“Medienvertrauen und Politikvertrauen gehen Hand in Hand”
Wie können wir künftig als demokratische Gesellschaft zusammenbleiben und welche Rolle spielen die Medien dabei? Diese Fragen beantwortete die Intendantin des Bayerischen Rundfunks, Katja Wildermuth, in ihrer Kanzelrede im November 2022. Dabei ging sie insbesondere auf die öffentlich-rechtlichen Medien ein – und klammerte auch die Kritik nicht aus, der die Rundfunkanstalten momentan ausgesetzt sind.
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Die Herausforderungen, vor denen die Gesellschaften weltweit stehen, wiegen schwer und sind komplex: die Corona-Pandemie, die Fragilität der globalen Lieferketten, der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise – parallel dazu die digitale Transformation und das Klima auf der Erde. All diese Krisen belasten und fordern auch demokratische Länder heraus, drohen sie mitunter gar zu spalten. Immer wieder fällt in der Analyse der Blick auf die Medien und ihre Rolle. Was haben Medien mit Demokratie zu tun und wie können sie demokratische Gesellschaften stützen? Dieser Frage ging Dr. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, in ihrer Kanzelrede am 6. November in der Münchner Erlöserkirche nach. Der Titel der Rede, zu der die Evangelische Akademie Tutzing und ihr Freundeskreis eingeladen hatten, lautete “Zwischen Filterblasen und Vertrauenskrise – Qualitätsmedien und Demokratie”.
“Eine Krise in Dauerschleife” sei es, die die Menschen momentan erlebten und auf die viele mit Nachrichtenmüdigkeit reagieren, manche auch mit Misstrauen in demokratische Institutionen, sagte Katja Wildermuth. Das Problem nur: Die großen Herausforderungen unserer Zeit erfordern Informiertheit der Bürgerinnen und Bürger. Und: Mit dem schwindenden Vertrauen in Institutionen der Politik und der Medien erodiere auch die Fähigkeit des Gemeinwesens, Probleme zu lösen. Wildermuth führte darüber hinaus ein weiteres Problem an: “64 Prozent der in Deutschland Befragten geben an, dass den Menschen hierzulande die Fähigkeit fehlt, konstruktive und zivile Debatten über Themen zu führen, bei denen sie unterschiedlicher Meinung sind.” (Sie bezog sich dabei auf eine Untersuchung der Agentur Edelmann aus dem Jahr 2022.)
“Ein Informationsmonopol der klassischen Redaktionen gibt es nicht mehr.”
Eine wesentliche Rolle der Medien bestehe darin, eine Öffentlichkeit herzustellen, also “einen offenen und wahrnehmbaren Raum für Information und Meinungsbildung zu bieten”. Dies gelte, so Wildermuth für Nachrichtenjournalismus gleichermaßen wie für Filme, Serien und kulturelle Angebote. All jene Dinge vermittelten Werte und wirkten gesellschaftlich integrierend, auch weil sie gemeinsame Erlebnisse und kollektives Erinnern ermöglichen “bei aller Vielfalt an Inhalten, Interessen und Werten einer pluralistischen Gesellschaft”. Vor allem traditionelle Medien wie Print und Rundfunk hätten in der Vergangenheit diese Aufgabe erfüllt. Heute sieht die Sache jedoch anders aus: “Ein Informationsmonopol der klassischen Redaktionen gibt es nicht mehr.” Die Deutungshoheit teile sich auf unter klassischen Medien, Influencer:innen und Unternehmer:innen und neuen Realitäten wie dem “Metaverse”. Diese neuen Realitäten seien es, die die Auswirkung auf Wahrnehmung hätten. “Fakten und Meinungen, Behauptungen und Belege, Erfundenes und Erfahrenes, authentische Videos und manipulierte Bilder stehen unvermittelt nebeneinander – zunehmend ununterscheidbar.”
Medienkompetenz als “Kernkompetenz der Gegenwart”
Wildermuth führte eine Studie der Universität Ilmenau an, die das Verhältnis zwischen Medienkonsum und eigenem Erleben und Beurteilen der Corona-Krise untersucht hatte. “Das Ergebnis: Die mediale Vermittlung der Pandemie beeinflusste die Beurteilung teils stärker als die eigenen Alltagserfahrungen. Und: Verschwörungstheorien, Ohnmacht und Ablehnung erwuchsen vor allem dort, wo vornehmlich via Social Media entsprechende Inhalte immer wieder angezeigt wurden. Resilienter waren, so diese Studie, diejenigen, die Zeitungen und öffentlich-rechtliche Angebote nutzten. Medienvertrauen und Politikvertrauen gehen also Hand in Hand.” Auf Seite der Mediennutzenden steht für Wildermuth die Erkenntnis: “Medienkompetenz erweist sich als Kernkompetenz der Gegenwart.”
Die Intendantin des Bayerischen Rundfunks sprach sich für “kraftvolle Qualitätsmedien” aus, private wie öffentlich-rechtliche, die journalistischen Standards folgen und fair und verantwortungsbewusst mit Informationen umgehen. Wildermuth kritisierte Plattformbetreiber, die als Technikdienstleister begonnen hätten und sich “bis heute weigern, ihre publizistische Rolle anzuerkennen.” Sie prägten zwar die öffentliche Meinungsbildung, unterlägen aber nicht den gleichen Anforderungen wie herkömmliche Medienunternehmen.
Sie sagte: “Wenn Elon Musk – und offenbar sogar einflussreiche Verlagschefs hierzulande – der Ansicht sind, man könne der Demokratie einen Dienst erweisen, wenn man auf Twitter ungefiltert Meinungen, Fakten, Lügen, Hass und aufrechte Ansichten aufeinanderprallen lässt, so widerspricht das allen historischen Erfahrungen, die wir gerade in Deutschland gemacht haben. Es ist vielmehr Aufgabe des demokratischen Staates, grundlegende Entscheidungen über die Ausgestaltung unserer Kommunikationsräume – auch im Digitalen – zu treffen, nicht die einzelner Milliardäre.”
Was passiere, wenn Qualitätsmedien geschwächt sind, zeige ein Blick in die USA, in der die Presse- und Rundfunklandschaft fast vollständig kommerzialisiert und die gesellschaftliche Polarisierung extrem vorangeschritten sei.
“Die Zeit der Massenmedien ist vorbei”
Aus den Anforderungen des digitalen Zeitalters erwachsen so Wildermuth für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk große Herausforderungen – nicht nur hinsichtlich einer umfassenden Grundlage zur politischen Meinungsbildung, sondern auch hinsichtlich des gesellschaftlichen Zusammenhaltes. Man müsse “alles dafür unternehmen, um relevant für alle Teile der Bevölkerung zu bleiben”. Wildermuth weiter: “Unsere Angebote müssen alle Gruppen im Blick haben, sich immer weiter diversifizieren – denn die Zeit der „Massenmedien”, also ein Programm für alle, ist vorbei – heute erwartet jeder und jede, insbesondere im Netz, auf ihre Interessen zugeschnittene Spezialangebote.”
Für die Organisationen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bedeute das auch: eine Belegschaft, die heterogener aufgestellt ist als bislang und die sich nicht nur aus “etablierten Milieus rekrutiert”. Die Programme müssten darüber hinaus digital transformiert werden – auch auf die Gefahr hin, “treues Publikum hier und da vor den Kopf zu stoßen.”
Vorwürfen mangelnder Glaubwürdigkeit und Unausgewogenheit müsse mit “bestem Journalismus” begegnet werden: “constructive journalism”, der sich durch besondere Sorgfalt, Präzision, Faktentreue, unvoreingenommene Recherche, Kontextualisierung und Beleuchtung von Hintergründen und Vermittlung unterschiedlicher Blickwinkel auszeichne. Inhalt und Werbung, Berichterstattung und Kommentar müsse klar voneinander getrennt sein.
Mehr Nähe, mehr Lebenswirklichkeit
Institutionelle Verfehlungen gelte es klar zu benennen und zu beseitigen. Auch das sei “eine Stärke von demokratisch legitimierten Institutionen: die Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber Rechnungshöfen und Kontrollorganen, auch gegenüber den eigenen Journalisten im Haus, ganz im Sinne der inneren Rundfunkfreiheit.”
Es müsse außerdem zur Selbstverständlichkeit werden, mit der Gesellschaft im Dialog zu sein, Erwartungen und Eindrücke abzugleichen, zuzuhören und zu reagieren. “Die Zeit des ‚Sendens‘, raus aus den Redaktionen, rein in den großen Äther, ist vorbei”, sagte Katja Wildermuth. Sie sieht die Nähe zur Lebenswirklichkeit der Menschen als eine Stärke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die noch mehr in den Vordergrund treten muss. Gesellschaftliche Vielfalt und regionale Verbundenheit sei die “DNA der föderalen ARD”.
Gerade in Krisenzeiten werde deutlich, dass für unsere Wertesysteme und demokratischen Errungenschaften immer wieder argumentiert und gekämpft werden müsse – in Begegnungen, die sich durch Differenziertheit, Respekt und Anerkennung auszeichnen. “Eine Schwächung von Institutionen, die unsere Gesellschaft tragen, schwächt auch andere – und damit unser Zusammenleben und die Fähigkeit, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen.”, so Katja Wildermuth.
Im Anschluss an die Kanzelrede begab sich die BR-Intendantin in einen lebendigen Austausch mit dem Publikum in der Münchner Erlöserkirche.
Dorothea Grass
Mehr lesen:
Gastbeitrag von Akademiedirektor Udo Hahn zur Rolle der Kirchen in der Debatte um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, erschienen im Fachblatt epd medien vom 09.12.2022 und abrufbar im “Rotunde”-Blog der Akademie unter diesem Link.
Hinweis:
Zweimal im Jahr veranstaltet die Evangelische Akademie Tutzing gemeinsam mit ihrem Freundeskreis eine Kanzelrede in der Erlöserkirche in München Schwabing. Die nächste Kanzelrede findet am 12. März 2023 statt. Es spricht Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums in München. Weitere Infos hier.
Bild: Kanzelrede am 6. November 2022: Akademiedirektor Udo Hahn (ganz links) neben BR-Intendantin Katja Wildermuth und der Vorsitzenden des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing, Brigitte Grande. (Foto: eat archiv)
Im Anschluss an die Kanzelrede von Dr. Katja Wildermuth moderierten Dorothea Grass (Studienleiterin und Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an der Evangelischen Akademie Tutzing, links im Bild) und Dr. Max von Blanckenburg (Mitglied des Münchner Freundeskreises der Akademie, rechts im Bild) das Gespräch mit dem Publikum in der Erlöserkirche in München Schwabing.
(Foto: eat archiv)
Akademiedirektor Udo Hahn im Gespräch mit der BR-Intendantin Dr. Katja Wildermuth
(Foto: eat archiv)