Laudatio auf Joachim Gauck
Es gilt das gesprochene Wort!
Bitte Sperrfrist beachten: Dienstag, 9. April 2019, 19.00 Uhr
Laudatio auf Joachim Gauck zur Verleihung des Tutzinger Löwen
Evangelische Akademie Tutzing, 09. 04. 2019
Von Prof. Dr. Ludwig Theodor Heuss
Sehr verehrter Herr Bundespräsident, lieber Joachim Gauck,
Was für ein schöner Anlass! Ein Löwe für die Freiheit! Noch dazu ein bayerischer Löwe für die Freiheit!
Gewiss, ich habe gelernt, der Tutzinger Löwe steht für herausragende Verdienste in Politik, Kirche und Ökumene, in Wissenschaft und Medien und ja, natürlich, die Auszeichnung steht für Toleranz und Weltoffenheit. Das trifft ja auch alles in ganz vorzüglicher und nicht zu übertreffender Weise zu.
Aber trotzdem ist es dieses Mal vor allem und ganz besonders ein Löwe für die Freiheit.
Für einen Löwen der Freiheit.
Denn Freiheit, lieber Herr Gauck, das ist Ihr Lebensthema, ein Thema, das Sie begleitet hat und das Sie ins Zentrum gerückt haben. Hier, in Tutzing haben Sie im Januar 2011 ein flammendes, später in gedruckter Form weit verbreitetes Plädoyer für die Freiheit gehalten. Genauer: für den Dreiklang von Freiheit, Verantwortung und Toleranz. Aber die Freiheit erhielt eine besondere, eine herausgehobene Bedeutung zugesprochen. Sie kommt zuerst, sie bildet die Basis.
Ausgerechnet Freiheit. Die Deutschen tun sich bekanntlich schwer mit der Freiheit. Sie liegt ihnen nicht, ist ein Minderheitenthema, ein abstrakter Begriff. Gewiss ein hohes Gut, aber ist sie in unserem gesellschaftlichen Kontext wirklich noch aktuell? Haben wir sie nicht fast im Überfluss? Stehen heute nicht wichtigere Themen an? Solidarität, Gerechtigkeit, Klimawandel? Welche politischen, welche gesellschaftlichen Entwürfe verbinden wir denn noch mit der Freiheit?
Der bedeutende Denker und Ökonom Friedrich August von Hayek sieht den Zweck der Freiheit bekanntermassen gerade nicht in einem idealen Gesellschaftsentwurf, sondern darin «die Möglichkeit von Entwicklungen zu schaffen, die wir nicht voraussagen können» und deshalb nie wissen «werden, was wir durch eine Beschränkung der Freiheit verlieren.» Eine richtige, eine spontane Ordnung, so Hayek, entsteht durch Wettbewerb und Markt die möglichst keinen Einschränkungen unterworfen werden dürfen um ihre bestmögliche Wirkungsmacht zu entfalten. Deshalb, so fährt er fort, kann Freiheit nur «erhalten werden, wenn sie als Grundprinzip verteidigt wird. Eine Verteidigung der Freiheit [aber] muss unbeugsam, dogmatisch und doktrinär sein.»
Meine Damen und Herren, ich spüre es, zumal hier in den Räumen einer Evangelischen Akademie: beim einen oder anderen kommt ein gewisses Unbehagen auf. Worauf will er hinaus? Spricht über Freiheit und zitiert einen der Säulenheiligen des Marktes, des kalten, leider fälschlicherweise so bezeichneten, Neoliberalismus? Jemanden, für den sich Freiheit ausschliesslich in den Abwehrrechten des Individuums erschöpft? Meine Damen und Herren, leider hat diese Negativfolie die Diskussion des politischen Freiheitsbegriffs in den vergangenen Jahrzehnten dominiert. Dieser libertäre Freiheitsbegriff bleibt spröde, technokratisch, kalt und konstruiert. Und darum, ich gestehe es Ihnen ein mag ich Hayek auch nicht.
Aber darum mag, verehre, bewundere ich umso mehr Joachim Gauck, weil es Ihnen, verehrter Herr Gauck zu verdanken ist, in der öffentlichen Wahrnehmung den Freiheitsbegriff aus solcher blutleerer und abstrakter Debatte volkswirtschaftlicher Proseminare zu befreien, zu beleben und im gesellschaftlichen Diskurs wieder mit positiven Emotionen zu konnotieren. «Wir brauchen», so haben sie gesagt, «eine affektive Haltung zu den Grundwerten unserer Gesellschaft». Und darum fordern Sie von uns Deutschen mehr: wenn schon nicht Liebe, dann doch zumindest eine wohlmeinende «Geneigtheit zur Freiheit».
Nein – die Freiheit ist für Joachim Gauck kein abstrakter, abgekühlter Begriff, der auf Distanz bleibt. Der emotionale Bezug begründet sich vielmehr aus den Geschehnissen der eigenen Biographie, aus dem Erleben, aus dem Erleiden einer Negation der Freiheit durch die Konfrontation mit unberechenbarer staatlicher Willkür. Als Elfjähriger erlebten Sie die plötzliche, unschuldige Verschleppung des Vaters nach Sibirien durch Schergen des sowjetischen Militärgeheimdienstes. Später, die offensichtliche Diskrepanz zwischen der angeblich glücklichen sozialistischen Gesellschaft, der «schön wie nie über Deutschland scheinenden Sonne» und der Alltagsrealität von, ihrer persönlichen und gesellschaftlichen Freiheit beraubten, «Insassen» des Arbeiter- und Bauernstaates.
Das Leben als erwachsener, selbstverantwortlicher Mensch mit, in oder unter einem System der Unfreiheit. Das ist eine nicht nur, aber doch auch sehr deutsche Erfahrung, der die Frauen und Männer, die jenseits des Eisernen Vorhangs lebten, in doppeltem Mass, während zweier Generationen ausgesetzt waren. Heute, knapp dreissig Jahre nach dem Fall der Mauer, verblasst und verklärt sich bei den Jüngeren die unmittelbare Vorstellung dessen, was Unfreiheit mit Menschen anrichtet. Das mag tröstlich sein. Aber Vergessen ist Gnade und Gefahr zugleich, birgt die Bedrohung neuer Verführbarkeit und alter Vorurteile. Sie, verehrter Herr Gauck, sind in einer Opposition gegenüber dem Regime, einem wie Sie schreiben «Antikommunismus aufgewachsen, der aus Leiden, Erkennen und Sensibilität, nicht aus Vorurteil und Ressentiment hervorgeht». Und das bleibt doch in der seelischen Auseinandersetzung mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart das Zentrale: das sensible Einfühlen und Erkennen des Leidens. Das Erinnern und Wachhalten der Sehnsucht nach Freiheit, wenn sie fehlt.
Unterwerfung oder Widerstand, Flüchten oder Standhalten sind Grundfragen der Gesellschaft im 20. und 21. Jahrhundert, die unser aller Familiengeschichten durchziehen. In stillen Momenten stellen wir uns die Frage: Wie hätte ich, wie würdest Du handeln? In einem Parlament, in dem sich eine Übermacht bewaffneter SA- und SS- Leute zu einer wildentschlossenen Drohkulisse aufbaut um eine Abstimmung zu beeinflussen, oder nach einer Denunziation durch den Blockwart mit anschliessender Hausdurchsuchung der Gestapo oder bei einer Vorladung der Stasi, die akribische Protokolle von Gesprächen im Freundeskreis vorlegt, oder in einem Staat, der das Wohlverhalten seiner Bürger mit einem Sozialpunktesystem überwacht und so gefügig macht? Flüchten oder standhalten? Sie, verehrter Herr Gauck, wählten in Ihrem Leben immer das Standhalten.
Und das nicht nur, weil Sie «aus festem, sehr protestantischem Holze» sind, wie Sie Hildegard Hamm-Brücher, eine andere Tutzinger Löwin, einmal beschrieb. Nein – es gab ja auch andere Pastoren, die Geschmeidigkeit an den Tag legten.
Aber Sie haben uns allen aus der Erfahrung und Beobachtung sehr überzeugend immer wieder ins Bewusstsein gerufen: auch in Zeiten der Unfreiheit, der Diktatur, gilt für jeden Einzelnen die Erkenntnis: «Ich habe eine Wahl.» Natürlich sind die Möglichkeiten viel eingeschränkter, als in einer freien Demokratie. Aber es bleibt doch immer: die Wahl entweder mitzutun oder sich, auch ohne ein Held zu sein, im Rahmen seiner Möglichkeiten zu entziehen. Die Wahl, sich dem Druck zu beugen oder fest zu bleiben. Die Wahl, wissen zu wollen oder sich zu verschliessen.
Wählen zu können, der freie Wille, ist die Essenz von Freiheit. Es ist die innere Freiheit des Einzelnen, die seine menschliche Würde bestimmt. Ob eine Entscheidung letztlich richtig oder falsch war, bleibt im Wesentlichen Massgabe des inneren Wertesystems. Sie haben, während Jahren in der Gemeindearbeit, genau hierfür Grundlagen gelegt. In einer Zeit in der die äussere Freiheit fehlte, haben Sie Menschen Mut gemacht, sie bestärkt in der Gewissheit, dass es eine Sphäre persönlicher Freiheit gibt, in der die innere Freiheit der Entscheidung jedem Einzelnen erhalten bleibt. Und Sie haben Mut gemacht, «Abschied zu nehmen vom Schattendasein in den Tarnanzügen der Anpassung».
Doch haben Sie uns auch immer vor Augen geführt, dass es eine pubertäre Vorstellung wäre, Freiheit mit Bindungslosigkeit gleichzusetzen. Im Gegenteil: «die Freiheit des Erwachsenen», so haben Sie es formuliert «heisst Verantwortung», ist seine Fähigkeit zur Bezogenheit, für sich und Andere Verantwortung zu übernehmen, Rechenschaft und Haftung für sein Verhalten abzulegen und auf die Gestaltung seines Umfeldes Einfluss zu nehmen. Freiheit als Verantwortung verstanden, das ist die Basis unserer gesellschaftlichen und politischen Existenz.
1989 hatten sich die Menschen zwischen Rostock und Plauen, mit dem stolzen Wort «ermündigt»: «Wir sind das Volk». Ein Wort von dem Sie einmal sagten, dass, «wenn die Politik die Dimension des Heiligen hätte,» dieser Satz heiliggesprochen werden müsste: «Wir sind das Volk».
Doch noch vor dem «wir», vielleicht manchmal nur einen Augenblick, kam das «ich». Der Weg in die Freiheit führte über die Selbstermächtigung des Individuums, seiner Wahrnehmung und Bewusstwerdung. Dem Erwachen von Bürgersinn und Zivilcourage, folgte das solidarische «wir», das Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung. Das ist das grosse Geschenk und Vermächtnis, das die Bürger der ehemaligen DDR der deutschen Freiheitsgeschichte gemacht haben. Sie, Joachim Gauck, haben diesen Vorgang von Anfang an als solchen verstanden, mitgestaltet und verteidigt.
«Unser Land» so sprachen Sie, als Bundespräsident am 23. März 2012 vor dem Bundestag, «unser Land muss ein Land sein, das beides verbindet: Freiheit als Bedingung für Gerechtigkeit – und Gerechtigkeit als Bedingung dafür, Freiheit und Selbstverwirklichung erlebbar zu machen.» Und an anderer Stelle legten Sie dar, dass, und warum in unseren freiheitlichen Gesellschaften im Spannungsdreieck von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, ganz natürlicher Weise ein Schwerpunkt auf der Freiheit liegen muss. Was für ein Glück für dieses Land, an höchster Stelle in Ihnen einen solchen Herold der Freiheit gehabt zu haben.
Doch es wird enger für die Freiheit. Sie haben in Ihren treffsicheren Beobachtungen nicht nur den Wandel von der Untertanenmentalität zum freien Bürger beschrieben, nein, Sie haben auch von der Angst gesprochen, die Freiheit auslösen kann, wenn sie einmal nicht nur Sehnsucht, sondern Realität ist. Die Angst vor der Freiheit nach der Freiheit, weil sie die Notwendigkeit mit sich bringt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und die Gefahr birgt, dabei auch zu scheitern. Die Angst vor der Freiheit, weil manche befürchten, dass diese Freiheit anderen mehr nützen könnte als ihnen selbst. Freiheit, wir wissen es, ist oftmals schwierig, weil sie von uns auch dort Toleranz erfordert, wo es eine Zumutung ist. «Toleranz», so haben Sie es formuliert, «kostet oft eine starke innere Überwindung, weil sie scheinbar Unvereinbares vereinbaren soll: Respekt ausgerechnet für jene Mitmenschen, deren Religion oder Meinung oder Lebensstil wir nicht teilen, teilweise sogar ausdrücklich falsch oder bedenklich finden und im ideologischen Disput bekämpfen möchten.» Was Sie darunter verstehen konnte man vor wenigen Tagen eindrucksvoll in einer Fernsehdokumentation verfolgen wie Sie, mit politisch- weltanschaulichen Gegnern aus dem Umfeld von Pegida, AfD oder der Linken das respektvolle, zuhörende, aber auch klare Gespräch geführt haben. Ein wertvolles Lehrstück dafür, dass Toleranz weder Gleichgültigkeit noch Akzeptanz bedeutet.
Die Freiheit, wenn man sie einmal hat, ist flüchtig und immerzu gefährdet. Sie bedarf der Zuwendung und Gestaltung und muss von jeder Generation, auch denen, die in ihr geboren wurden, neu erkämpft und verteidigt werden. So wie es Karl Popper sagte: „Wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“
Ja, Freiheit ist eben ein besonderes Gut. Sie ist nicht alles, sie ist nicht losgelöst, aber sie ist die Bedingung für Verantwortung, für Gerechtigkeit, für Solidarität und Toleranz. Und darum ist sie kein kaltes Abstraktum sondern verdient, wie Sie, verehrter Joachim Gauck es vorleben, unsere leidenschaftliche Pflege und Zuneigung.
Von Perikles ist das Zitat überliefert:
«Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Und das Geheimnis der Freiheit ist der Mut.»
Und ich möchte anfügen: Das Symbol des Muts ist der Löwe.
Auf dass er weithin laut und vernehmbar brülle!