„Kinder lernen dann mehr, wenn ihr Herz hüpft“
Simone Fleischmann ist Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). Im Interview für den RotundeTalk sprach sie über Schulbetrieb in herausfordernden Zeiten und ihr Verständnis vom Lernen. Das Gespräch mit der ausgebildeten Hauptschullehrerin führte Akademiedirektor Udo Hahn. Hier beschreibt er die Begegnung mit Simone Fleischmann.
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Wann immer ich Simone Fleischmann begegne, dann kommt in mir immer der Gedanke auf, dass ich bei ihr gerne Schüler gewesen wäre. Ob in der persönlichen Begegnung oder beim offiziellen Auftritt: Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) steht ganz automatisch im Mittelpunkt. Natürliche Autorität – das strahlt sie aus. Dazu Neugier auf das Gegenüber. Sie weiß, wovon sie redet. Was sie sagt, ist stets zitierfähig. Sie bringt die Dinge auf den Punkt. Manchmal ist sie auch belehrend, wenn – wie in meinem Fall geschehen – der Interviewer den falschen Begriff wählt. Im „RotundeTalk“ der Evangelischen Akademie Tutzing hatte ich sie nach einer Zwischenbilanz des Homeschooling gefragt. „Schule zu Hause“ – das habe es gar nicht gegeben, reagierte sie bestimmt wie charmant. „Lernen zu Hause“, das sei der korrekte Begriff. „Unterricht funktioniert nur durch Lehrerinnen und Lehrer“, so Fleischmann. Worum sich die Lehrkräfte bemüht hätten, sei die Begleitung von Schülern wie Eltern zu Hause. Das habe unterschiedlich gut funktioniert. Schließlich konnte man sich auf die Corona-Katastrophe nicht vorbereiten. Aber alle Beteiligten hätten „schnell gelernt“. Vorwürfe wie diese – „wenn wir zu einhundert Prozent digital ausgestattet gewesen wären…“ – brächten nichts. Denn: „Es war halt nicht so.“
Wie es jetzt weitergeht? Simone Fleischmann hat da ihre Vorstellungen – und die hatte sie schon vor Corona. „Alle wollen, dass es vorangeht“, sagt die BLLV-Präsidentin, aber ob „Vollgas“ gehe, da hat die BLLV-Präsidentin erhebliche Zweifel. Endgeräte für alle Schülerinnen und Schüler – prima Idee. Aber auch für die Lehrerinnen und Lehrer? Das scheint nicht im Blick. W-Lan, überhaupt ein zuverlässiger Internetzugang – da gibt es viel Nachholbedarf. Und natürlich sei auch zu spüren, dass die digitalen Kompetenzen in der Lehrerschaft unterschiedlich verteilt seien. Von einer Perspektive „bis September“, also zum Beginn des Schuljahres 2020/21 hält sie nichts: „Das geht nicht.“ Es sei Druck im System, aber es brauche die mittelfristige Perspektive von zwei bis drei Jahren.
Und überhaupt: Es brauche mehr Personal. Eine Forderung, die nicht neu, aber jetzt noch dringlicher geworden ist. „Traumberuf Grundschullehrer“ – Simone Fleischmann wählt bewusst die männliche Form. „Wir müssen etwas tun für die Attraktivität des Lehrerberufs.“ Besoldung nicht top, Image auch nicht: „Da wird mir Angst.“ Den Lehrberuf an der Mittelschule wähle kaum noch jemand. „Aber dort bräuchten wir die Besten.“ Wenn die Lernschwächsten nicht integriert werden könnten, berge das gesellschaftlichen Sprengstoff.
Die Schule von Morgen ist nach Fleischmanns Worten „mehr als Mathe, Deutsch und Englisch.“ Und es müsste die Art des Lernens verändert werden. Das ist ihr besonders wichtig, denn bei jeder Gelegenheit kritisiert sie das „bulimische Lernen“ – just in time präpariert zu sein. Die Frage sei aber, was nachhaltig hängen bleibe. „Kinder lernen dann mehr, wenn ihr Herz hüpft“, Kopf, Herz und Hand beansprucht würden. Sie bezweifelt, dass die Industrie „MINT-Kinder“ braucht, die bulimisch gelernt hätten, aber nichts mehr wüssten. Ohnehin sieht sie in der Konzentration auf die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik eine Engführung. „Wir brauchen Menschen, die agil sind, die sich Wissen dann aneignen, wenn sie es brauchen.“ Und zum Fächerkanon gehört ihrer Meinung nach auch Religion unbedingt dazu.
„Kinder sind mehr als Noten.“ Auch dieser Satz klingt wie ein Credo. Er markiert den eigenen Anspruch der BLLV-Präsidentin an Schule. Und wie haben die Kinder die Corona-Krise bislang verarbeitet? Viele Eltern machten sich Sorgen, die letzten Monate hinterließen dauerhafte Spuren bei den Kindern. „Als Pädagogin bin ich immer Optimistin.“ Und sie hat eine gute Nachricht für besorgte Eltern: Kinder hätten Resilienz gelernt. Kopfzerbrechen bereitet ihr die soziale Ungerechtigkeit. Sie sei „auch in Bayern zu Hause“. Demnach kämen Kinder aus besser gestellten Haushalten besser durch die Krise. Bildungsverlierer müssten aber unbedingt verhindert werden. Dass es nicht dazu kommt, dazu braucht Simone Fleischmann wirklich viel Optimismus. Ihre Vorschläge hätten es verdient, nicht nur geprüft, sondern auch umgesetzt zu werden.
Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Das vollständige Interview mit Simone Fleischmann ist auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing (#EATutzing) abrufbar.
Bild: Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV) (Foto: ma/eat archiv)
Simone Fleischmann und Udo Hahn beim Interview in der Rotunde der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: ma/eat archiv)