Julian Assange – ein zu wenig skandalisierter Skandal?
Verbrecher, Hacker, Verschwörer, Publizist oder Weltretter? Der Gründer der Wikileaks-Plattform ist je nach Perspektive vieles – nur nicht frei. Mit seinem Fall beschäftigte sich die jüngste Ausgabe der ZDF-Satire “Die Anstalt”. Über die Hintergründe sprach Akademiedirektor Udo Hahn mit “Anstalt”-Autor Dietrich Krauß und dem Journalisten Frederik Obermaier.
→ Unter diesem Link können Sie die Gesprächsaufzeichnung auf YouTube abrufen.
Sieben Jahre hat der Australier Julian Assange als politisch Asylsuchender in der ecuadorianischen Botschaft in London verbracht. Seit April 2019 befindet er sich in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis, weil er gegen Kautionsauflagen verstoßen hat. Die US-Regierung fordert seine Auslieferung, weil er der Verschwörung angeklagt ist.
Erst Anfang Oktober war die Auslieferungsanhörung gegen den 49-jährigen Assange zu Ende gegangen. Juristinnen, Bürgerrechtler, Journalistinnen und Journalisten sowie Informatiker und andere hatten dabei zu seinen Gunsten ausgesagt. Das Urteil soll im Januar gesprochen werden.
Mit dem Fall Julian Assange beschäftigte sich auch die letzte Ausgabe der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” (die Sendung vom 29.9.2020 hier abrufen) unter dem Titel “Die Akte Assange”. Darin begeben sich die “Anstalt”-Mitarbeiter Sherlock Holmes und Dr. Watson auf die Suche nach Aufklärung im Fall “Sherlock Free Assange – Der größere Verbrecher”.
Medial habe es in den vergangenen Wochen – zumindest gefühlt – eher verhaltenes Echo zu Assange gegeben, so Akademiedirektor Udo Hahn im Online-Gespräch mit Anstalt-Autor Dietrich Krauß und dem Investigativjournalisten Frederik Obermaier. Hahn griff in seiner Einstiegsfrage einen Satz aus der “Anstalt”-Folge heraus: “Warum liest man das nicht in der Zeitung?”
“Als wäre es ganz normal, was da passiert”
Frederik Obermaier, Leitender Redakteur im Ressort Investigative Recherche der Süddeutschen Zeitung (SZ), sieht das anders. Der Eindruck täusche. Seit 2019 habe die SZ mehr als 140 Mal über den Fall berichtet – alleine im Jahr 2020 mehr als 50 Mal. Das Vorgehen der Behörden gegen Assange sei “skandalös” und werde daher völlig zu Recht beleuchtet.
Für Dietrich Krauß liegt der Grund für den Eindruck, es werde zu wenig über Assange berichtet, eher darin, dass die Berichterstattung dem Skandal nicht gerecht werde. Es werde “nicht genügend skandalisiert”, irgendwie “fehle da die Wucht”. Vielmehr entstünde der Eindruck, “als wäre es ganz normal, was da passiert”.
Warum die Causa Assange allerdings alles andere als normal ist, darum geht es in dem etwa einstündigen Gespräch. Darin wird zum Beispiel beleuchtet, warum Assange im Gegensatz zu Edward Snowden kein Whistleblower im eigentlichen Sinn ist, sondern jemand, der Whistleblowern mit seiner Plattform Wikileaks einen Ort der Veröffentlichung bietet – also als Publizist agiert.
Der Journalist Obermaier hebt die Leistung von Wikileaks und Assange für den Investigativjournalismus hervor. Dieser sei dadurch in einer herausragenden Weise vorangetrieben und das Bewusstsein für Investigativjournalismus geschärft worden. Die Weiterentwicklung von Technologien wie etwa zur Verschlüsselung habe dadurch deutlich an Fahrt aufgenommen. Dafür könne man “Wikileaks nicht genug danken”.
Zu oft habe man sich in der Debatte an der Person Assange gerieben. Die Vorwürfe gegen ihn bezüglich sexueller Nötigung seien ernst zu nehmen und sollten keineswegs verharmlost werden. Dennoch liege der eigentliche Skandal woanders.
Es geht um Pressefreiheit
Die USA klagen Assange an, mit der Veröffentlichung vertraulicher militärischer Dokumente durch die frühere Angehörige der US-Streitkräfte und IT-Spezialistin Chelsea Manning gegen den umstrittenen “Espionage Act” verstoßen zu haben – ein Gesetz aus dem Jahre 1917. Manning wurde zum Ende der Regierungszeit des früheren US-Präsidenten Barack Obama begnadigt – für Assange stellt sich der Fall allerdings ganz anders dar, seitdem es mit der Trump-Regierung einen politischen Strategiewechsel gab. Und hier liegt die Brisanz.
Sollte Assange ausgeliefert werden und ihm der Prozess gemacht werden, dann müsse zukünftig jedes Medienhaus weltweit, das investigativen Journalismus betreibt und dafür im Austausch mit Whistleblowern aus dem Sektor nationale Sicherheit steht, darum fürchten, ebenfalls vor Gericht gestellt zu werden, warnt Obermaier. Er fügt hinzu: “Das hätte verheerende Folgen für die Pressefreiheit.” Für Whistleblower fordert er darüber hinaus einen “Schutz vor Rache”.
Auch Krauß warnt davor, dass die Ausweitung der Anklage gegen Assange, “ganz bewusst gegen Journalisten zielt, die mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun haben”. Assange sei zum “Spielball eines Strategiewechsels geworden”.
Dorothea Grass
Das vollständige Gespräch zwischen Udo Hahn, Dietrich Krauß und Frederik Obermaier können Sie auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing unter diesem Link abrufen.
Bild: Die Anstalt zur “Akte Assange” – Udo Hahn im Online-Gespräch mit Dietrich Krauß (rechts im Bild) und Frederik Obermaier (Mitte). (Foto: Filmstill eat archiv)