Klimalobbyismus: “Der Wind hat sich gedreht”

Den Klimawandel zu leugnen ist nicht mehr salonfähig. Der “Green Deal” steht bei der Europäischen Kommission noch im Fokus, doch an konkreten Maßnahmen hapert es. Sven Giegold, Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament, machte in einer Online-Diskussion der Evangelischen Akademie Tutzing mit der Journalistin Dr. Susanne Götze Hoffnung auf die Fortsetzung europäischer Klimaschutzpolitik. Lesen Sie hier den Bericht zu “Corona sticht Klima? Lobbyismus in der Pandemie”.

→ Hier können Sie die Audioaufzeichnung des Abends nachhören (Link zu YouTube)

Ohne die Zivilgesellschaft wird der Green Deal nicht funktionieren. Als “Greenwashing” bezeichnete die Spiegel-Journalistin Dr. Susanne Götze den “narrativen Shift” der Klimalobby, die sich nach außen grün gibt, aber regulierende Maßnahmen blockiert. Götze hat gemeinsam mit Annika Joereshat zu dem Thema ein Buch verfasst: “Die Klimaschmutzlobby. Wie Politiker und Wirtschaftslenker unsere Zukunft verkaufen”.

“Es gibt kaum eine Lobby, die noch so spricht wie vor fünf Jahren”, beschrieb Sven Giegold in seinem Vortrag diesen narrativen Wandel. Damals seien sich die deutsche Automobilindustrie und die europäische Stahlindustrie in der Ablehnung der Klimapolitik noch einig gewesen, da sie ihre Branche gefährdet sahen. Die Europawahl 2019 änderte das. Dank “Fridays for future” stand der Klimaschutz plötzlich im Zentrum dieser Wahlen, die Europäische Kommission rückte den “Green Deal” in das Zentrum ihrer Politik. Heute, so Giegold, stelle niemand mehr die Klimaminderungsziele in Frage

Seit Corona dominiert das Thema “Pandemie” zwar die Medien. Doch es sei den Gegnern des Green Deals nicht gelungen, die Europäische Kommission von ihrem Pfad abzubringen. Sie halte den grünen Kurs. Das zeige sich an den Vorstößen, die gemacht würden: das Europäische Klimagesetz, die Strategie für Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschutz, die Chemikalienpolitik.

“Grün” sind nur die Überschriften

Giegold beschrieb den Wandel des Klimalobbyismus so: Nach außen hin bestreitet man den Klimawandel nicht mehr, doch die Umsetzung konkreter Regulierungsmaßnahmen wird blockiert. Ein aktuelles Beispiel: Die Reform des Europäischen Emissionshandels sei in der jüngsten Abstimmung im Europaparlament gescheitert. Die Idee dahinter: Die Verknappung der Emissionserlaubnisse soll den Preis dafür in die Höhe treiben und Emissionseinsparungen erzwingen. Gleichzeitig soll ein Grenzausgleichsmechanismus die europäische Industrie vor Konkurrenz aus anderen Ländern schützen. Die Lobbyisten wollen beides: sowohl den Schutz als auch die Subventionen. Innerhalb weniger Tage sei die Mehrheit, die es einmal für den Klimaschutz gab, gekippt. Eine knappe Mehrheit stimmte für die kostenlosen Zertifikate. Wenn dieser Entwurf Gesetz würde, koste das Milliarden.

Corona-Subventionen: Umweltgedanke mit Schlupflöchern

Mit dem großen Corona-Wiederaufbaufonds investiert Europa 390 Milliarden Euro in seine Wirtschaft. Diese Subventionen müssen zu 37 Prozent in umweltfreundliche Investitionen und zu 20 Prozent in die Digitalwirtschaft gesteckt werden. Eindeutig Klimaschädliches darf damit nicht finanziert werden. Dieses Programm werde somit zum bisher größten ökologischen Wirtschaftsprogramm der EU, so Giegold. Der gute ökologische Gedanke ist jedoch nur Makulatur. Denn den Mitgliedsstaaten wurde ein großer Handlungsspielraum eingeräumt, ihre nationalen Programme anzupassen. Es gebe keine Auflagen, die sie zur ökologischen Transformation verpflichten. Die Erlaubnisse für Subventionen aus Brüssel wurden also nur zum Schein an ökologische Bedingungen geknüpft. 

Schmutzige Autos: Zeit schinden, “Bonzenautos” fördern

Die großen Automobilkonzerne wollen den Verkehrssektor unter den europäischen Emissionshandel fassen. Würde dies geschehen, hinge die Verminderung von Treibhausgasen allein von deren Bezahlbarkeit ab. Jene Sektoren, in denen CO  kostengünstiger gemindert werden kann, kämen also als erste dran. Die Automobilindustrie wäre dann erst nach anderen Industriezweigen und den Stromversorgern an der Reihe. Es sollen aber in Europa die CO -Werte pro gefahrenem Kilometer für alle Autos abgesenkt werden.

Die Entscheidung darüber, wie man die CO-Senkung durchsetzt, habe enorme soziale Konsequenzen: Je mehr über den Emissionshandel geregelt werde, desto stärker gerate der Preis zum Lenkungsinstrument. Der finanzielle Druck auf die Ärmeren in der Gesellschaft, so Giegold, sei dann deutlich höher als auf Wohlhabende, die sich mit den CO -Zertifikaten “freikaufen” könnten. Allein mit höheren CO -Preisen sei es nicht getan, ein Ordnungsrecht müsse die gesamte Gesellschaft in die Pflicht nehmen. Auf die Autos bezogen, bedeute dies, dass es ein Datum für das Ende der Verbrennungsmotoren geben müsse. Der Druck der deutschen Automobilkonzerne gegen diese Regelungen sei jedoch enorm. Statt auf ressourcenärmere Antriebstechnologien zu setzen, hielten sie an den übergroßen, relativ schmutzigen Autos fest.

Nichts Neues in Forst- und Agrarindustrie

Wider besseres Wissen beruft sich die Forstlobby auf Studien aus Schweden und Finnland, nach denen die Abholzung und Aufforstung großer Waldflächen angeblich positiv für das Klima sei. Wissenschaftlich sei jedoch belegt, dass der Nettoeffekt der CO-Reduktion gar nicht so groß sei. Diese Form klassischer Forstindustrie führe eher zum Gegenteil.

In der Agrarpolitik wurde beschlossen, die Inhalte so auszuhandeln, wie sie vor der Europawahl vorgesehen waren. Von den 30 Prozent des EU-Haushalts, die in die Agrarpolitik fließen, werde – dank der Bauernverbände – nach wie vor der Löwenanteil nach Fläche verteilt, ökologische oder soziale Forderungen wie Tierwohl, Umwelt oder Beschäftigung auf dem Land blieben außen vor.

“Narrative fallen nicht vom Himmel, sie werden gemacht”

Wo die Narrative für den öffentlichen Klimadiskurs entstehen, beschrieb Dr. Susanne Götze in ihrem Vortrag aus journalistischer Perspektive. In ihrem gemeinsam mit Annika Joeres verfassten Buch untersucht sie Aktivitäten von Klimaschutzverhinderern in der Europäischen Union und verschiedenen EU-Staaten.

Ein Konglomerat aus unterschiedlichen kleinen und großen Interessensgruppen lasse sich in drei Kategorien teilen: in Klimaleugner, Rechtsextreme und “Bremser”. Zur ersten Kategorie zählen vor allem größere Denkfabriken. Einer der größten Klimaleugner-Thinktanks sei das Heartland-Institut in den USA, das mit dem deutschen Eike-Institut vernetzt sei. Finanziert von der Industrie, geht es hier vor allem darum, der etablierten Industrie ihre Pfründe zu sichern.

Die rechtsextremen Gruppierungen nutzen das Thema Klimawandel, um Stimmung gegen Regulierungen zu machen und Unzufriedene als potenzielle Wähler anzusprechen. Als globales Thema, das eine globale Lösung brauche, widerspreche Klimapolitik per se den Bestrebungen zum Nationalstaat. Die populistischen Klimagegner säßen aber nicht nur in den Reihen der AfD, sondern auch in der konservativen Werteunion, im liberalen Aufbruch und im Berliner Kreis.

Eine sehr heterogene Gruppe sind die “Bremser”. Staatssekretäre, Minister und Industrielobbyisten sind hier ebenso vertreten wie Denkfabriken und Verbände der fossilen Wirtschaft. Im Gegensatz zu Klimaleugnern und Populisten leugnet diese Lobby den Klimawandel nicht, versucht aber, konkrete Klimamaßnahmen zu blockieren. Die Akteure tarnen sich als kooperativ, wollen aber im Grunde die ökologische Transformation der Wirtschaft verhindern. Diese neoliberale Lobby bediene Hebel, so Götze, die der Öffentlichkeit nicht bewusst seien.

Die Autorin hob die INSM (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft) als klassisches Beispiel eines Thinktanks hervor, der neoliberale Botschaften in der Öffentlichkeit verbreite, ohne dass die wahren Interessen dabei deutlich würden. In intelligente Narrative verpackt, verschleiern die Botschaften die tatsächlichen Interessen, die da wären: soziale und ökologische Regulierungen zu verhindern. Beliebt sei etwa das Narrativ der “Klimaideologen”. Sobald sich Journalisten oder Politiker für ökologische Regulierungen einsetzen, werden sie als “Ideologen” diffamiert – als seien die Vertreter des Neoliberalismus “ideologiefrei”.

Finanziert wird die Arbeit der INSM u.a. vom Arbeitgeberverband Metall, Automobilzulieferern und Maschinenbauern. Aus ihrem Budget finanzieren die Meinungsmacher Broschüren, Studien und Pressekampagnen. Sie stellen Gesprächspartner in Talkrunden, liefern den Medien fertige Beiträge und nutzen über Soziale Kanäle, etwa YouTube, auch Staatssekretäre als Sprachrohr.

Lobbyismus ist ungerecht

In der sich anschließenden Diskussion erinnerte Sven Giegold zunächst als advocatus diaboli daran, Lobbyismus gehöre zur Demokratie. Es sei Recht und Pflicht der Zivilgesellschaft, ihre Verantwortung zu übernehmen. Die Zivilgesellschaft sei allerdings nicht so global vernetzt wie die Lobbys.

Als Defizite des Lobbyismus kamen zur Sprache: die soziale Ungleichheit, der “Drehtür-Effekt”, sowie die Hinterzimmerpolitik. Schwächere Gruppen besitzen keine oder nur eine schwache Lobby. Wer viel Geld hat, kann sich mehr einbringen. Der “Drehtür-Effekt” zwischen Politik und Wirtschaft führe dazu, dass Menschen, die im öffentlichen Interesse Kontakte erworben haben, diese nach einem “Seitenwechsel” als Lobbyisten gut verkaufen könnten. Und schließlich fehlen Regeln für Parteispenden ebenso wie der “legislative Fußabdruck”, der die Beteiligung von Lobbyisten an der Erstellung von Gesetzesentwürfen dokumentiert.

Lobbyregister: Transparent ist nur das Papier

“Wir sind auf Leaks angewiesen” bestätigte Götze die mangelnde Transparenz politischer Einflussnahme durch Lobbyisten. Es gebe zwar Lobbyregister, in denen verzeichnet sei, wer sich wann mit wem getroffen habe. Doch die Protokolle über die Inhalte bekomme man nur schwer oder gar nicht.

Giegold ergänzte, ein Lobbyregister gebe nur grobe Anhaltspunkte. Man könne auf dem Portal von Lobbyfacts den Zugang von Lobbyisten einsehen. Es werde deutlich, dass die Wirtschaftslobby sehr viel mächtiger sei als die Umweltlobby. Doch wie stark Lobbyisten Gesetzesentwürfe beeinflusst haben, gehe aus keinem Register hervor.

Die Zivilgesellschaft in der Verantwortung

Die Grundentscheidungen für den Klimaschutz sind gefällt. Doch dem Druck der Lobbyisten, die die Veränderungen des Green Deals blockieren wollen, wenn es konkret wird, müsse eine starke Zivilgesellschaft entgegentreten, so Giegold, sonst scheitere die Klimapolitik. Progressive Unternehmen, kritischer Journalismus, aber auch Kirchengemeinden, Umweltorganisationen, soziale Netzwerke und Petitionsplattformen seien hier wichtig. Auch kleine Initiativen können etwas bewegen, wenn die Initiatoren beispielsweise an Abgeordnete konkrete Forderungen stellen und deren Umsetzung überprüfen.

Valerie Neher

 

Hinweis:
Die Evangelische Akademie Tutzing wird sich in der Tagung “Klima-Lobbyismus” 05. bis 07. Mai lädt ausführlich dem Thema widmen. Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie auf unserer Homepage.

→ Sie können die Veranstaltung auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing (#EATutzing) nachhören

Bild: Von links oben im Uhrzeigersinn: Studienleiterin Katharina Hirschbrunn, Marianne Pfaffinger vom Netzwerk Klimaherbst, Sven Giegold und Dr. Susanne Götze während des Online-Gesprächs “Corona sticht Klima?” am 12.3.2021 (Collage eat archiv)

 

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