Jean Asselborns Festrede zum Jahresempfang 2019
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT!
Festrede anlässlich des Jahresempfangs der Evangelischen Akademie Tutzing
am 17. Januar 2019 (Manuskript)
Jean Asselborn, Außenminister, Minister für Immigration und Asyl, Luxemburg
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Ich freue mich sehr über die Gelegenheit mit Ihnen, meine Gedanken zur Europäischen Union zu teilen. Ein paar dieser Gedanken würden sicherlich nicht ganz mit den ihrigen übereinstimmen, darum bitte ich um Verständnis. Auf Einladung von Herrn Günther Beckstein habe ich schon einmal vor zweieinhalb Jahren einen Vortrag mit dem Thema: “Europa im Krisenmodus – Haben wir noch eine gemeinsame Zukunft?“ hier gegeben. Eine Begegnung die ich in sehr guter Erinnerung behalten habe.
Bevor ich jedoch zum diesjährigen Thema komme, erlauben Sie mir vorauf ein Wort zu den historischen Verbindungen zwischen Luxemburg und Bayern. Der erste Großherzog Luxemburgs aus dem Hause Nassau-Weilburg, S.K.H. Adolphe, unterhielt im Isarwinkel auf Schloss Hohenburg seine Sommerresidenz und man kann ihm es wirklich nicht verdenken. Das Großherzogtum und der Freistaat sind beide wichtige und attraktive Wirtschaftsstandorte. Wir profitieren beide von unserer hohen Innovationskraft, einem starken Nation Branding und einem unternehmerfreundlichen Klima was sich unter anderem in unserem hohen Bruttoinlandsprodukt, sowie in der hohen Exportquote niederschlägt.
Mein Auftrag heute hier dreht jedoch nicht um Luxemburg und Bayern, sondern um ein anderes Tandem: um „Europa und Krise“.
Wohin steuert Europa?
Eine Suche nach Orientierung, nicht nur der Orientierung. Spontan drängen sich zwei Fragen auf: Wer steht am Steuer? Und wohin geht die Reise?
Fangen wir mit dem institutionellen ABC an; nicht, dass sie es nicht kennen würden, aber es ist nie sinnlos, kurz darauf einzugehen.
Bei der EU handelt es sich in der Tat, wie wir wissen, um ein recht komplexes, verflochtenes, nicht immer einfach verständliches System, eine einzigartige institutionelle Maschinerie, bestehend aus der Kommission, der EU-Exekutive, welche alleine das Initiativrecht hat, dem EU-Parlament, der Legislative, und dem EU-Ministerrat, eine Art Co-legislative, sowie dem Europäischen Rat, der höchsten Ebene der Interessenvertretung der Mitgliedstaaten, ohne die nichts oder fast nicht läuft. Diese Institutionen werden, wie sie wissen, vom EU-Gerichtshof in Luxemburg in ihren Kompetenzen kontrolliert und sanktioniert, dies im Rahmen der sogenannten Gemeinschaftsmethode. Dazu kommt bekanntlich die sechsmonatige Ratspräsidentschaft: im zweiten Semester 2018 war es Österreich; seit dem ersten Januar ist es Rumänien.
Dieses Brüsseler-Straßburger-Luxemburger Institutionsgefüge funktioniert jedoch nur, wenn die Regierungen in den Mitgliedstaaten den politischen Willen zeigen, europäisch zu denken und zu handeln, und dem europäischen Mehrwert, im Interesse der/aller EU Bürger, den Vorrang zu geben. Trotz andauernder Kritik an „Brüssel“ sind es nämlich immer noch die Regierungen der Mitgliedstaaten die entscheiden und die Fäden in der Hand halten.
Und genau hier liegt die Schwachstelle dieses weltweit größten Friedensprojektes des 20. Jahrhunderts. Es ist ja doch zu verlockend für nationale Politiker, „die in Brüssel“ für unpopuläre Maßnahmen verantwortlich zu machen und dabei wohlwissentlich zu verschweigen, dass die eigene Regierung doch selbst mit am Entscheidungstisch sitzt. Brüssel ist nicht Moskau!
Auch wenn lange Zeit höflich über diese opportunistische Doppelzüngigkeit hinweggesehen wurde, so ist dies in der aktuellen Lage nicht länger hinnehmbar. Nein, ein solches Benehmen grenzt, meiner Meinung nach, an Brandstiftung!
Am Anfang der Zusammenarbeit in Europa stand der Schuman-Plan aus dem Jahre 1950, der darauf abzielte, die europäischen Staaten der Nachkriegszeit in wirtschaftlicher Hinsicht so eng aneinanderzubinden, dass sie nie wieder gegeneinander Krieg führen würden. Robert Schuman wuchs in Luxemburg auf und hat die tragischen Konsequenzen des ersten und des zweiten Weltkrieges in Luxemburg, beziehungsweise Lothringen, hautnah miterlebt. Es ist also nicht von ungefähr, dass er es war, der diesen Grundstein der europäischen Zusammenarbeit legte. 1952 wurde mit der Einrichtung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl in Luxemburg der erste Schritt getan. 1957 folgten die Römischen Verträge, die die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) begründeten.