Kaschnitz-Literaturpreis an Angelika Klüssendorf übergeben
Die „Gier auf Leben“ brauche Geschichten, sagte der Autor und SZ-Journalist Jens Bisky in seiner Laudatio gestern in Tutzing. Es seien ebendiese Geschichten, die Angelika Klüssendorf liefere. Die Schriftstellerin, die nun für ihr Gesamtwerk den Marie Luise Kaschnitz-Preis der Evangelischen Akademie Tutzing erhalten hat, war der Mittelpunkt einer Literaturtagung mit dem Titel „Vom Leben schreiben“, die vom 17. bis 19. Mai 2019 stattfand. Sie endete am Sonntag mit einem großen Festakt: der Preisverleihung.
Laudator Jens Bisky führte mit Verve in das Werk der Klüssendorf ein: Er sprach davon, welchen Stellenwert existenzielle Themen in ihrem Werk einnehmen, die sich etwa in Beobachtungen über Essen oder Tiere Bahn brechen. Mit großer Unmittelbarkeit, Direktheit und Authentizität erzähle die Autorin als „Menschenkennerin“ lakonisch und schnörkellos von „unten“, von Außenseitern.
Die Perspektive der Schwachen und Gedemütigten
Bei Klüssendorf ginge es darum, wie das „Ich im eigenen Körper heimisch“ werden könne, beschrieb es Bisky. Angelika Klüssendorf antwortete mit einer Dankesrede, die den Titel „Über Vögel und andere Tiere“ trug. Darin beschrieb sie, welche Bedeutung Tiere in ihren Werken haben. Tiere müssten sich nicht selbst erfinden, seien nicht auf der Suche nach dem eigenen Selbst und könnten so auch für die Menschen eine rettende Funktion haben.
Sowohl Klüssendorfs Erzählungen als auch ihre Romane bestächen durch eine klare, direkte Sprache, die den Leser sofort in ihren Bann zieht, begründete die Jury ihre Entscheidung. Die 1958 in Ahrensburg geborene Schriftstellerin beschreibe „Erfahrungen wie Liebe, Wut und die Würde des Einzelnen in einem fremdbestimmten Leben“. Seit ihrem Debüt „Sehnsüchte. Eine Erzählung“ (1990) schreibe sie aus der Perspektive von Schwachen und Gedemütigten, meist Mädchen und Frauen, mit literarisch von Buch zu Buch variierenden Mitteln.
Eine weitere rettende Funktion kommt in ihrem Werk der Literatur zu. Judith Stumptner, stellvertretende Direktorin der Evangelischen Akademie Tutzing sowie Studienleiterin für Kunst, Kultur, Bildung und Digitales, verwies auf Parallelen zwischen dem Werk der Preisträgerin und dem der Namensgeberin des Preises: Marie Luise Kaschnitz. Es gehe um die „Bedeutung des Lesens für das Finden des eigenen Weges, den Einfluss von Literatur auf das eigene Werden, der Halt, den Schreiben und Lesen bedeuten kann.“ In Klüssendorfs Trilogie „Das Mädchen“, „April“ und „Jahre später“ seien es zunächst die Bände „Brehms Tierleben“ und ein Grimmsches Märchen gewesen, das der Protagonistin Halt gegeben hätten. Später seien unzählbare weitere hinzugekommen: „Der Graf von Monte Christo“ etwa, oder auch Werke von Freud, Rilke oder Beckett.
Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, beschrieb in seiner Begrüßung den Wert, der Preisen in der Bildungsarbeit zukommt. „Mit unserem Engagement in diesem Bereich wollen wir einen Beitrag leisten, kulturelle Vielfalt in unserem Land zu sichern. Vielfalt ist auch ein Ausdruck von Freiheit. Kultur braucht Freiheit – mehr denn je.“, so Hahn.
Der Marie Luise Kaschnitz-Preis wurde 1984 anlässlich des 10. Todestages der Schriftstellerin ins Leben gerufen und wird alle zwei Jahre verliehen. Preisträger waren unter anderem Michael Köhlmeier, Lutz Seiler, Thomas Lehr, Mirko Bonné, Pascal Mercier und Julia Franck. Der Preis ist mit 7.500 Euro dotiert. Der Betrag wurde von der Kreissparkasse München Starnberg Ebersberg und dem Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing gesponsert.
Dorothea Grass / unter Verwendung von Material des Evangelischen Pressedienstes epd
Hinweis:
Hier können Sie die Dankesrede von Angelika Klüssendorf in voller Länge nachlesen.
Zur Laudatio von Dr. Jens Bisky gelangen Sie über diesen Link.
Unter diesem Link können Sie die Begrüßungsworte von Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, nachlesen. Die Begrüßungsrede von Judith Stumptner, Studienleiterin und stellvertretende Akademiedirektorin, finden Sie hier.
Einen Bericht zur begleitenden Tagung können Sie hier nachlesen.
Unter diesem Link können Sie ein Porträt der Schriftstellerin Angelika Klüssendorf anhören und lesen, das der Bayerische Rundfunk anlässlich der Preisverleihung veröffentlicht hat.
Bild oben: Angelika Klüssendorf, Trägerin des Marie Luise Kaschnitz-Preises 2019, im Rosengarten der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: dgr/eat archiv)