Jugendbilder und Jugendpolitik in Zeiten von Corona

Die Perspektiven junger Menschen kommen auch in Zeiten von Corona zu kurz. In der öffentlichen Debatte werden häufig pauschale Bilder über „diese“ Jugend transportiert oder Konflikte zwischen den Generationen konstruiert. Eine eigenständige Jugendpolitik bietet hingegen einen realitätsbezogenen Blick auf die Lebenslagen junger Menschen und stellt deren Bedürfnisse in den Mittelpunkt.

Ein Beitrag von Immanuel Benz

Ein Spaziergang mit Blick auf das klare, blauschimmernde Wasser des Starnberger Sees, dahinter baut sich ein beeindruckendes Alpenpanorama auf… Dieser entspannte Moment vor der malerischen Kulisse der Evangelischen Akademie Tutzing liegt mittlerweile zwar auch schon knapp anderthalb Jahre zurück. Aktuell wirkt er für mich aber noch deutlich länger her und viel weiter weg. Die letzten gut zwei Monate unter den Corona-bedingten Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens habe ich mitten in Berlin verbracht. Zwischen Home Office und Kinderbetreuung, in Telefonkonferenzen und vor abgesperrten Spielplätzen. Um in einem Berliner Park einen ähnlich ruhigen Moment zu erwischen, muss man gerade schon sehr früh aufstehen. Unter diesen Eindrücken erscheinen die eingangs skizzierten Bilder fast surreal. Durchaus lebhaft hingegen sind meine Erinnerungen an die Tagung „Junge Stimmen im politischen Kosmos“, zu dem mich das Junge Forum der Evangelischen Akademie Tutzing damals als Referent eingeladen hatte.

In meinem Vortrag ging es um den Jugend-Check. Gesetzentwürfe der Bundesregierung werden durch das Kompetenzzentrum Jugend-Check wissenschaftlich und unabhängig auf mögliche Auswirkungen auf junge Menschen zwischen 12 und 27 Jahren überprüft. So werden beabsichtigte und nicht beabsichtigte Auswirkungen der Vorhaben identifiziert, um die Aufmerksamkeit für die Lebenslagen und Belange junger Menschen zu steigern. Die Idee einer Gesetzesfolgenabschätzung für die Jugend ist im Kontext der Eigenständigen Jugendpolitik entstanden, die das Bundesjugendministerium bereits seit mehreren Jahren verfolgt, um die Belange der 14 Millionen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Land sichtbar zu machen.

Bei der Eigenständigen Jugendpolitik geht es auch darum, für einen differenzierten und realistischen Blick auf die junge Generation zu sorgen. Ein aktuelles Thema – schließlich lässt sich in Zeiten von Corona in der öffentlichen Debatte erneut beobachten, dass überwiegend pauschale, negative Bilder „dieser“ Jugendlichen transportiert werden. So waren gerade zu Beginn der Krise bei der Begründung weiterer Einschränkungen der Sozialkontakte die vermeintlich uneinsichtigen Jugendlichen, die weiter „Corona-Partys“ feiern, weil sie nicht zur Risikogruppe gehören, ein vielbemühtes Argumentationsmuster.

Dabei entsprach weder das medial vermittelte Bild eines Massenphänomens der jungen Ego-Shooter der Realität, noch ist solidarisches Handeln eine Frage des Alters. So erleben wir doch gerade, wie viele junge Menschen ganz praktisch solidarisch handeln: ob sie Podcasts für ihre Großeltern aufnehmen, eine Nachbarschaftshilfe etwa zum Einkaufen anbieten oder andere kreative digitale Wege finden, das Sozialleben zu fördern.

Doch auch bei der schrittweisen Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens kommen die Perspektiven junger Menschen bisher kaum vor. Nach den Ergebnissen einer aktuellen Studie der Universität Hildesheim und der Goethe-Universität Frankfurt haben Jugendliche nicht den Eindruck, dass ihre Interessen in der momentanen Krise zählen, ihre Sorgen wahrgenommen werden und sie in den Gestaltungsprozessen mitwirken können.[1]

Gerade junge Menschen sind durch die Kontaktsperre in ihrer natürlichen Entwicklung und ihrem Streben nach Autonomie extrem eingeschränkt. Angesichts der Covid19-Gefahr waren und sind die getroffenen Maßnahmen notwendig und angemessen. Aber wir müssen auch Verständnis entwickeln für die spezifischen Herausforderungen, die junge Menschen zu bewältigen haben, und die unsicheren Perspektiven, die die Auswirkungen der Pandemie für sie bedeuten.

Besonders groß sind die Sorgen junger Menschen, die sich am Übergang zwischen Schule, Ausbildung, Studium oder Beruf befinden. Wie ergeht es etwa jungen Menschen, die gerade auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind, deren Studi-Job gekündigt wurde oder die um ihre befristete Stelle bangen?

Die Auswirkungen der Corona-Krise machen noch einmal deutlich, dass die Gestaltung jugendlicher Lebenslagen eine gesellschaftliche Gesamtaufgabe ist. Denn egal, ob Jugendhilfe oder Familienpolitik, ob Mietrecht oder Verkehrsentwicklung, ob Bildungs- oder Arbeitsmarktpolitik – Vorhaben und Entscheidungen in allen Politikfeldern können besondere Auswirkungen auf junge Menschen haben.

Damit Jugendpolitik nicht an politischen Zuständigkeitsgrenzen scheitert, hat die Bundesregierung am 3. Dezember 2019 die Jugendstrategie „In gemeinsamer Verantwortung: Politik für, mit und von Jugend“ beschlossen. Unter Federführung des Bundesjugendministeriums sind alle Ministerien daran beteiligt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Weiterentwicklung jugendgerechter Kommunikations- und Beteiligungsformate. Gerade in der Zeit nach Corona kommt diesem Ansatz erhebliche Bedeutung zu.

Immanuel Benz arbeitet beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Referat „Jugendstrategie, eigenständige Jugendpolitik“

[1] Mehr zur Studie und ihren Ergebnissen: https://www.uni-hildesheim.de/neuigkeiten/wie-erleben-jugendliche-die-corona-krise-ergebnisse-der-bundesweiten-studie-juco/

Hinweis:
Dieser Blogbeitrag ist zugleich aktuelle Gastkolumne im Juni-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing, der am 29. Mai 2020 erscheint. Weitere Informationen hier.

Bild: Immanuel Benz (Foto: eat archiv)