Im Internet sicher unterwegs? – Ein falsches Versprechen
Gut gemeint, nur leider nicht gut gemacht. So lautete der Tenor der Expertise-Runde zur Online-Debatte “Wie gut ist der Kinder- und Jugendmedienschutz?”, die das Zweite Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) genauer unter die Lupe nahm. Das Gesetz trat am 1. Mai 2021 in Kraft und hat zum Ziel, Medienschutz für Minderjährige an die Anforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen.
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Die gute Nachricht vorweg: Der Kinder- und Jugendmedienschutz in Deutschland ist gut – und im internationalen Vergleich sogar spitze. Der Staat spricht dem Jugendschutz große Bedeutung zu. Im Jugendschutzgesetz (JuSchG) wird das dazu Wesentliche geregelt. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des JuSchG wurde der gesetzliche Kinder- und Jugendmedienschutz – er stammt im Jahr aus dem Jahr 2002 – modernisiert und ins digitale Zeitalter überführt. So sehen es jedenfalls die Protagonisten dieses Vorhabens, das zum 1. Mai 2021 in Kraft trat – unter ihnen Franziska Giffey, die als Bundesfamilienministerin eine der treibenden Kräfte war.
Auf Expertenebene wird das Ergebnis jedoch überwiegend kritisch bewertet – wie auch in der Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing am 8. Juni. Sie stand unter dem Thema: „Wie gut ist der Kinder- und Jugendmedienschutz?“ Prof. Dr. Marc Liesching, der Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig lehrt, brachte seine Kritik auf den Punkt: „Die Politik gibt Versprechen, die sie nicht halten kann.“ Im Internet sicher unterwegs sein zu können, sei ein falsches Versprechen. Die Voraussetzungen seien nicht erfüllt. 95 Prozent des Jugendschutzes sei Elternsache, so Liesching. Ohne elterliche Verantwortung sei Jugendschutz nicht möglich. Wo sie fehle, helfe auch kein Gesetz.
Auch aus der Sicht der Medienwissenschaftlerin Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk, haben Eltern eine zentrale Funktion, wenn es um die Mediennutzung von Kindern geht. Sie staune immer wieder, dass Eltern die Alterskennzeichnung von Filmen als pädagogische Empfehlung verstünden. Vielmehr signalisiere die Kennzeichnung, dass ein Film keine Inhalte enthält, die ein Kind in seiner Altersgruppe in seiner Entwicklung beeinträchtigen. Medienkompetenz zu vermitteln, sei ein entscheidender Schlüssel für eine sichere Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an medialer Kommunikation.
Neben Schutz und Medienkompetenz rückt verstärkt Teilhabe in den Fokus
Medienkompetenz zu fördern, darin sieht auch Dr. Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten sowie Präsident und Vorsitzender des Vorstands der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg, eine herausragende Aufgabe. Die Anforderungen an den Kinder- und Jugendmedienschutz hätten sich geändert, weil heute der Teilhabegesichtspunkt im Vordergrund stehe. Um Teilhabe zu ermöglichen, könne nicht alles verboten werden. Neben die Regulierung durch den Gesetzgeber müsse zwingend die Stärkung von Medienkompetenz treten. Eine Novellierung sei durchaus sinnvoll, aber die Umsetzung nicht gut gelungen. So sei die Länderebene zu wenig einbezogen worden. Statt die Schnittstellen zwischen dem Jugendschutzgesetz und dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) zu bearbeiten, seien Doppelstrukturen und -zuständigkeiten geschaffen worden, die die immer wieder beklagte Komplexität des Systems des deutschen Kinder- und Jugendmedienschutzes noch verstärkten. Demnach ist die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) als auch die neue Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz für dieselben Maßnahmen zuständig.
Als „gute Wahl“ bewerteten Kreißig und Liesching die Berufung des neuen Direktors der Bundeszentrale, Sebastian Gutknecht. Er war am Tag des Online-Gesprächs in sein neues Amt eingeführt worden. Gutknecht komme aus der KJM. Dies sei von Vorteil, denn es komme darauf an, die in der Konstellation angelegten Reibungsverluste möglichst gering zu halten.
In der Debatte räumte Wolfgang Kreißig mit dem Vorurteil auf, Unternehmen interessierten sich nicht für den Kinder- und Jugendmedienschutz. Er habe hier gute Erfahrungen gemacht. Unternehmen seien, so seine Beobachtung, offen für den Jugendmedienschutz. Dieser werde nicht mehr nur als Kostenfaktor betrachtet. Vielmehr sähen sie darin auch die Möglichkeit, sich auf dem Markt zu profilieren. Die Voreinstellung von Geräten – mit behördlich geprüften Systemen – lasse sich gut vermarkten. So könne in der Zielgruppe Familien die Einhaltung der Schutzstandards zum Wettbewerbsvorteil werden.
Medienrechtsexperte Liesching machte in der Diskussion darauf aufmerksam, dass manche der angedachten Vorsorgemaßnahmen des Gesetzes keine praktische Auswirkung haben werden. Der Grund: Wegen des europarechtlichen Herkunftslandprinzips gelte das neue Jugendschutzgesetz zunächst gar nicht für Facebook, YouTube, Twitter, Instagram und TikTok. Denn diese Anbieter hätten in Europa ihren Sitz in Irland. Deshalb sei irisches Recht maßgeblich, nicht deutsches.
Rasante Weiterentwicklung der Medien
Vorgaben für die Sicherung des Jugendschutzes im Fernsehen und in Abrufdiensten gibt es auch auf europäischer Ebene. Festlegungen trifft das Europarecht insbesondere in der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD-Richtlinie). Weitergehende Einigungen hält Liesching für schwierig, da kulturelle Unterschiede auch zu Unterschieden in der Einschätzung der Gefährdung junger Menschen führten.
Dass die exponentiell steigende Medienentwicklung mit keinem Gesetz einzufangen sei, sieht auch Maya Götz so. Doch auch die Medienpädagogik komme nicht hinterher. Mit der Gesetzesnovellierung hofft Götz auf mehr finanzielle Unterstützung für diesen Bereich. Man habe es bei Kindern und Jugendlichen nicht mehr nur mit Digital Natives zu tun, sondern mit Mobile Natives, die mit ihrem Smartphone aufs Engste verbunden seien. Dass das Gesetz den Schutz der Integrität betone, sei in diesem Zusammenhang wichtig. Entscheidend sei, mit präventiven Maßnahmen, Kinder wie Eltern zu erreichen. Maya Götz setzt hier auch auf außerschulische Bildungsarbeit. Vieles sei in den letzten Jahren besser geworden, resümierte sie.
Ungeachtet positiver Elemente blieb die Expertenrunde bei ihrer Einschätzung: Das novellierte Jugendschutzgesetz ist gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Dass sich der Gesetzgeber schon in der nächsten Legislaturperiode erneut an die Arbeit machen wird, erwarte keine der Diskutanten. Prof. Marc Liesching zeigte sich „desillusioniert“. Dr. Wolfgang Kreißig erwartet, dass das Bundesgesetz jetzt auf Länderebene beraten wird. Dr. Maya Götz gab sich pragmatisch: „Wir müssen die Chance nutzen und mit Kindern, Eltern und Anbietern arbeiten.“
Christian Bergmann
Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter anderem auf diesen Seiten:
www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/kinder-und-jugend/kinder-und-jugendschutz
Bild: Online-Diskussion am 8. Juni 2021 mit der Medienpädagogin Dr. Maya Götz, dem Vorsitzenden der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, Dr. Wolfgang Kreißig, und dem Medienrechtsexperten Prof. Dr. Marc Liesching. Moderation: Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: eat archiv)