv)