Miteinander leben, reden – und streiten
Und wie immer bei Neuerungen gibt es jene, denen sie Angst machen und die sie am liebsten zurückdrehen würden, und jene, die das Neue als die viel zitierte Bereicherung begrüßen.
So sehen wir in unserer Gesellschaft zwei Strömungen, die beide – so unterschiedlich sie sind – auf je eigene Weise mit dieser neuen Situation umgehen.
Und dazwischen ist wohl die Mehrheit jener, die manchmal mehr in die eine und manchmal mehr in die andere Richtung tendieren.
Damit das Miteinander der Verschiedenen gelingen kann, sollten wir uns der Gefahren bewusst werden, die davon ausgehen, wenn zwei Gruppen dasselbe so unterschiedlich wahrnehmen und so unterschiedlich mit derselben Situation umgehen.
Der Demokratieforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat das neulich sehr treffend beschrieben. Er beschreibt einerseits eine Gruppe, die letztlich eine schleichende Transformation zu einer „illiberalen Demokratie“ anstrebt, in der „das Mehrheitsprinzip (….) zur Demokratie schlechthin stilisiert werden“ soll – nach dem Motto „The winner takes it all.“ Er warnt hier vor einer Absolutierung der Mehrheit durch die illiberale Rechte.
Mir ist zwar durchaus bewusst, dass in Vergangenheit und Gegenwart auch eine illiberale Linke existiert. Aber momentan steht mir vor allem vor Augen, dass wir eine regelrechte Renaissance der autoritären Rechten erleben.
Wir staunen darüber, welche Anziehungskraft Ideen einer starken Führung wieder entwickeln. Wir staunen darüber, dass die Sprache der Gewalt, aber auch das Mittel der Gewalt in der Außenpolitik vielen zivilisierten Menschen auf einmal als akzeptabel erscheint, wenn es sich mit Ideen von Einflusssphären oder gekränktem Nationalstolz rechtfertigt. Wir staunen darüber, Vorstellungen einer homogenen Gesellschaft zu begegnen. Wir staunen darüber, wie wirkmächtig Ideen sein können, die Rechtsstaat und Demokratie geringschätzen oder verächtlich machen – in Form von Parolen auf den Straßen, aber durchaus auch in klug formulierten Reden oder Essays in vorgeblichen besseren Kreisen.
Ich vermute, hier an der Evangelischen Akademie schauen wir uns gemeinsam an und sind uns einig, wie sehr wir diesen autoritären, debattenunfähigen Geist ablehnen, der doch einem Miteinander der Verschiedenen diametral gegenüber stehen muss.
Aus meiner Sicht, und vielleicht endet hier der wohltemperierte Konsens, steht aber noch eine andere Vorstellung Debatten im Wege, die eigentlich nötig wären – auch im Sinne des Miteinanders der Verschiedenen. Und hier geht es eben um das Miteinander der Verschiedenen.
Ich komme zurück auf den zitierten Professor Wolfgang Merkel, der eben nicht nur vor den neurechten Ideen warnt, die Verschiedenheit ablehnen.
Er warnt auch vor „der Überfokussierung auch kleinster Minderheiten durch die kulturelle Linke“.
Warum, so mag man in akademisch-protestantischen Kreisen nun fragen, ist denn dieses Konzept bitteschön kritikwürdig? Entspringt es nicht einem menschenfreundlichen Ansatz, nämlich der Würdigung schutzbedürftiger Minderheiten?
Ihr Preisträger ist nun wirklich ein engagierter Verteidiger von Minderheitenrechten, der dankbar ist für jeden Schritt, den Minderheiten auf dem Weg zu Anerkennung und Gleichberechtigung machen. Das ist ja wohl klar.
Er würde dem Forscher aber durchaus Recht geben, dass es bisweilen zu kurz kommt, oder manchmal auch gar nicht angestrebt wird, darüber nachzudenken, wie Minderheiten und Mehrheit miteinander in Beziehung stehen.