Studien- und Berufswahl: Viele Chancen werden geboten, hohe Belastbarkeit ist gefragt
Erst vor wenigen Tagen haben sich 65 Abiturientinnen und Abiturienten an der Evangelischen Akademie Tutzing getroffen, um ihre Chancen und Potenziale bei der Studien- und späteren Berufswahl in der Tagung „Abitur – und dann?“ auszuloten. Einer, der ihnen dabei Wissen mit auf den Weg gab, war Prof. Dr. Hans Pongratz. Er forscht und lehrt als außerplanmäßiger Professor am Institut für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München zu beruflicher Selbstständigkeit, Entwicklungen am Arbeitsmarkt und zum gesellschaftlichen Wandel der Arbeit.
Evangelische Akademie Tutzing: Herr Prof. Dr. Pongratz, lässt sich Karriere bzw. ein Berufsleben überhaupt planen?
Prof. Dr. Hans Pongratz: Für ein ganzes Berufsleben lässt sich heute schwerer planen als zu Zeiten, als Ausbildung oder Studium noch eher in verlässliche Karrierepfade eingemündet sind. Aber es bleibt weiterhin sinnvoll, sich gut zu überlegen, was und wie man arbeiten will. Und es wird eher wichtiger, informiert zu sein und zu bleiben, wie sich der Arbeitsmarkt für das eigene Berufsfeld entwickelt. So lassen sich zumindest der Einstieg und die ersten Schritte gut vorbereiten.
Sie forschen an der LMU zu Entwicklungen am Arbeitsmarkt und zum Thema des gesellschaftlichen Wandels der Arbeit. Können Sie in wenigen Sätzen sagen, welche Arbeitswelt die Abiturientinnen und Abiturienten von heute erwartet?
Was den Arbeitsmarkt betrifft, ist die Lage ausgesprochen günstig, weil gut qualifizierte Menschen oft händeringend gesucht werden. Gerade junge Leute haben aktuell viele Wahlmöglichkeiten, weil die Unternehmen an ihrem Potenzial besonders interessiert sind. Nicht ganz so einfach sieht es im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen aus, weil die Erwartungen an die Beschäftigten sehr hoch sind und oft unter großem Zeit- und Erfolgsdruck gearbeitet werden muss. Und in manchen besonders interessanten Berufsfeldern, zum Beispiel in der Medienbranche, werden unsichere und prekäre Jobs angeboten, oft befristet und nicht allzu gut bezahlt. Auch der Einstieg in die akademische Laufbahn ist leider zu einem Fall von hohem Leistungsdruck bei unsicherer Beschäftigung geworden.
Wie prägt die Digitalisierung unseren Ausbildungs- und Bewerbermarkt? Was sollten junge Menschen beherzigen?
Viele Aufgabenfelder sind bereits in hohem Grad digitalisiert oder werden es demnächst. Deshalb sind Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien besonders gefragt. Aber das ist ja bei jungen Leuten selten ein Problem. Beachten sollten sie vor allem, dass auch die Bewerbungsprozesse zunehmend digitalisiert werden. Beispielsweise werden Daten aus unterschiedlichen Quellen über die Bewerberinnen und Bewerber gesammelt, um zu einer besseren Einschätzung der Person zu kommen. Dafür können Tests durchgeführt werden oder es wird in den Sozialen Medien recherchiert. Diese Entwicklung steht erst ganz am Anfang, das alles ist noch wenig transparent und in den Folgen schwer abzuschätzen.
Welche Fragen in punkto Studienfachwahl oder Berufswahl sollten sich junge Leute heute stellen, bevor sie sich entscheiden?
Ich denke, an den grundsätzlichen Fragen hat sich wenig geändert: Was interessiert mich? Was mache ich gerne? Worüber möchte ich mehr wissen? Und vielleicht auch: Was ist für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtig? Wo möchte ich mitgestalten? Dann kann man immer noch abklären: Welche Ausbildungen und Berufe gibt es in dieser Richtung? Und wie sind die Chancen, da unterzukommen?
Wie können Eltern ihre Kinder bei dieser Entscheidung begleiten und unterstützen?
Im Gespräch bleiben, über die eigenen Erfahrungen und Entscheidungen offen sprechen, auch über die Probleme, die sich daraus eventuell ergeben haben. So schwierig es ist, ihre Entscheidungen wollen und müssen die jungen Menschen selbst treffen. Es hilft ihnen aber, wenn sie besser verstehen, wie das bei ihren Eltern war, denn deren Berufsleben haben sie schließlich hautnah miterlebt.
Was möchten Sie den Schulabgängerinnen und Schulabgängern mit auf den Weg geben?
Wenn es ein Bibelwort sein darf: „Fürchtet Euch nicht!“
Die Fragen stellte Dorothea Grass.
Bild: Hans Pongratz während der Tagung „Abitur – und dann?“ an der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: Wunderlich/eat archiv)
Info: Die Tagung „Abitur – und dann?“ findet jährlich an der Evangelischen Akademie Tutzing statt. Informationen zur letzten Veranstaltung finden Sie hier.