Loslassen als Strategie
„Kill your Darlings“ lautete das Motto, unter das Staatsoper-Intendant Nikolaus Bachler sein Programm in der vergangenen Spielzeit gestellt hatte. Damit wollte er sich bewusst von Althergebrachtem trennen und unbekannten Stücken Raum geben. Dass Corona diesen Plan durchkreuzte, ist schon fast eine Ironie der Geschichte. Bachler erkennt darin aber auch Befreiung.
→ zum Video-Interview (Link auf YouTube)
Seit 2008 ist Nikolaus Bachler Intendant der Bayerischen Staatsoper in München. In diesem Jahr kam für den gebürtigen Steirer und ausgebildeten Schauspieler noch eine weitere Funktion hinzu: Seit dem 1. Juli ist er außerdem Geschäftsführender Intendant der Osterfestspiele Salzburg und wird ab 2022 auch die künstlerische Gesamtleitung des Festivals übernehmen.
Im RotundeTalk der Evangelischen Akademie Tutzing berichtete Nikolaus Bachler davon, wie er die Zeit des Lockdowns und seine Auswirkungen erlebt hat. „Das Wichtigste war, die Energie zu behalten“, sagte er im Gespräch mit Studienleiter Dr. Jochen Wagner. Ab dem ersten Tag der Schließung habe er mit seinem Team „versucht, nie aufzuhören.“ Daraus sind zum Beispiel die „Streifzüge am Mittwoch“ entstanden, in denen Intendant Bachler jede Woche eine kleine Anzahl von Zuschauern an ungewöhnliche Orte des Nationaltheaters mitnahm, um sie dort Kammermusik von Musikerinnen und Musikern des Bayerischen Staatsorchesters erleben zu lassen. Dabei ging er an Orte, die während des regulären Spielbetriebs nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind – wie etwa die Unterbühne.
Ein Beispiel, das zeigt: Nikolaus Bachler begreift Veränderung als Quelle des Schöpferischen. Hier zeigen sich Parallelen zwischen der Corona-Pandemie und seinem Projekt „Kill your Darlings“. Jedes elementare Ereignis habe immer zwei Seiten, so Bachler. Auf der einen Seite gebe es den Schmerz und die Verängstigung gegenüber dem Verlassen des Vertrauten. Auf der anderen Seite stehe aber die Befreiung. Diesen Moment sehe er auch den Einschränkungen des öffentlichen und kulturellen Lebens durch die Corona-Pandemie. „Das sind ja unglaubliche Freiräume, die sich jetzt eröffnen!“, so Bachler im Interview. Wichtig sei, sich auf das Kommende zu konzentrieren und „die Tür, die aufgeht“ zu sehen statt „im Eck sitzen zu bleiben.“
Es sei das Wesen der Utopie, aus Traum, Erleben und Zerstörung neue Entwürfe für die Zukunft zu schaffen. „Kill your darlings“ gebe einen einfachen Hinweis auf das Loslassen. Wenn die Menschen ihre Darlings killen, müssten sie sich auch darüber im Klaren sein, dass sie umgekehrt auch die Menschen killen. Bachler: „Je mehr die Darlings uns killen, umso mehr wollen wir sie festhalten und zurück.“ Der Schluss daraus könne nur lauten: Loslassen – „nur dadurch wirst du frei.“
Das vollständige Interview mit Nikolaus Bachler ist auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing (#EATutzing) abrufbar.
Bild: Nikolaus Bachler in der Rotunde der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: ma/eat archiv)
Nikolaus Bachler im Gespräch mit Dr. Jochen Wagner, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: ma/eat archiv)