Interview zur Lage in Südafrika: „Sturm mit doppelter Zerstörungskraft“

Südafrika ist ein Land mit vielen Widersprüchen: eine Mischung aus Erster und Dritter Welt – und derzeit von allen Ländern Afrikas am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen. Dr. Renier Koegelenberg (Stellenbosch bei Kapstadt), Geschäftsführender Direktor der Ecumenical Foundation of Southern Africa, die mit der Evangelischen Akademie Tutzing eine Partnerschaft unterhält, befürchtet, dass der Höhepunkt der Pandemie noch lange nicht erreicht ist.

„Wir erleben gerade einen Sturm mit doppelter Zerstörungskraft“, so Koegelenberg im Interview. Südafrika befinde sich in einer schweren Wirtschaftskrise, zu der die Covid 19-Pandemie hinzugekommen sei. Missmanagement und Korruption hätten das Land in diese Lage gebracht. Die Reformpläne von Staatspräsident Cyril Ramaphosa setzten sich nur langsam durch, zeigten aber erste Wirkung. Seine Entscheidung, am 27. März eine dreiwöchige Ausgangssperre zu verhängen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, träfen auf Zustimmung in der Bevölkerung.

Koegelenberg, der in Heidelberg Evangelische Theologie studiert hat und bei Prof. Dr. Wolfgang Huber, dem späteren Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), promovierte, ist jedoch skeptisch, ob die verhängten Maßnahmen wirkten. Viele Menschen lebten in den dicht besiedelten Townships – in kleinen Hütten, die oft bis zu zehn Personen beherbergten. Die Abstandsregeln einzuhalten, sei praktisch unmöglich. Die Corona-Pandemie treffe gerade die Ärmsten, die arbeiten müssten, um sich Tag für Tag mit Essen versorgen zu können. Viele müssten jetzt „unter der Hand“ versuchen, einen Job zu finden.

Zu den Widersprüchen in Südafrika gehört laut Koegelenberg, dass die medizinische Forschung und Ausbildung international anerkannt seien, das öffentliche Gesundheitssystem aber nicht in der Lage sei, für die Ärmsten eine Grundversorgung zu bieten. Koegelenberg leitet eine interreligiöse Organisation, die u.a. Hilfsprogramme gegen HIV/Aids und Tuberkulose aufgesetzt hat. Überhaupt seien es die Kirchen und Glaubensgemeinschaft, die für gezielte Hilfsmaßnahmen über die beste Infrastruktur verfügten und am besten in der Lage, eine grundlegende Gesundheitserziehung sowie – Zusammenarbeit mit Gesundheitsämtern – die Behandlung chronischer Krankheiten anzubieten.

In der aktuellen Krise hätten viele Kirchen ihre Sozial- und Ernährungsdienste als „besondere Dienste“ registrieren lassen, um älteren Menschen und bedürftigen Familien Lebensmittelpakete und Medikamente bringen zu dürfen.

Renier Koegelenberg würdigte auch die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Akademie Tutzing. Die gemeinsamen Konsultationen hätten gezeigt, dass die gegenseitige Abhängigkeit und Verbundenheit aller Länder der Welt größer sind, als oft angenommen – und „dass Krankheiten keine Grenzen kennen und auch nicht zwischen Einkommensniveaus oder dem Status in der Gesellschaft unterscheiden“. Und dass kein Bereich allein die Probleme lösen könne. Es brauche den ständigen Dialog und Wege und Mittel, die Zusammenarbeit zu fördern, um den globalen und lokalen Herausforderungen zu begegnen.

Das Interview im vollen Wortlaut können Sie hier nachlesen.

Mit Dr. Renier Koegelenberg sprach Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing. Das Interview wurde am 7. April 2020 geführt.

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