Land der Widersprüche: Die USA nach der Wahl
Wenige Tage nach der US-Präsidentschaftswahl beschäftigte sich der Politische Club der Evangelischen Akademie Tutzing mit dem Ergebnis und seinen Folgen für die USA, die Welt, Europa und Deutschland. Außerdem gab es eine Premiere: Zum ersten Mal wurde online getagt. Die Videomitschnitte können Sie auf unserem YouTube-Kanal abrufen.
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(Links zu den einzelnen Videos am Ende des Textes)
Als “spannend, aber auch besorgniserregend”, bezeichnete Tagungsleiter Dr. h.c. Wolfgang Thierse die US-Wahl und ihren Ausgang. Damit meinte er nicht nur die Desavouierung des Ergebnisses durch den amtierenden Präsidenten der USA, sondern auch die Spaltung des Landes, das “Klima des Hasses”, die schwindende Kultur des Kompromisses, die ungerechten Wahlbedingungen sowie das Wahlsystem.
Via Bildschirm hatten der Leiter des Politischen Clubs und Akademiedirektor Udo Hahn ihre Gäste und Referierenden vom 14.-15. November 2020 zur Veranstaltung “Die USA nach den Präsidentschaftswahlen” begrüßt. – Eine Premiere in der Geschichte des Politischen Clubs, dem ältesten Tagungsformat der Evangelischen Akademie Tutzing.
Die Teilnehmenden hatten via Chat die Möglichkeit, sich live an der Debatte zu beteiligen und Fragen zu stellen – ganz so, wie auch im Präsenzformat des Politischen Clubs. (Die anschließenden Fragen und Debatten an die jeweiligen Vorträge finden Sie ebenfalls in den Video-Mitschnitten auf unserem YouTube-Kanal).
Dass die Wahl des US-Präsidenten weltweit mit so viel Spannung und Emotion verfolgt wurde, war auch in Deutschland spürbar – und zeigte die Relevanz der Themen hierzulande. Sieben Erkenntnisse zog Thierse aus der Herbsttagung des Politischen Clubs.
- “Wahlen haben Konsequenzen” (Zitat von Klaus Brinkbäumer)
- Die Entwicklung in den USA zeige deutlich, dass Demokratie etwas Fragiles ist und erinnere daran, wie wichtig stabile demokratische Institutionen seien.
- “Trump war Populismus von oben!”
- Die “Faszination des Demagogischen” wirke nach wie vor – ihm müsste widerstanden werden.
- Um Demokratien zu verteidigen, müsse privatwirtschaftliche Medienmacht eingeschränkt werden. (Thema Medienmacht und Medienspaltung)
- Der Erfolg von Trump und die Spaltung der US-Gesellschaft habe viel mit Unsicherheiten zu tun, die ökonomisch, sozial und kulturell bedingt seien. Diese Unsicherheiten müssen ernst genommen werden.
- Die deutsche und europäische Verantwortung sei mit dem Wahlergebnis für Biden nicht kleiner geworden, sondern größer.
Um den Teilnehmenden einen möglichst umfassenden Eindruck zum Thema zu vermitteln, hatte Wolfgang Thierse Referierende mit unterschiedlichsten Erfahrungshintergründen und Expertisen geladen.
So schilderte der ehemalige Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz und langjährige Vertraute Helmut Kohls im Bundeskanzleramt, Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik, seine Erfahrungen mit US-Präsidenten, ihre jeweilige Beziehung zu Deutschland und die prägendsten Ereignisse ihrer Präsidentschaft. Angefangen bei John F. Kennedy, seiner Rede in Berlin im Juni 1963, Präsident Nixon und die Zeit der “Entspannungspolitik” sowie des darauffolgenden Nato-Doppelbeschlusses, die Präsidentschaft Jimmy Carters und das Zerwürfnis mit Helmut Schmidt, das gute Verhältnis zwischen Helmut Kohl und Ronald Reagan, beide Bush-Administrationen, die Clinton-Zeit sowie die Präsidentschaft Barack Obamas sowie die diplomatischen Fehlpässe der Ära Trump. Auch Joe Biden hat Teltschik kennengelernt, den er als persönlich “völlig unkompliziert” und inhaltlich als “keinen großen Strategen” bezeichnet.
Entscheidend werde in der Biden-Präsidentschaft sein, wer zum “Chief of Staff” ernannt werde, wer Außenminister werde und wer das Verteidigungsministerium übernehme.
Teltschiks Rat an die Europäer: möglichst rasch auf Biden zuzugehen und Felder der Zusammenarbeit zu suchen. Darüber hinaus hält er eine globale Initiative für Abrüstung dringend geboten. Als wichtigste Themen für die Biden-Regierung definiert er die Themen Klima, Welthandel, Interventionsmüdigkeit, Lastenteilung unter den Bündnispartnern, die Rolle der Nato, Iran und China.
Der Journalist und Autor Klaus Brinkbäumer, der mehrere Jahre in den USA gelebt hat, ging in seinem Vortrag auf die Hintergründe der Spaltung der amerikanischen Gesellschaft ein. Besonders Änderungen in drei Bereichen seien dafür ausschlaggebend gewesen: Die Einführung der sogenannten Section 230 im Medienrecht, das Soziale Netzwerke von 1996 an von Verantwortung freisprach, die Abschaffung der “Fairness Doctrin” im Jahr 1987, die Berichterstattern vorschrieb, auch immer die Position der Gegenseite zu nennen – sowie die Entstehung des “Talk Radios”, das das Mediengeschehen in den USA und die Kultur der politischen Debatte stark beeinflussen und Verunglimpfungen und Hassbotschaften sendetauglich machen sollte.
Politisch gesehen habe Donald Trump das Erbe einer Spaltung angetreten, die bereits in den 1960er Jahren vollzogen wurde als etwa die “Dixiecrats” die Demokraten verließen sowie Präsident Nixon die Bürgerrechtsbewegungen im Jahr 1968 als Gefährdung der öffentlichen Sicherheit brandmarkte. Die Verschärfung der politischen Sprache, wie sie der Republikaner Newt Gingrich auf die Spitze trieb, wurde von Trump aufgenommen und weiterbetrieben. Auch Lüge sei bereits vor Trumps Wahl zum Präsidenten salonfähig gewesen: spätestens seit George W. Bush von Massenvernichtungswaffen im Irak sprach, die schließlich zum Kriegsgrund werden sollten. Dennoch: “Man sollte Trump nicht unterschätzten”, so Brinkbäumer. Er sei zwar jemand, der Niederlagen nicht ertragen könne, dennoch sollte man ihn nicht “psychologisieren”.
Was einen US-Präsidenten Joe Biden angelangt, rechnet der ehemalige Chefredakteur des Spiegel mit einer sehr viel deutschlandfreundlicheren Politik und fügt hinzu “Biden ist ein Transatlantiker”.
Brinkbäumers Lehren aus den vergangenen vier Jahren und den elf Tagen, die bis zum Politischen Club nach der Wahl des US-Präsidenten vergangen waren: “Wahlen haben Konsequenzen”, “Fehler werden bestraft” (hier spielte er auf rechtliche Änderungen an) sowie die Verantwortung zum Schutz und zum sorgfältigen Umgang mit demokratischen Institutionen.
Stefan Kornelius, Leiter des außenpolitischen Ressorts der Süddeutschen Zeitung, bezeichnete als zentrales Merkmal der Trump-Präsidentschaft den Norm- und Regelbruch. Auch das politische System sei durch Brüche gekennzeichnet, so Kornelius. Hinsichtlich Wählermobilisierung und Wählerschichten habe der Republikaner Trump so viele Stimmen mobilisiert, wie noch keiner seiner Parteigenossen vor ihm. Die politische Realität sei aber auch gekennzeichnet vom einem “ökonomischen Vakuum”: In einem Staat und in einer Gesellschaft, die sich (auch) aufgrund der Digitalisierung rapide verändere, gebe es viele Verlierer, die sich oft zurückgelassen fühlten. Die gesellschaftliche Schere der US-Gesellschaft gehe immer weiter auseinander, der viel beschworene “American Dream”, das Versprechen des gesellschaftlichen Aufstiegs, sei längst gebrochen. Auch die Bildung entlarve ihre Unehrlichkeit: Wer durch Bildung gesellschaftlich aufsteigt, braucht auch das entsprechende finanzielle Kapital.
Trump habe denen, die sich abgehängt fühlten, eine Stimme gegeben. “Trump entdeckte das große Potenzial der Entrechteten” und sei so zur “Personifizierung dieses wütenden Ansturms auf die Regierung” geworden. Letztendlich habe Trump das System aber nicht brechen können – wohl aber in vielerlei Hinsicht ein Erbe hinterlassen. Für Kornelius steht fest: “Helden sind die vielen Wahlzähler”.
In außenpolitischer Hinsicht habe Trump eine Strategie des Isolationismus und der Unberechenbarkeit verfolgt und eine irritierende Sympathie für Autokraten (etwa Nordkorea) gezeigt. Kornelius teilt die Auffassung Teltschiks, dass Europa innerhalb der Welt gefordert ist, eine eigene Aufgabe zu übernehmen und eine gemeinsame Position zu China und Russland zu definieren – auch als Leitgedanken für den inneren Zusammenhalt. Er fügt hinzu: “Die USA wird in den nächsten Jahren mit der Suche nach innerem Konsens beschäftigt sein.”
“Der deutsche Blick auf die US-Präsidenten” war das Thema von Malte Lehming, Redakteur beim Berliner Tagesspiegel. Er konterkarierte mit kuriosen Fakten deutsche Klischees von US-Präsidenten: etwa, dass sich Ronald Reagan im Jahr 1994 für ein Verbot von halbautomatischen Waffen aussprach oder dass das Amtsenthebungsverfahren gegen Bill Clinton im Zusammenhang mit der Lewinsky-Affäre nicht auf Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs beruhte, sondern auf dem Vorwurf der Falschaussage.
Dass die Siedler aus Europa in Amerika etwas Neues aufbauten und zur Supermacht wurden, werde ihnen bis heute in Europa übelgenommen, ist Lehming überzeugt. In seinem Impuls während der Herbsttagung ging er auf Ronald Reagan, George H.W. Bush, Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump ein. Was waren die Themen ihrer Präsidentschaft, die bis nach Deutschland und Europa strahlten? Wie entwickelten sie sich im Laufe der Jahrzehnte?
Ganz bewusst erwähnte Lehming auch positive Charakterzüge der Person Trumps als US-Präsident, wie etwa, dass er als nahbar, jovial und authentisch gilt. Trump habe Wort gehalten und sei keinem Krach aus dem Weg gegangen. Rhetorisch habe er eine Mischung aus Bibel- und Western-Rhetorik etabliert, getreu dem Motto: “Strong and wrong beats weak and right.” Seine Wählerschaft habe ihn etwa aufgrund seiner Positionen zum Debakel in Afghanistan sowie der Finanzkrise und der viel kritisierten Firmenrettung mit Steuergeldern gewählt. Die Wählerschaft habe aber genauso unter dem Eindruck einer schwindenden weißen Mehrheit im Land für ihn gestimmt sowie gewisser kultureller Kämpfe, aber auch vereint in der Haltung gegen “Political Correctness”.
Lehmings Meinung nach seien alle US-Präsidenten von den Deutschen missverstanden worden. Er sei gespannt darauf, wie Biden missverstanden werden wird.
Der ehemalige Direktor des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit sowie geschäftsführender Vorsitzender der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Prof. Dr. Volker Perthes sagte: “Das Trumpsche Modell wird nicht einfach verschwinden.” Er nahm Bezug auf die “Trump Legacy“ – das Erbe des noch amtierenden Präsidenten, mit dem sein Nachfolger Joe Biden umgehen lernen muss. Drei Themen seien dabei zentral: erstens, die Rivalität zwischen China und den USA, zweitens, die Erosion von Elementen der internen Ordnung und drittens, den Vertrauensverlust, den die USA im Rest der Welt erlitten hat. Für die Biden-Regierung werden strukturelle Zweifel an internationalen Abkommen mit den USA eine Herausforderung werden, ist Perthes überzeugt. Doch er glaubt auch: “Biden und sein Team wissen, dass die USA Partner braucht.” Biden werde internationale Politik nicht wie sein Vorgänger als Kampfarena betrachten.
Genauer ging Perthes in der anschließenden Debatte auf das Verhältnis der USA mit Europa, Afrika, Afghanistans und Nordkoreas ein. Für Europa sei nun wichtig, sich um seine innere Einheit zu kümmern – Trump habe während seiner Präsidentschaft stark auf innereuropäische Differenzen hingewirkt. “Wenn Trump wiedergewählt worden wäre, hätte ich ernste Sorge um die Zukunft der Europäischen Union gehabt”, so Perthes.
Zum Abschluss der Online-Tagung diskutierten Wolfgang Thierse und Udo Hahn mit drei Abgeordneten des Bundestags: Gabriela Heinrich MdB (stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende für Außen-, Verteidigungs-, Entwicklungs- und Menschenrechtspolitik), Roderich Kiesewetter MdB (Obmann für Außenpolitik der CDU/CSU-Fraktion) und Stefan Liebich MdB (Die Linke). Auch hier wurde wieder die zukünftige Rolle Europas in der Welt erörtert. Europa müsse sich zukünftig mehr engagieren, Deutschland sich mehr in der Nato einbringen, sagte etwa Roderich Kiesewetter. Außerdem werde dem Umgang mit Afrika eine entscheidende Rolle zukommen. Stefan Liebich sprach sich unter anderem für eine Stärkung der OSZE als funktionierendes multilaterales Gebilde aus. Gabriela Heinrich sieht ebenfalls die Forderung nach mehr Verantwortung von Europa in der Welt. Außerdem betonte sie ihre Freude über die Wahl der ersten weiblichen US-Vizepräsidentin und den Hoffnungsgedanken, den sie damit verbindet. Eine große Hoffnung verbindet sie mit Biden und gelingendem multilateralem Umgang.
Die anregende und aufschlussreiche Debatte mit den Politikern bildete den Schlusshöhepunkt der Tagung. Das Thema USA, Wahlausgang und die Folgen für die Welt – es wird aktuell bleiben.
Dorothea Grass
Hier gelangen Sie zu den einzelnen Mitschnitten:
- Teil 1/6 Rückblick auf die deutsch-amerikanischen Verhältnisse in den vergangenen Jahrzehnten von Dr. h.c. Horst Teltschik hier ansehen
- Teil 2/6 Die USA: Stimmungen, Widersprüche, Konflikte – ein Panorama von Klaus Brinkbäumer hier ansehen
- Teil 3/6 Bilanz der Trump-Präsidentschaft mit Stefan Kornelius hier ansehen
- Teil 4/6 Der deutsche Blick auf amerikanische Präsidenten – Erwartungen, Enttäuschungen, Missverständnisse Malte Lehming hier ansehen
- Teil 5/6 Die weltpolitischen Folgen der Wahl Dr. Volker Perthes hier ansehen
- Teil 6/6: Die USA nach den Präsidentschaftswahlen, Podiumsgespräch mitGabriela Heinrich MdB, Roderich Kiesewetter MdB und Stefan Liebich MdB hier ansehen
Bild: Collage der Online-Herbsttagung des Politischen Clubs (eat archiv)