Miteinander leben, reden – und streiten
Sich in eine Blase der Eindeutigkeit zu flüchten, finde ich eher gefährlich für unsere Demokratie. Wir brauchen diesen erweiterten Diskurs. Ich komme dabei nicht davon weg, dass wir eine Gesellschaft der Vielfalt bauen werden. Das geht nicht anders. Und das wollen wir auch nicht anders, weil wir zu gute Erfahrung gesammelt haben, mit dem, wie unsere Gesellschaft geworden ist, wie sie ist.
Ich möchte, dass in diesem Land Menschen, egal was sie glauben und wo sie herkommen, Zugang zu ihren Rechten gewinnen und dass wir nicht dem einen jenes zu billigen und dem anderen jedes Maß. Aber ich will, dass wir das tun, in dem wir uns miteinander über die einzelnen Wegabschnitte deutlich unterhalten.
Manchmal, das haben wir auch erlebt, gibt es eine Toleranz, die wir eigentlich gar nicht wollen. Wenn Straftäter Häuser anzünden oder wenn Rechtsextreme extreme Hassparolen verbreiten und die Ermittlungsbehörden sehen das als Kavaliersdelikt an und verfolgen das nicht angemessen, dann ist es natürlich klar, dass aus der Zivilgesellschaft Protest kommen muss. Wer sind wir denn, dass wir einfach nur zuschauen!
Aber es bringt uns jedenfalls nicht weiter, wenn wir uns in unsere jeweiligen kleinen und kleinsten Milieus zurückziehen und dann dort mit unserer Meinung sicher sind. Sondern wir brauchen diesen elementar ja forcierten Austausch unter den Verschiedenen. Eine Gesellschaft erstarkt, wenn Verschiedene ein Gefühl der Verbundenheit und der Solidarität entwickeln.
Differenzen zu leugnen oder zu meinen, wenn wir nicht mehr über Differenz reden, sei alles gut, das wäre etwas zu einfach. Man kann die offenkundigen Differenzen nicht auf semantischem Wege löschen. Wir haben noch viel zu tun, um uns einen Kompass zuzulegen, der uns vernünftig anleitet und manchmal müssen wir es lernen, Argumente, die wir bisher zurückgewiesen haben, Haltungen, die wir gar nicht wahrgenommen haben, einzubeziehen in unseren Horizont.
Wir werden den autoritären Gegnern von Demokratie und Rechtsstaat das Geschäft verderben, indem wir solche Argumente wahrnehmen, indem wir sie aushalten, indem wir sie offen attackieren. Aber wir sollten nicht so tun, als wären sie nicht Teil unserer Gesellschaft.
Ich nehme also nun, nachdem ich sie ein bisschen gequält habe mit diesen weniger festlichen Überlegungen, diesen Löwen in die Hand. Und ich meine, dass wir von so einer Kreatur auch etwas lernen können. Ich weiß schon, dass die Löwen sehr gerne und sehr lange schlafen. Aber sie werden es nicht immer tun dürfen!
Und in diesem Sinne dürfen Sie meine Anmerkungen heute verstehen, ich verbinde Sie nochmals mit einem herzlichen Dank an alle, die mir dieses schöne Tier zugedacht haben.
Weiterführende Links:
Zum Bericht über die Preisverleihung sowie zur Bildergalerie gelanden Sie über diesen Link.
Die Laudatio von Ludwig Theodor Heuss auf den Preisträger Joachim Gauck können Sie hier nachlesen.
Die Begrüßungsrede von Akademiedirektor Udo Hahn finden Sie hier.
Bild: Preisträger Gauck (Mitte) neben seinem Laudator Heuss (li.) und Akademiedirektor Hahn (re.) (Foto: Haist/eat archiv)