„Ich bin im Ausnahme-Modus“
Vordenker, Seelsorger, Prediger, Manager – Regionalbischof Christian Kopp vereint in seinem Amt viele Funktionen. Nach gut einem halben Jahr im Amt zog er im „RotundeTalk“ der Evangelischen Akademie Tutzing eine erste Zwischenbilanz seiner Arbeit und erklärte, warum er das Wort „systemrelevant“ für schwierig hält.
Ein gewinnendes Lächeln, das Zuversicht ausstrahlt, und profunde Analysen, in denen viel Skepsis mitschwinkt. Wer auf Christian Kopp trifft – seit dem 1. Advent 2019 Regionalbischof in München und Oberbayern –, begegnet einem Theologen, der in seinem Amt vieles sein muss: Vordenker, Seelsorger, Prediger, Manager. Im „RotundeTalk“ der Evangelischen Akademie Tutzing zog er eine erste Zwischenbilanz seiner Arbeit „Wir leben gerade durch Corona in einem Ausnahmezustand – und ich bin im Ausnahme-Modus“, räumt er ein. München und Oberbayern, Stadt und Region veränderten sich in einer rasanten Geschwindigkeit, die von den Menschen viel fordere. Für die Kirche stelle sich die Frage, wie sie mit dieser Veränderungsgeschwindigkeit mithalten könne. Die Corona-Krise sei auch eine Krise für die Kirche. Was sie ausmacht und worauf sie sich zukünftig konzentrieren will, darüber werde in der Kirche aber schon seit längerem nachgedacht. Gottesdienste seien wichtig, aber zur Kirche gehöre noch viel mehr. Kopp spricht von einem „breiten Spektrum“ an Aktivitäten.
Dass die Kirche in der Pandemie versagt habe, wie manche Kritiker ihr vorwerfen, weist er zurück. Dass die Medien sich plötzlich für die Kirche interessierten, habe ihn durchaus überrascht. Aber sie habe ja nicht ihre Arbeit eingestellt, sondern nur anders wahrnehmen müssen. Der Schutz vor Ansteckung sei ein Motiv gewesen, Verantwortung zu übernehmen. Dass Menschen in Seniorenheimen keinen Besuch von Angehörigen bekommen durften, nennt Kopp eine „Katastrophe“. Aber die Begleitung, auch die seelsorgerliche, sei gewährleistet gewesen.
Ob alle Maßnahmen des staatlichen verordneten Lockdowns verhältnismäßig gewesen seien, da mag sich Christian Kopp nicht festlegen. Klar sei für ihn aber, dass ein eine Ausnahmezeit auch Ausnahmeregeln brauche. Es sei zu früh, hier Bilanz zu ziehen. „Ich bin mit eigenen Bewertungen vorsichtig.“ Bund und Freistaat Bayern sind seiner Empfindung nach „umsichtig“ vorgegangen.
So sehr es ihn freut, dass Beschäftigte in bestimmten Bereichen als systemrelevant identifiziert wurden, so wenig schätzt der Theologe dieses Etikett. „Ich mag das Wort systemrelevant nicht, denn das gilt für jeden Menschen. Jeder zählt und ist einzigartig“, argumentiert Christian Kopp mit dem Menschenbild der Bibel. Dass diese Wertschätzung die Krise überdauert, mag er nicht recht glauben. Ein Bonus für die Beschäftigten sei angemessen, aber das System sei insgesamt chronisch unterfinanziert. Daran müsse sich etwas ändern. Dafür sorgen könne aber nur die öffentliche Hand.
Ob die Gesellschaft aus der Corona-Krise gestärkt hervorgeht, darauf hat Christian Kopp eine klare Antwort: „Nein.“ Zu viele Menschen seien in ihrer Existenz – persönlich wie wirtschaftlich – betroffen.
Sorgen bereitet ihm die Entwicklung der Gesellschaft insgesamt. Sein Leitmotiv, so könnte man sagen: „Ein Christ schaut auf den Nächsten, der auch sein Recht hat“, formuliert Kopp ganz allgemein – und fügt hinzu: „Menschenrechte sind ein unveräußerliches Gut und nicht teilbar.“ Vor den Kommunalwahlen im März in Bayern mahnte er: „Wer auf Menschenrechte pfeift, darf nicht gewählt werden.“
Udo Hahn
Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing
Hinweis: Hier können Sie das vollständige Interview mit Christian Kopp ansehen.
Bild: Christian Kopp und Udo Hahn im RotundeTalk (Foto: eat archiv)